Wenn es um italienische Politik geht, verfallen Menschen in Deutschland gerne in Klischees. Wer in Deutschland "italienische Verhältnisse" sagt, meint in aller Regel Chaos, Unberechenbarkeit, oft auch Unzuverlässigkeit. Seit knapp einem Jahr aber sind in Italien an den mächtigsten Stellen zwei Männer, die mit diesen Klischees brechen: Ministerpräsident Mario Draghi, der die Regierung anführt. Und Sergio Mattarella, der Präsident der italienischen Republik, der Anfang 2015 in das formell höchste Amt im Staat gewählt worden ist.
Beide sind bei ihren öffentlichen Auftritten ruhig und meist bestimmt, beide gelten in Italien und im Rest Europas als seriös und vertrauenswürdig. Und beide sind laut Meinungsumfragen in Italien bemerkenswert beliebt.
Mattarellas Amtszeit geht aber in diesen Wochen zu Ende.
Sieben Jahre dauert das Mandat der Präsidenten in Italien, deswegen wird ab Montag wieder ein Staatsoberhaupt gewählt. In italienischen Medien ist die Entscheidung für den Menschen an der Staatsspitze seit Wochen das bestimmende Thema. Aber sie wird auch in Deutschland mit großem Interesse verfolgt.
Warum ist die Präsidentenwahl in Italien für Deutschland interessant? Wie läuft diese Wahl überhaupt ab – und wann wissen wir, wer das neue Staatsoberhaupt ist? Und was war da eigentlich mit Silvio Berlusconi los?
Antworten auf wichtige Fragen zur Präsidentschaftswahl in Italien.
Eine wichtige Einordnung zuerst: Der Präsident hat in Italien nicht besonders viel politische Macht. Italien ist, wie Deutschland, eine parlamentarische Republik: Also eine Demokratie, in der Bürgerinnen und Bürger nur das Parlament direkt wählen, nicht aber den Präsidenten. Der mächtigste Politiker ist in beiden Ländern nicht der Präsident, sondern der Regierungschef: in Deutschland die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler, in Italien der Premierminister.
Trotzdem hat der Präsident besonders in Italien eine wichtige Rolle. Wenn es zu einer Regierungskrise kommt, weil der Premierminister nicht mehr die Mehrheit im Parlament hinter sich hat, entscheidet in Italien laut Verfassung alleine der Präsident, was zu tun ist: ob er das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft – oder ob er einen anderen Politiker damit beauftragt, eine Mehrheit zu suchen. Da in Italien Regierungskrisen deutlich häufiger vorkommen als in Deutschland, machen diese Aufgaben den Präsidenten zu einem zentralen Player.
Und für Deutschland ist Italien aus mehreren Gründen ein besonders wichtiges Land:
Die neue deutsche Bundesregierung erkennt die große Bedeutung Italiens gerade in dieser Zeit offensichtlich ebenfalls an: Bundeskanzler Olaf Scholz flog auf einer seiner ersten Auslandsreisen nach Rom, am 20. Dezember, nicht einmal zwei Wochen nach seinem Amtsantritt.
Kurz gesagt: Es ist momentan noch verdammt schwer, das zu sagen. Die Wahl zum italienischen Präsidenten beginnt am Montag um 15 Uhr. Am Montag selbst wird aber aller Voraussicht nach noch keine Entscheidung getroffen.
Das liegt am Ablauf der Wahl: Den italienischen Präsidenten wählen beide Parlamentskammern, die Abgeordnetenkammer und der Senat, sowie insgesamt 58 Vertreter der 20 italienischen Regionen, von Trentino-Südtirol bis Sizilien. Insgesamt sind es in diesem Jahr 1.008 sogenannte "Grandi Elettori", (Große Wähler), wie die Wählenden in Italien genannt werden.
Zu Beginn der Abstimmung bräuchte ein Kandidat oder eine Kandidatin mindestens zwei Drittel dieser 1.008 Stimmen, um gewählt zu werden. Es ist aber fast ausgeschlossen, dass das klappt, die Parteien im Parlament haben sich bisher nicht mit einer solchen Mehrheit auf einen Kandidaten einigen können.
Klappt es nicht mit der Zwei-Drittel-Mehrheit, gibt es weitere Wahlgänge. Ab dem vierten Wahlgang reicht dann die absolute Mehrheit, also diesmal 505 Stimmen. Der vierte Wahlgang steht aber aller Voraussicht nach erst am Donnerstag an. Ab dann wird es wohl wirklich spannend.
Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass es aber auch deutlich länger dauern kann. Der Vorgänger von Amtsinhaber Mattarella, Giorgio Napolitano, wurde 2013 bei seiner Wiederwahl erst im sechsten Wahlgang gewählt. Und im Jahr 1971 brauchte der spätere Präsident Giovanni Leone sogar sage und schreibe 23 Wahlgänge.
Die momentan wahrscheinlichsten Kandidaten für das Staatspräsidenten-Amt sind drei: der aktuelle Premierminister Mario Draghi, der Amtsinhaber Sergio Mattarella – und Pier Ferdinando Casini, ein Veteran der italienischen Politik und früherer Präsident des Abgeordnetenhauses.
Allerdings sind alle drei Favoriten mit jeweils einem erheblichen Problem verbunden.
Es gibt auch Politikerinnen und Politiker mit Außenseiterchancen, darunter der frühere Premier und aktuelle Europäische Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni – und die amtierende Justizministerin Marta Cartabia sowie Elisabetta Belloni, Diplomatin und momentan oberste Koordinatorin der italienischen Geheimdienste.
Cartabia oder Belloni wären die erste Frau im obersten Staatsamt. Aber momentan scheinen sie keine Mehrheit in Aussicht zu haben.
Allerdings gibt es bei italienischen Präsidentenwahlen immer wieder Überraschungen: Den noch amtierenden Mattarella hatte 2015 auch lange fast niemand auf dem Schirm.
Es gibt eine Reihe an Ähnlichkeiten zwischen dem italienischen Präsidenten und dem deutschen Bundespräsidenten: Beide werden nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von einer gesonderten Versammlung, zu denen auch alle Abgeordneten des nationalen Parlaments gehören. Sie sind (anders als die Präsidenten etwa von Frankreich oder den USA) nicht die mächtigsten Politiker der Nation, sondern haben vor allem die Funktion, den Staat im eigenen Land und in der Welt zu repräsentieren.
Allerdings ist der italienische Präsident aus mehreren Gründen etwas mächtiger als der deutsche: Der Präsident in Rom hat eine deutlich größere Rolle bei der Regierungsbildung als der in Berlin, er ernennt ein Drittel der Verfassungsrichter – und italienische Präsidenten haben in den vergangenen Jahren deutlich häufiger die Möglichkeit genutzt, Gesetzen nicht zuzustimmen oder sogar Minister abzulehnen. 2018 tat Mattarella das: Er verweigerte der populistischen Regierung aus der rechten Lega und der Protestbewegung Movimento Cinque Stelle die Ernennung des erklärten Euro-Skeptikers Paolo Savona zum Wirtschafts- und Finanzminister, was europaweit für Aufsehen sorgte.
Eine Personalie hat schon Wochen vor der italienischen Präsidentenwahl weltweit für Aufsehen gesorgt: Silvio Berlusconi bemühte sich lange ernsthaft darum, ins oberste Staatsamt zu kommen.
Wer in den Nullerjahren schon politisch interessiert war, hat noch eine ziemlich lebendige Erinnerung an die skandalöse Vergangenheit Berlusconis: Der frühere Medienunternehmer und ehemalige Präsident des Fußballklubs AC Mailand war erst in den 1990ern und dann von 2001 bis 2006 und von 2008 bis 2011 Premierminister Italiens.
In dieser Zeit fiel er kaum durch bedeutende politische Projekte auf – dafür aber durch Attacken auf die Pressefreiheit und die unabhängige Justiz, durch zahlreiche Gerichtsverfahren gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen und anderer mutmaßlicher Wirtschaftsstraftaten – und durch bodenlose Attacken auf andere Politiker: Den damaligen Präsidenten des EU-Parlaments Martin Schulz verglich Berlusconi 2003 mit einem KZ-Aufseher, Angela Merkel beleidigte er in einem abgehörten Telefongespräch sexistisch. Gegen den 85-Jährigen laufen im Zusammenhang mit seinen berüchtigten "Bunga-Bunga"-Sexpartys noch immer Prozesse.
Berlusconi hat Italien jahrzehntelang in Gegner und Unterstützer gespalten, während der Präsident in Italien (wie in Deutschland) überparteilich sein und das Land einen soll. Experten räumten Berlusconi deshalb ohnehin kaum Chancen ein, die Abstimmung zu gewinnen.
Am vergangenen Wochenende zog Berlusconi seine Kandidatur dann zurück, nachdem auch er selbst keine Chance mehr für sich gesehen hatte, eine Mehrheit bei der Präsidentenwahl zu bekommen. Sein wohl prominentester Unterstützer aus Deutschland war Manfred Weber gewesen, stellvertretender CSU-Chef und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. Für diese Unterstützung hatte Weber Empörung geerntet, auch aus den Reihen seiner eigenen Partei.