Die SPD-nahe Jugendorganisation Jusos trifft sich an diesem Wochenende in Braunschweig zu ihrem Bundeskongress. Dabei geht es neben der Wahl einer neuen Spitze auch um die Neuausrichtung der Arbeit des Verbandes und eine Wahl ihrer Spitzenkandidat:innen zur EU-Wahl. Neben den Wahlen und Antragsberatungen ist aber auch Zeit für Grußwörter aus der SPD. Neben Sozialminister Hubertus Heil und Generalsekretär Kevin Kühnert ist auch Parteichefin Saskia Esken in Braunschweig vertreten.
In ihrem Grußwort betont Esken, wie wohl sie sich bei den Jusos fühlt und wirbt um die Gunst des Jugendverbands für ihre erneute Kandidatur als SPD-Vorsitzende. 2019 wurde Esken gemeinsam mit ihrem damaligen Co-Vorsitzenden auch durch die Unterstützung der Jusos gewählt. Der neugewählte Juso-Vorsitzende richtet in seiner Erwiderung auf Eskens Grußwort einen klaren Appell an sie und ihren aktuellen Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil.
In ihrem Grußwort geht Esken auf die Sorgen ein, die ihr die aktuelle Stimmung im Land macht. Die SPD und die Jusos dürften nicht zulassen, dass die Stimmung kippe, meint sie. "Nur gemeinsam jagen wir die Nazis aus den Parlamenten", stellt sie klar. Die Antwort sei soziale Politik – und die müsse bei den Menschen ankommen.
Für Esken sei es schwer zu ertragen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Deutschland geboren wurden oder hier ihr neues Zuhause gefunden haben, sich nicht mehr sicher fühlen könnten. "Es macht mir große Sorgen und es macht mich wütend", sagt sie. Das Problem sei nicht die Migration, sondern soziale Ungerechtigkeit. Für Esken ist klar: Nicht das Bürgergeld muss runter, der Mindestlohn muss rauf.
Eine Forderung, die die Jusos unterstützen dürften. Schließlich wollen auch sie Umverteilung in Deutschland. Auch der Leitantrag, den der SPD-Parteivorstand für den Parteitag im Dezember erarbeitet hat, dürfte bei den Jungsozialist:innen gut ankommen. Dort wird unter anderem eine höhere Besteuerung für extrem hohe Einkommen und Erbschaften gefordert. Esken ist aber auch klar, dass die Jusos das "Spiegel"-Interview mit Olaf Scholz (SPD) kritisieren werden. Darin warb der Kanzler für konsequente und schnellere Abschiebungen.
Sie sei auch erschreckt gewesen vom Cover des Hefts. Deutschland müsse Integrationsgesellschaft werden, aber es müsse eben auch schneller entschieden werden, wer bleiben darf und damit müsse auch ein schnellerer Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden werden. Jene, die nicht bleiben können, müssten zurückgeführt werden – denn Recht müsse für alle gelten. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz habe nun Möglichkeiten geschaffen, regulär einzuwandern.
Migration dürfe nicht als Problem gesehen werden, sondern als Schlüssel. Denn der Fachkräftemangel treffe Deutschland hart. Ein weiterer wichtiger Punkt: Bildung. Denn die sei in Deutschland zu ungerecht.
Esken macht deutlich, dass auch das Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) nichts daran ändern werde, dass die Ampel das Klima schützen will und Sozialleistungen trotzdem erhalten bleiben. Die Instrumente, um das Geld dafür bereitzustellen, lägen auf dem Tisch: Ende von klimaschädlichen Subventionen und Aussetzen der Schuldenbremse.
Beim KTF handelte es sich um Geld, das für die Bewältigung der Coronakrise bereitgestellt und von der Ampel umgewidmet wurde. Durch das Urteil in Karlsruhe steht die Koalition nun von einem Haushaltsloch in Milliardenhöhe.
Im kommenden Jahr stünden zahlreiche Wahlen an: EU-Wahl, Kommunalwahlen und Landtagswahlen in Ostdeutschland. Für Esken ist klar, die SPD muss den Menschen klarmachen, dass Sozialdemokratie das Leben für Menschen besser mache. "Nazis der AfD geben vor, an er Seite der Menschen zu stehen, das ist doch irre", sagt Esken. Denn die neoliberale Politik der AfD würde das Leben der Arbeiter:innen verschlechtern.
Der neue Bundesvorsitzende der Jusos, Philipp Türmer, fragt in seiner Erwiderung auf das Grußwort der Parteichefin: "Wie wollen wir Sozialdemokratie wieder stark machen?" Esken sei die Vorsitzende der ältesten sozialdemokratischen Partei der Welt, das sei eine Ehre, aber auch eine große Verantwortung. Als sie 2019 gewählt wurde, hätte Türmer das Gefühl von Aufbruch in der SPD gespürt. Davon sei aber nicht viel übrig. "Saskia, ich sehe diesen Aufbruch nicht", sagt er.
Damals sei die Lage der SPD schlecht gewesen, heute sei sie noch viel schlechter. Und das, obwohl mit Olaf Scholz ein sozialdemokratischer Kanzler im Kanzleramt sitze. "Olaf wurde nicht wegen seines Charismas gewählt", macht Türmer deutlich. Vielmehr sei es die Leistung der Partei gewesen – und der Inhalte, auf die sie gesetzt habe. Von dem versprochenen Respekt bekomme Türmer nichts mit. Er kommt auf die Mindestlohnerhöhung von 41 Cent zu sprechen. "Wie lachhaft."
Nach dem Karlsruher Urteil müsse die SPD beweisen, dass sie noch regierungsfähig ist. Türmer bezweifelt, dass die Ampel ihre Klimaziele und die notwendige Transformation erreichen können, wenn der Fonds nicht wiederbelebt wird. "Ich erwarte von euch, von Lars und dir, dass ihr der Motor seid", richtet er einen klaren Appell an Esken. Aktuell habe er das Gefühl, dass die SPD nur ein kleiner Stachel im Fleisch des Kanzleramtes sei, der dort kaum gespürt werde. Das müsse sich ändern.
Die SPD müsse wieder zur Partei der Verteilungsgerechtigkeit werden, das müsse man auch beim Personal im Kanzleramt merken, fordert der Juso-Chef.
Esken erwidert, dass die SPD sehr wohl Motor und Stachel sei. Dass man nicht nur lauwarme Kompromisse mache, sondern mit dem Startchancengesetz, der Bürgergeldreform und der Kindergrundsicherung klare sozialdemokratische Forderungen umgesetzt habe.
Sie stimme Türmer zu, dass die aktuelle Situation schwerer wäre, als 2019. Damals habe die SPD in der Krise gesteckt, heute sei es die Welt. Sie werde den Input der Jusos mit nach Berlin nehmen. Einige der Jungsozialist:innen machen auch mit selbst gebastelten Plakaten noch einmal deutlich, was sie vom Spiegel-Cover des Kanzlers halten. Zu sehen sind abgewandelte Versionen des Covers. Statt Abschiebungen im großen Stil werden dort etwa Klimaschutz, Wohnungsbau und die Bekämpfung von Kinderarmut im großen Stil gefordert.