Wenn es nach der Ampelkoalition geht, soll es die sozialpolitische Reform des Jahrzehnts werden: die Einführung des Bürgergelds. Für Beziehende von Arbeitslosengeld hieße das ab 2023: mehr Geld, weniger Sanktionen, mehr Freiheiten, weniger Druck.
Die Opposition sieht die Sache anders. Der Linken ist es zu wenig Reform, der Union zu viel. Die Chefs der Schwesterparteien CSU und CDU haben sich die Verhinderung des Bürgergelds zur Hauptaufgabe gemacht. Nachdem der Bundestag in der zweiten Novemberwoche für den Gesetzentwurf gestimmt hat, sollte am Montag noch der Bundesrat das Bürgergeld verabschieden – doch Fehlanzeige: Das Bürgergeld der Ampel-Koalition ist vorerst gestoppt. In einer Sondersitzung des Bundesrats erhielt der Gesetzentwurf für die Sozialreform am Montag nicht die erforderliche Mehrheit.
Wie geht es jetzt mit dem Bürgergeld weiter? Und wie funktioniert so ein Gesetzgebungsverfahren überhaupt? Die wichtigsten Fragen klärt watson für euch.
Jedes Bundesgesetz muss gemeinsam von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Grund dafür ist das föderale System der Bundesrepublik. Nachdem also der Bundestag mit der rot-grün-gelben Mehrheit dem Gesetzentwurf zugestimmt hat, müssen danach die Vertreter:innen der Länder ihr Go geben.
Bis das Plenum im Bundestag allerdings über ein solches Gesetz abstimmt, dauert es eine Weile. Der Gesetzentwurf wird vorher in mehreren Lesungen debattiert. Einzelheiten werden immer wieder angepasst. In den seltensten Fällen kommt ein Vorhaben auf die Art und Weise durch, wie es zu Beginn geplant ist.
Gelangt der Entwurf dann in den Bundesrat, kommt es darauf an, ob die Regierungsparteien oder die Opposition dort die Mehrheit haben. Wie viele Stimmen ein Land hat, hängt mit der Einwohner:innen-Zahl zusammen. Bayern hat zum Beispiel sechs Stimmen, Bremen drei. Die absolute Mehrheit liegt bei 35 Stimmen – boykottieren alle Länder, in denen die Union Teil der Regierung ist, reicht das also, den Entwurf zu verhindern.
In diesem Fall kommt das Gesetz vor den Vermittlungsausschuss. Dort beginnt das Ringen um einen neuen Kompromiss.
Hat das Gesetz dann schließlich Bundestag und Bundesrat durchlaufen, leitet die Bundesregierung es an den Bundespräsidenten weiter. Frank-Walter Steinmeier muss es dann unterschreiben und im Bundesgesetzblatt verkünden.
CDU und CSU lehnen das Bürgergeld ab, weil es aus ihrer Sicht die Motivation senkt, eine Arbeit anzunehmen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bekräftigt im "Bericht aus Berlin" in der ARD seine Ablehnung: "Wir werden auf keinen Fall zustimmen." Die Zielrichtung sei "einfach falsch".
Die Ampel-Pläne sehen eine Erhöhung des heutigen Regelsatzes von 449 Euro für Alleinstehende auf 502 Euro vor. Das ist unstrittig und wird auch von der Union befürwortet.
Arbeitslose sollen zudem künftig weniger durch einen angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt werden, speziell im ersten halben Jahr des Bürgergeldbezugs ("Vertrauenszeit"). Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern will die Ampel lockern. Bei all diesen Punkten hält die Union ihr Stoppschild hoch.
In acht der 16 Bundesländer sitzt die Union mit in der Regierung. Es ist davon auszugehen, dass die Vertreter:innen den Gesetzentwurf im Bundesrat blockieren werden. In vier Landesregierungen ist außerdem die Linke vertreten – auch hier bleibt abzuwarten, ob die Genossen dem Gesetzentwurf zustimmen. Denn der Linken geht das Papier nicht weit genug.
Parteichefin Janine Wissler hat bereits angekündigt, sollte das Gesetz vor den Vermittlungsausschuss kommen, wolle sich ihre Partei dafür einsetzen, dass die Union nicht zu viel Soziales abschleift.
Nein. Zumindest nicht direkt.
Da der Bundesrat nicht zugestimmt hat, kommt der Gesetzentwurf jetzt vor den Vermittlungsausschluss. Und damit würde die Suche nach einem Kompromiss beginnen. Unter Zeitdruck.
Denn nach Experteneinschätzung müsste der Kompromiss bis spätestens Ende November gefunden sein, damit das Bürgergeld wie geplant zum 1. Januar eingeführt werden kann. Bundesratspräsident Peter Tschentscher (SPD) hält dies für möglich.
"Erhält das Gesetz in dieser Sitzung keine Zustimmung, kann noch im November ein Vermittlungsverfahren durchgeführt und eine Einigung erreicht werden", sagt der Hamburger Bürgermeister der "Rheinischen Post". Das Bürgergeld sei eine "wichtige Entlastung für Millionen Menschen, die gerade in schwierigen Zeiten auf Unterstützung angewiesen sind".
Vertreter der Union zeigen Kompromissbereitschaft auf. Der Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), sagt zum Beispiel dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Am Ende muss ein politischer Kompromiss her." Genau für solche Fälle gebe es den Vermittlungsausschuss.
(Mit Material von dpa)