Im Hof der "Station" am Gleisdreieck in Berlin-Kreuzberg bildet sich eine Menschentraube. In ihrer Mitte: Franziska Brandmann, die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. Sie stellt Forderungen – im Namen der FDP-Nachwuchsorganisation – an die eintreffenden Delegierten.
Es ist Bundesparteitag der Liberalen. Gesprochen und gestritten wird über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Über Waffenlieferungen. Über Energieabhängigkeit. In diesem Zusammenhang wird über einen Leitantrag abgestimmt, der sich für die "wehrhafte liberale Demokratie" ausspricht. Daneben geht es an diesem Wochenende aber auch um einen weiteren, kurzfristig vorgezogenen Antrag: "Frieden, Freiheit und eine europäische Perspektive für die Ukraine – 11 Forderungen der Freien Demokraten".
Brandmann spricht im Hof der "Station" davon, dass sie und andere ihrer Generation Europa nur als Kontinent des Friedens kennen. "Das Mindeste, das wir tun können, für unsere Freunde in der Ukraine: alles liefern, was wir haben", sagt sie klar und deutlich. Wenn auch ohne Mikrofon, ohne Megafon. Sie fordert ein schnellstmögliches Energieembargo. Eine Unabhängigkeit von Russland. Ihre Stimme wird übertönt von einer vorbeirauschenden U-Bahn. "Wir fordern einen Untersuchungsausschuss Kreml-Freunde", ist Brandmann wieder zu hören.
Die Julis fordern also, dass der Bundestag überprüft, welche Politiker möglicherweise für Russland lobbyiert haben könnten – ein Vorwurf unter anderem an den Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD).
Was letztlich vom Bundesparteitag der FDP bleibt, hat watson für euch zusammengefasst.
"Es ist das Gebot der Stunde, schwere Waffen zu liefern. Die Ukraine muss sich zur Wehr setzen können." Während die Bundesvorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ihre Rede hält, ist es still im Saal der "Station" in Berlin. Alle Augen sind auf sie gerichtet. "Nicht zaudern, nicht zögern. Das ist das Gebot der Stunde", sagt sie entschieden. Deshalb sei der Antrag des Bundesvorstands ein wichtiges Signal.
Der Bundesvorstand der FDP hatte auf den letzten Drücker noch den Sonderantrag "Frieden, Freiheit und eine europäische Perspektive für die Ukraine" beschlossen. Einen Tag später, am Samstag des Bundesparteitages, wird über diesen in drei Stunden und mit unzähligen Änderungsanträgen (34) abgestimmt.
Darin festgehalten sind elf Forderungen der Freien Demokraten, um die "Souveränität und Selbstverteidigungsrecht der Ukraine" zu unterstützen. Zentraler Punkt darin: "Putins Aggression darf keinesfalls den Sieg davontragen!" Die Ukraine solle mittels schwerer Waffen, finanzieller sowie humanitärer Hilfen unterstützt werden.
Die Delegierten haben ihn angenommen – genauso wie den Leitantrag. Wenn auch mit etlichen Änderungen.
Es war bereits im Vorfeld des Parteitages zu erwarten, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine einen großen Stellenwert einnehmen wird. Er erhielt durch den Sonderantrag eine noch größere Gewichtung.
Strack-Zimmermann schließt ihre Rede mit den Worten: "Es lebe die Freiheit. Es lebe Europa. Slava Ukraini."
Was folgt, ist eine stehende Ovation. Lauter Applaus. Diese Stimmung der FDP-Politiker in Sachen militärischer Unterstützung der Ukraine zieht sich durch den gesamten Parteitag.
Als Bundesvorstand der FDP und Finanzminister Christian Lindner in seiner Eröffnungsrede sagt: "Die Ukraine braucht schwere Waffen", wird er von lautem Klatschen unterbrochen. Man versteht ihn nicht mehr. Die Haltung der FDP ist klar. Und damit die Forderung an die Ampel-Koalition ebenfalls: Schwere Waffen für die Ukraine. Und zwar schnell.
Wie schnell es sein müsste, betont auch Marcus Faber aus Sachsen-Anhalt. Man hätte es in der Rede von Bundeskanzler Scholz gehört, Waffen an die Ukraine zu liefern sei richtig. "Aber es fehlen drei Sachen: Geschwindigkeit, Geschwindigkeit und Geschwindigkeit." Man müsse mehr liefern und das sei "als größte Volkswirtschaft Europas" auch möglich.
Dabei würden Worte allein nicht reichen, bekräftigt der frisch gewählte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai: "Es zählen Taten." Und dabei komme es auf jede Stunde an.
"Putin hat die Ukraine unterschätzt. Er hat den Westen unterschätzt", sagt Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in ihrer Rede am Samstag des Parteitages. Niemand hätte damit rechnen können, dass Putin ein souveränes Land angreift. Deshalb müsse man schnellstmöglich in eine Energieunabhängigkeit kommen, sagt sie. Damit meine sie nicht, autark zu werden, aber man müsse darüber entscheiden können, "mit wem wir es zu tun haben wollen", sagt Stark-Watzinger.
Und auch das sollte möglichst schnell kommen.
Doch was genau heißt "schnellstmöglich"? Das ist die Frage, die offenkundig die Julis ganz besonders umtreibt. Nahezu gebetsmühlenartig wiederholen sie ihre Forderung, das schnellstmöglich klarer auszudifferenzieren. Zumindest so schnell, wie "sozial möglich", betont Nemir Ali, stellvertretender Vorsitzender der Jugendorganisation. Ein Embargo sei teuer, aber stemmbar, sagt er. Man müsse sich fragen: "Wie teuer ist ein Embargo?" Aber auch: "Wie teuer ist kein Embargo?"
Christian Ritzmann aus Rheinland-Pfalz betont: "Mit der Energie ist es wie mit der Freiheit: Je mehr, desto besser." In einem Änderungsantrag wirbt Ritzmann dafür, besonders die Co2-effizienten Technologien für die Gasunabhängigkeit zu nutzen. Ein "verkappter Kernkraftantrag", wie er es selbst nennt.
Die Atomenergie wird immer wieder Thema. Wenngleich auch in der Abstimmung Anträge zu diesem Thema nicht durchkommen. "Das Kernproblem der Kernenergie: Es ist keine marktwirtschaftliche Technologie", sagt Lukas Köhler aus Bayern. Eine Laufzeitverlängerung sei keine Option. Zu groß sei die Frage nach den Endlagern, zu gering die Investitionssicherheit für Unternehmen.
Die Halle ist voll, dicht an dicht sitzen die Liberalen an ihren Tischen. Masken-, Test- oder G-Nachweis-Pflicht gibt es nicht beim 73. Bundesparteitag. Und auch freiwillig trägt fast keiner der Delegierten einen Mund-Nasen-Schutz. "Welch wunderschöner Anblick, so viele Kämpfer der Freiheit mal wieder live zu sehen", freut sich der Vize-Parteichef Wolfgang Kubicki bei seiner Eröffnungsrede.
Der Parteichef und Finanzminister Christian Lindner währenddessen, muss sich aus Washington zuschalten. Er ist coronapositiv und sitzt deshalb in der US-amerikanischen Hauptstadt fest. In Washington ist es sechs Uhr morgens, Lindner glänzt, als hätte er Fieber. Klatschen die Delegierten, spricht er weiter, da es durch die Übertragung bei ihm zu spät ankommt.
Lindner entschuldigt sich zu Beginn, dass diese Rede wenig interaktiv werden würde. "Die Pandemie ist nicht überwunden – Zeuge Christian Lindner – aber ihr Charakter hat sich verändert." Gegen Ende der knapp 40-minütigen Rede ist Lindner nur noch abgehackt, später gar nicht mehr zu hören und zu sehen.
Viele Delegierte kommen an diesem Tag auf die Corona-Pandemie zu sprechen. Erklären, die Liberalen seien die Verfechter der Freiheit während der Pandemie.
Die FDP hat federführend an dem neuen Infektionsschutzgesetz mitgewirkt – viele Punkte tragen die Handschrift der Liberalen. Beispielsweise das Ende der Maskenpflicht, sowie die Beendigung des Testregimes. In diesem Zusammenhang trendete auf Twitter der Hashtag #BuschmannsTote. Der Hashtag implizierte, dass der Bundesjustizminister die Schuld daran trage, wenn Menschen an oder mit Corona verstarben.
Marco Buschmann bedankt sich bei seinen Parteifreunden. Er dankt ihnen dafür, dass sie ihm den Rücken freigehalten haben. "Die Werte der liberalen Demokratie müssen auch zu Hause verteidigt werden", sagt er. Und: "Wenn wir aufhören, daran zu arbeiten, hat Putin auf der Werteebene schon gewonnen."
Dass nicht nur die Jungen Liberalen mindestens irritiert sind von der aktuellen Kommunikation manch eines Sozialdemokraten, sticht auf dem Parteitag immer wieder hervor. "Das Bild, dass Vertreter der größten Regierungspartei abgeben, ist keins, dass uns als Koalitionspartner zufrieden stellen kann", sagt zum Beispiel Kubicki in seiner Eröffnungsrede.
Alena Trauschel aus Baden-Württemberg nennt die Vertreter der SPD zu zaghaft und Armin Sedlmayr aus Bayern fordert indirekt fast schon den Rücktritt der mecklenburg-vorpommerischen Ministerpräsidentin und Sozialdemokratin Manuela Schwesig. Er sagt: "Die mecklenburg-vorpommische Landesregierung macht sich zu Knechten des Kreml."
Parteichef Christian Lindner währenddessen verteidigt den Koalitionspartner. Stattdessen zieht er die Union in Verantwortung. "Energiepolitische Grundentscheidungen werden von denjenigen verantwortet, die die Richtlinienkompetenz haben", sagt Lindner.
Damit meint er: Schuld an dem Nord-Stream-2-Debakel trägt nicht nur die SPD, trägt nicht nur Manuela Schwesig, sondern auch die Union. Schließlich war CDU-Frau Angela Merkel die vergangenen 16 Jahre die Bundeskanzlerin Deutschlands.
Die FDP hat einen neuen Generalsekretär – wenig überraschend wurde Bijan Djir-Sarai mit 89 Prozent der Stimmen der Delegierten gewählt. Er ist damit der Nachfolger des heutigen Bundesverkehrsministers Volker Wissings. Bereits seit Dezember ist Djir-Sarai designierter Generalsekretär. Nach seiner Wahl verspricht er, dass er "niemals, niemals, niemals ein zusätzlicher Regierungssprecher sein" werde. "Meine Mission lautet: FDP."
Neben Djir-Sarai haben die Liberalen auch einen neuen Bundesschatzmeister und drei Beisitzerinnen gewählt. Auf Bundesschatzmeister Harald Christ folgt der ehemalige Schatzmeister der FDP Baden-Württemberg, Michael Link. Als künftige Beisitzerinnen komplettieren Renata Alt, Susanne Schütz und die Juli-Chefin Franziska Brandmann den Bundesvorstand.