Innenministerin Nancy Faeser (SPD, l.) und SPD-Parteichefin Saskia Esken (r.) besuchen gemeinsam Standorte in Nordhessen für erneuerbare Energien.Bild: watson / rebecca sawicki
Vor Ort
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihre Parteivorsitzende Saskia Esken stehen auf einer Lichtung im Wald. Sie kneifen die Augen ein wenig zusammen. Es ist ein warmer Tag, die Sonne strahlt vom blauen Himmel, der mit wenigen Schleierwolken durchsetzt ist. Ein Summen liegt in der Luft.
Es ist das Geräusch, dass die großen Rotorblätter knapp 150 Meter weiter oben von sich geben, während sie sich drehen. Gemeinsam mit einer Truppe Hauptstadt-Journalist:innen sind die beiden Sozialdemokratinnen im Norden des Flächenlandes unterwegs und besuchen Energiebetriebe. An diesem Morgen den Windpark im Stiftswald bei Kaufungen.
Die SPD-Spitzenpolitikerinnen sind bei ihrem Besuch im Windpark mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels und Landtagsabgeordnetem Florian Schneider bester Laune.Bild: watson / rebecca sawicki
Das Besondere an diesem Park: Er wird betrieben von und mit den Bürger:innen der umliegenden Gemeinden, und zwar mittels Bürger:innen-Energiegenossenschaften. Ein Viertel des Windparks bleibt in der Verantwortung der Stadtwerkunion Nordhessen. "So schaffen wir Toleranz in der Bevölkerung", erklärt Windparkchef Lars Rotzsche-Walther.
Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update!
Hier findest du unseren
Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne
hier auch auf Instagram.
Der Strom wird direkt wieder in das Stromnetz der Region eingespeist – und erwirtschaftetes Geld wird ebenfalls in Teilen an Bürger:innen und Region weitergegeben. In Hessen ist das so nicht selbstverständlich, wie Rotzsche-Walther klarstellt. Denn Projekte, die in landeseigenen Wäldern realisiert werden sollen, würden von "HessenForst" normalerweise an den höchstbietenden Akteur vergeben.
Ein Kritikpunkt, an dem Innenministerin Nancy Faeser etwas ändern will, sollte sie im Herbst zur Ministerpräsidentin Hessens gewählt werden. Der Besuch in ihrem Heimatbundesland ist ein erster Aufschlag vor dem großen Wahlkampfauftakt Ende der Sommerferien, Anfang September. Gewählt wird in Hessen am 8. Oktober. Seit 25 Jahren regiert dort die CDU mit wechselnder Besetzung, aktuell mit den Grünen. Wenn es nach Faeser und Esken geht, reicht es damit nun.
Cybersicherheit ist auch im Bereich der erneuerbaren Energien wichtig
Ein Knirschen schallt durch den Fuß des Windrades, in dem Esken und Faeser gemeinsam mit ihrer Reisegruppe und Akteur:innen des Windparks Platz genommen haben. Zwar drehen sich die Rotorblätter des Windrades nicht – zu laut für ein Gespräch – trotzdem wendet sich das Führer:innen-Häuschen stets Richtung Wind. Und dann knirscht es, so wie jetzt.
Im Inneren des Windrades informiert der Windpark-Chef Faeser und Esken über den Windpark und die Herausforderungen.Bild: watson / rebecca sawicki
Parkchef Rotzsche-Walther ist wichtig zu erwähnen, dass der Windpark und die dazugehörige Stromversorgung autark sind. Meint: Hacker haben es schwer, denn anders als bei vielen anderen Windanlagen ist kein Satellit für die Steuerung zuständig. Stattdessen wird über Glasfaserkabel kommuniziert.
Ein Hinweis, der gerade Innenministerin Faeser offensichtlich beeindruckt. Sie nickt anerkennend. Einen Tag vorher hat sie bei einem Termin beim Kassler Unternehmen SMA Solar Technology, das unter anderem Wechselrichter für Solaranlagen produziert, angeboten, in Fragen Cybersicherheit und Resilienz zu unterstützen.
Denn klar ist: Im Bereich der erneuerbaren Energien gibt es Angriffsflächen. Aus diesem Grund verzichtet die Firma SMA auf Bauteile aus China und beschränkt sich auf in der EU Gefertigtes. Außerdem legten sie viel Wert auf Cybersicherheit, sagt SMA-Geschäftsführer Jürgen Reinert.
Branche pocht auf politische Unterstützung
Die Kassler Firma hat eine schwere Zeit hinter sich, die politische Entscheidung im Jahr 2012, Photovoltaik weniger zu fördern, war für den Betrieb schwer zu verkraften. Fast die Hälfte der Entwickler:innen und Mitarbeiter:innen musste das Unternehmen verlassen. Zuvor war SMA die weltweite Nummer eins, meint der Geschäftsführer.
Umso glücklicher sei man vor Ort heute, dass nun auch in Deutschland und Europa wieder ein größerer Fokus auf die Erneuerbaren gelegt wird. Das Solar-Paket kommt in der Firma gut an. Ein Punkt, der SPD-Chefin Saskia Esken besonders freut. Es braucht nicht immer zwingend Geld, ist man sich einig, aber Wertschätzung, Austausch und weniger Bürokratie.
Mit dem erst kürzlich beschlossenen Solar-Paket soll der Bau und Betrieb von Photovoltaikanlagen entbürokratisiert werden – und zwar für Unternehmen und für Bürger:innen. Immer mehr Menschen setzen nämlich auf private Solaranlagen auf ihren Balkonen oder auf Dächern.
Nicht nur große Solarparks bereichern das Energienetz, sondern auch kleinere Anlagen auf Privathäusern.Bild: dpa / Christian Charisius
Was sich der Führungsstab von SMA außerdem wünschen würde: Eine Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA auch hierzulande. Konkret würden sie es begrüßen, wenn Firmen wie SMA – die ihre gesamte Wertschöpfungskette in Europa haben und auf Nachhaltigkeit und Sicherheit achten – von der Politik priorisiert behandelt würden. Also besser gestellt würden, als Mitstreiter:innen, die eben das nicht machten.
Was ist der Inflation Reduction Act?
Der Inflation Reduction Act ist ein milliardenschweres Investitionspaket der USA. Konkret geht es dabei um die gezielte Förderung nachhaltiger Energienutzung – und darum, dass Produkte in den USA produziert werden. "Made in America" ist die Losung, die Biden dafür verwendet hat.
Trotz allem, stellt Reinert klar, ist SMA aus eigener Kraft Nummer Zwei in der Welt. Die beiden Bundespolitikerinnen machen deutlich: Sie wollen, dass solche Unternehmen auch durch das kommende Wachstumschancen-Paket unterstützt werden. Und überhaupt solle Deutschland in Sachen Wirtschaft positiver in die Zukunft blicken, meint die SPD-Chefin. Denn bei all den aktuellen Problemen dürfe die deutsche Wirtschaft nicht in eine Depression hineingeredet werden. Was es brauche, sei Zuversicht.
KI als Unterstützung der Anlagen
Ein Wert, der auch die Forscher:innen am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik, kurz IEE, antreibt. Dort geht es um Energietransformation, Sicherheit und künstliche Intelligenz. Die soll nämlich dabei helfen, Anlagen zu steuern.
Schon heute kommen solche Innovationen beispielsweise im Windpark Stiftswald zum Einsatz. Woran das Fraunhofer-Institut zum Beispiel forscht: Vogelstimmen. Genauer gesagt geht es darum, dass in Windräder eingebaute KI Vogelgesang erkennt und die Anlage abschaltet, sollten Vögel in die Nähe der Rotorblätter kommen. So kann Vogelsterben verhindert werden.
Ganz Sportministerin: Nach oben auf das Windrad fährt Faeser zwar nicht, dafür klettert sie in die erste Etage des Windrades.Bild: watson / rebecca sawicki
Für Windparkchef Rotzsche-Walther ist klar, dass die Zukunft der Windenergie nicht nur an der Küste liegt, sondern eben auch über Baumwipfeln. Denn dort, auf den Kuppen der Republik, weht der Wind eindrücklich. 7,1 Meter die Sekunde seien es im Windpark Stiftswald, meint der Windexperte.
Gerade für die gestressten Wälder, ist er sicher, ist das eine Chance. Denn das Geld, das Windparks für die Pacht bezahlen müssen, kann wie im Stiftswald für die klimaresiliente Aufforstung genutzt werden.
Es könnten so, meint Rotzsche-Walther, Biotope entstehen, in denen sich die Vögel besonders wohlfühlen. Das Wild sei außerdem wenig beeindruckt von Windrädern oder Umspannwerken. Alles in allem kein Problem, so vermittelt es der Parkchef. KI sei Dank, dürfte auch das Gegenargument des Vogelschredderns wegfallen.
Am Ende also greifen alle Akteur:innen im Bereich der erneuerbaren Energien ineinander. Worin sie sich einig sind, ist, dass es weitere Unterstützung von Seiten der Politik braucht. Eine Bitte, die Esken und Faeser, so macht es den Anschein, ernst nehmen. Und, wie Nancy Faeser – wenn es nach ihr geht, die Ministerpräsidentin in spe – nicht müde wird zu erwähnen, eine Bitte, die ab Herbst in Hessen mehr Beachtung finden könnte.