Wenn das Coronavirus der Feind ist, dann sei der Impfstoff die Kavallerie. Und diese Kavallerie sei jetzt unterwegs. So hat es Anthony Fauci Ende November ausgedrückt, der renommierte US-Immunologe und Präsidenten-Berater. Mehrere Pharmaproduzenten haben inzwischen bekannt gegeben, dass ihre Impfstoffe in Tests eine hohe Wirksamkeit gegen das tödliche Virus Sars-CoV2 hätten. In Großbritannien wurden am Dienstag die ersten Menschen mit dem Vakzin des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer geimpft.
Für die Menschen in Deutschland bedeutet das: Die Impfstoffe sind fast da – wenn sie zugelassen werden, kann die Impfkampagne beginnen.
Das Ziel: Die Bevölkerung wirksam vor der vom Coronavirus ausgelösten Krankheit Covid-19 zu schützen.
Wie schnell geht es jetzt? Wer kommt wann und wie an den Impfstoff? Wo finden die Impfungen überhaupt statt? Und was bewirkt der Stoff? Watson beantwortet wichtige Fragen zum Thema.
Es sollte im Januar 2021 soweit sein. Zunächst hatte es noch geheißen, bereits im Dezember oder "sehr schnell nach der Jahreswende" könne ein Impfstoff zugelassen werden – das hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Ende November gesagt. Am Sonntagabend nun wurde Kanzleramtschef Helge Braun in einer "Bild"-Sendung konkreter: Er rechne damit, dass es "ganz früh im nächsten Jahr, in den allerersten Tagen" losgehen könne.
Grund für die Zuversicht sind die Erfolgsmeldungen der vergangenen Wochen: Zunächst haben mehrere Pharma-Unternehmen sehr hohe Wirkungsraten für ihre Impfstoffe vermeldet – und angekündigt, dass sie eine Zulassung bei den Behörden beantragen werden: erst Pfizer und Biontech, dann das US-Unternehmen Moderna, schließlich das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca. Der Impfstoff von Pfizer und Biontech wurde Anfang Dezember in Großbritannien bereits zugelassen.
Alle drei Impfstoffe sind aus Sicht mehrerer deutscher Politiker und Experten vielversprechend. Dazu zählt auch Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter und Gesundheitspolitiker. Gegenüber watson erklärte Lauterbach:
Sobald die Impfstoffe zugelassen worden sind, dürfte es schnell gehen – die Unternehmen haben bereits mit der Produktion der Impfstoffdosen begonnen. In Deutschland könne man nach der Zulassung "mit den Impfungen sofort loslegen", sagte Minister Spahn im RND-Interview.
Die Impfzentren, in denen in den ersten Wochen die ersten Impfungen stattfinden sollen, sind auch schon im Aufbau: unter anderem in Stadthallen, ehemaligen Schulen und Jugendherbergen, wie der MDR vermeldet.
Kurz gesagt hat erstens Großbritannien den Pfizer-Biontech-Impfstoff per Notfallzulassung freigegeben, andere EU-Staaten wollen eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA abwarten. Und zweitens hat die frühere Zulassung nichts mit dem Brexit zu tun – obwohl unter anderem der britische Gesundheitsminister Matt Hancock genau das behauptet hat.
Die Entscheidung über die Zulassung des Pfizer-Biontech-Impfstoffs will die EMA nach eigenen Angaben bis spätestens 29. Dezember treffen, über den Moderna-Impfstoff bis spätestens 12. Januar.
Dass Großbritannien die Notfallzulassung gewählt hat, sieht Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und Kinderarzt, sehr kritisch. Dem Fachmagazin "Ärzteblatt" sagte Liese, die Notfallzulassung sei eigentlich nur für Medikamente gedacht, die einem sterbenskranken Patienten eine Überlebenschance sichern könnten – nicht aber für einen Impfstoff, der ja gesunden Menschen verabreicht werden soll. Bei einer Notfallzulassung sind die Qualitätskontrollen weniger intensiv als bei der Zulassung im ordentlichen Verfahren. Liese hält die Entscheidung der britischen Regierung "für politisch motiviert, um von Fehlern beim Brexit und bei der Pandemiebekämpfung abzulenken".
Grob gesagt, soll die Impfung der Bevölkerung in Deutschland in zwei Phasen durchgeführt werden. Das sieht die "Nationale Impfstrategie Covid-19" der Bundesregierung vor.
Die von Spahn erwähnten Impfzentren werden in der Phase I benötigt: In diesem Zeitraum sollen erstens "vulnerable" Bevölkerungsgruppen geimpft werden, also Menschen, die etwa wegen ihres Alters und/oder Vorerkrankungen besonders gefährdet sind, schwer an Covid-19 zu erkranken.
SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach hält diese Priorisierung für richtig. Gegenüber watson erklärte er:
Später in dieser ersten Phase sollen auch "exponierte" Gruppen geimpft werden: etwa Kranken- und Altenpfleger, die in direktem Kontakt zu vulnerablen Personen arbeiten.
Vorrang bei der Impfung könnten drittens auch Personen in gesellschaftlich besonders wichtigen Berufen bekommen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Ständigen Impfkommission (Stiko), des Deutschen Ethikrats und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina schreibt in einem Positionspapier von Menschen, "die für das Gemeinwesen besonders relevante Funktionen erfüllen und nicht ohne Probleme ersetzbar sind" – und nennt als Beispiele Polizisten sowie weitere Mitglieder der Sicherheitsbehörden, Feuerwehrleute, Lehrer und Erzieher.
Die Stiko hat inzwischen auch beziffert, wie viele Menschen in den unterschiedlichen Phasen geimpft werden sollen. Die Zahlen stehen in einem Entwurf der Stiko, der am Montag verschickt wurde.
Bundesländer und medizinische Fachgesellschaften können zu dem Stiko-Entwurf noch bis Donnerstag Stellung nehmen.
Für SPD-Politiker Lauterbach müssen vor allem zwei Gruppen geschützt werden:
Die Impfungen in der Phase I sollen zum einen in speziellen Impfzentren durchgeführt werden – zum anderen sollen mobile Teams Menschen in Einrichtungen wie Pflegeheimen impfen. In den Impfzentren ist laut MDR "eine Art Rundlauf" geplant: Alle Schritte der Impfung sollen dort ablaufen, von der Anmeldung und dem Warten auf Warteplätzen über die Impfung selbst – bis zum Ausruhen in einem separaten Bereich. Um einen Ansturm auf die Zentren zu verhindern, soll die Anmeldung für die Impfungen über ein zentrales Termin-Meldesystem erfolgen.
Die Aufgaben für die Phase I teilen sich Bund und Länder: Der Bund ist dafür zuständig, die Impfstoffe an die 16 Bundesländer zu verteilen. Jedes Land soll je nach Bevölkerung einen bestimmten Anteil der Impfstoffdosen bekommen. Beim Transport des Impfstoffs könnte unter anderem die Bundeswehr zum Einsatz kommen.
Die Länder wiederum sollen sich um Lagerung und Ausgabe des Impfstoffs kümmern – sowie Spritzen und Kanülen für die Impfungen besorgen. Je nach Impfstoff werden Transport und Aufbewahrung unterschiedlich kompliziert. Der Impfstoff von Pfizer/Biontech muss ständig bei einer Temperatur von rund minus 60 Grad gehalten werden, die von Moderna und AstraZeneca nur bei rund null Grad.
Es dürften noch einige Wochen vergehen, bis die Phase II der Impfstrategie beginnt – und auch die breite Bevölkerung geimpft werden kann.
Auf einen genaueren Zeitpunkt will sich aber noch kein Verantwortlicher festlegen lassen. Gegenüber watson erklärte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums immerhin, dass es
so weit sein dürfte.
Minister Spahn hatte im Gespräch mit dem RND gesagt, dass es nach Beginn der Phase II schnell gehen wird. Spahn wörtlich: "Vergessen wir nicht, dass jährlich in wenigen Wochen bis zu 20 Millionen Menschen gegen Grippe geimpft werden."
Für die Impfstoffe mit den derzeit besten Aussichten gilt: Es sind zwei Impfungen binnen weniger Wochen nötig.
Deutlich genauer lässt sich heute schon darüber sagen, wo die Impfungen für die breite Bevölkerung stattfinden sollen: in den Arztpraxen – also dort, wo sich seit Jahrzehnten die allermeisten Menschen auch gegen Tetanus, Masern oder die Grippe impfen lassen.
Für die Impfungen in Phase II will die Bundesregierung daher auf Stoffe setzen, die unter relativ einfachen Bedingungen transportiert und gelagert werden können.
Die Impfung soll nach Angaben der Bundesregierung kostenlos sein, unabhängig davon, ob und wie die Menschen krankenversichert sind.
Die Kosten für den Impfstoff trägt demnach der Bund. Die Bundesländer sowie gesetzliche und private Krankenversicherungen zahlen für den Betrieb der Impfzentren.
Darauf gibt es momentan keine Hinweise.
Die Vertreter von Bundes- und Landesregierungen haben sich bisher durchgehend für eine freiwillige Impfung ausgesprochen – und auf der Website der Bundesregierung zum Coronavirus steht auf die Frage, ob es eine Impfpflicht geben wird:
Erst, wenn in der Bevölkerung die sogenannte Herdenimmunität erreicht ist – also ein so hoher Anteil der Bevölkerung Abwehrkräfte gegen das Virus entwickelt hat, dass er damit auch den Rest der Menschen vor einer Ansteckung schützt.
Von einem Tag auf den anderen wird die alte Normalität aber nicht zurückkehren.
Gesundheitsminister Spahn sagte im Gespräch mit dem RND, dass man die Anti-Corona-Beschränkungen "schrittweise lockern" können werde, wenn eine "hohe Impfquote" bei besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen erreicht sei. Die Bundesregierung werde eine Online-Plattform aufbauen, um zu zeigen, wo in Deutschland welche Impfquote erreicht worden ist.
SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach warnt gegenüber watson ausdrücklich davor, nach einer Impfung nachlässig zu werden. Wer geimpft ist, könne nicht einfach zu einem Leben ohne Einschränkungen zurückkehren.
Bei den Impfstoffen weiß man bisher nämlich nur, dass sie laut den Herstellern den Ausbruch der Krankheit Covid-19 mit hoher Wirksamkeit verhindern. Es ist noch nicht gesichert, ob sie auch die Ansteckung mit dem Coronavirus verhindern.
Lauterbach erklärte:
Erst, wenn klar sei, dass eine Impfung auch eine Infektion verhindert, kann man Lauterbach zufolge über Alternativen zu den Hygieneregeln nachdenken.