"Mit dem Feminismus stehe ich eher auf dem Kriegsfuß", sagt eine ältere Teilnehmerin. Eine andere: "Ich finde, das Gendern bringt uns nicht voran."
Die beiden älteren Frauen, die zur Wahlkreisfahrt der Grünen-Bundestagsabgeordneten Merle Spellerberg gekommen sind, nehmen an diesem Tag ganz deutlich eine Minderheitenposition ein. Die meisten der rund 40 Teilnehmenden sind jung, weiblich und interessieren sich für feministische Politik.
Die junge Grünen-Politikerin hat diesen Fokus ganz bewusst gewählt. Denn: Einer ihrer politischen Schwerpunkte ist Feminismus.
Spellerberg sagt:
Über das Thema feministische Außenpolitik – das sich auch die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock verschrieben hat – debattieren die Teilnehmenden in der Botschaft von Mexiko. Ursprünglich war dieser Tagesordnungspunkt in der schwedischen Botschaft angedacht gewesen. Beide Länder haben sich diese Form der Außenpolitik auf die Fahne geschrieben.
Nachdem aber die Konservativen in Stockholm an der Regierung sind, ist Schweden von dem Ansatz abgerückt. Ob die Botschaft in Berlin deshalb keine Zeit für die Besucher:innen-Gruppe hatte? Es sei ein Termin dazwischengekommen, heißt es.
Anders in der mexikanischen Botschaft: Vertreterinnen der Beratungsorganisation Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) debattieren dort mit den Teilnehmenden. Sheena Anderson und Nina Bernarding, Co-Gründerinnen der feministischen Denkfabrik, nehmen sich Zeit und plaudern teilweise aus dem Nähkästchen.
Annalena Baerbock (Grüne) habe keinen leichten Stand innerhalb der Ampel gehabt, meinen sie. Die Außenministerin habe gegen Windmühlen kämpfen müssen, um die Außenpolitik einzubringen, für die das CFFP steht.
Feministische Außenpolitik verschiebe den Fokus ihrer Zielsetzung vom Staat auf die Bevölkerung, meinen die beiden Expertinnen. Nicht die territoriale Integrität von Staaten sei oberste Maxime, sondern die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen. Feministische Außenpolitik müsse immer antimilitaristisch sein.
Unsicherheit entstehe aber auch durch die Klimakrise.
In der Sicherheitspolitik müsse die Klimagerechtigkeit, als urfeministisches Thema, aufgegriffen werden. Es darf nicht nur darum gehen, "zu sagen, bei der Sicherheitspolitik geht es darum, dass Staat A Staat B angreift", sagt Nina Bernarding.
"Ihr kennt alle Fridays for Future, aber die Klimabewegung, das sind ganz viele Schwarze und indigene Menschen, die von der Krise am meisten betroffen sind." Sheena Anderson bringt damit einen Aspekt in die Diskussion ein, der von einigen Klimaaktivist:innen nicht genug gewürdigt werden könne: Mehrfach von Diskriminierung betroffene Menschengruppen leiden unter den Auswirkungen der Krise mehr.
Mit einem intersektionalen Ansatz – also einem Konzept, welches die überlappenden Diskriminierungsformen betrachtet – müsse dem Problem konkret begegnet werden.
Darum bemühe sich ihre Denkfabrik. Keine einfache Aufgabe. Selfcare sei deshalb wichtig: "Ich muss mir sagen, heute mache ich mal Pause von der Weltrettung", erklärt Anderson.
Für Darius Schulte-Eversum (19) hat sich die Wahlkreisfahrt bereits gelohnt. Er studiert an der Technischen Universität Dresden Internationale Beziehungen – also das Gleiche, wie Merle Spellerberg. Ein Kommilitone hatte ihm von der Fahrt erzählt.
"Der Wunsch war groß, mehr über feministische Außenpolitik erfahren. Im Studium wird da nicht so viel dazu angeboten." Eine einzige Unterrichtsstunde habe er im Studium dazu gehört. "Zugegeben, es ist ein junges Feld in der Politikwissenschaft."
Viele der Teilnehmenden sind aus Dresden. Dem Wahlkreis von Spellerberg. Dort habe sie zunächst für die Exkursion eingeladen. Erst später habe sie auch über Social-Media für die Teilnahme geworben, "weil wir schon damit gerechnet haben, dass es großes Interesse an dem Thema gibt", sagt Spellerberg.
Marianne Siede (31) ist eine von denen, deren Interesse via Instagram geweckt wurde. Die Kölnerin beschäftigt sich mit feministischer Politik, speziell Außenpolitik. Sie freut sich, dass der intersektionale Ansatz anerkannt und berücksichtigt wird. "Feminismus bedeutet, die Perspektiven von marginalisierten Gruppen – Queere, Schwarze, People of Color und Menschen mit Behinderungen – mitzubedenken und für ihre Rechte zu kämpfen", erklärt sie.
Vielfach geschehe dies bei Menschen, die selbst betroffen sind oder damit in Berührung kommen. Ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Äthiopierin. Siede hat sich schon früher mit dem Thema auseinandergesetzt. "Es ist dynamisch und es gibt immer wieder neue Inputs und Anreize."
Die Fahrt will sie als weiteren Input für sich nutzen, um "mich in meiner Rolle innerhalb der Gesellschaft mit den Ansätzen auseinanderzusetzen".
Spellerberg findet es bemerkenswert, dass sich so viele Frauen für die Fahrt angemeldet haben. Gerade für ihren Fachbereich mache ihr das Mut.
Spellerberg führt aus:
Für weitere Wahlkreisfahrten hat sie bereits erste Ideen: Eventuell könnte es eine Fahrt zu Abrüstung und Rüstungskontrolle oder zur NATO geben. "Aber ich habe mit meinem Mitarbeiter, der im Wahlkreisbüro in Kamenz sitzt, auch schon geplant, dass wir im nächsten Jahr noch mal eine Fahrt machen, mit dem expliziten Fokus Frauen im Osten."
Der Titel sei noch nicht ganz spruchreif, das Thema stehe aber schon fest. "Es geht mir darum, die Ost-Perspektive und auch Frauen aus dem ländlichen Raum abzuholen und die Perspektive noch stärker zu würdigen." Spellerberg kann sich aber auch vorstellen, noch mal eine Fahrt zu Demokratieförderung und Antifaschismus zu machen.