Bereits seit Jahren steigt die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland an. Aktuell sind es rund fünf Millionen. Die meisten von ihnen, rund vier Millionen Menschen, werden zu Hause versorgt. Hauptsächlich von ihren Angehörigen.
Die stehen unter hoher Belastung – und haben oftmals Probleme, kurzfristig Vertretungen zu organisieren. Mit dem Entlastungsbudget sollen ebenjene pflegende Angehörige nun unterstützt werden.
Doch vorausgegangen war ein wochenlanger heftiger Ampel-Streit über das Entlastungsbudget. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Reform vor einigen Wochen als Entwurf vorgelegt. Am Freitag soll die Pflegereform im Bundestag beschlossen werden. Zufrieden sind längst nicht alle.
Was genau waren die Streitpunkte und warum wird die Reform nun trotz Kompromiss so stark kritisiert? Watson hat die wichtigsten Antworten zusammengefasst.
Die Pflegereform soll ab kommendem Jahr schrittweise eingeführt werden. SPD, Grüne und FDP haben sich dabei auf einen Kompromiss geeinigt. Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), teilte mit, es soll ...
Moll erklärte dabei, dass besonders bei pflegebedürftigen Kindern in der Vergangenheit Ansprüche verfallen waren, da es beispielsweise keine Angebote vor Ort gab.
Das Entlastungsbudget soll es den pflegenden Familien nun erleichtern, etwa kurzfristige Vertretungen zu organisieren. Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink begründete dies am Dienstag zudem damit, dass pflegende Angehörige somit einfacher Auszeiten nehmen könnten, während die Pflege sichergestellt sei.
Klein-Schmeink zufolge bedeutet die Reform konkret in Zahlen:
Bisher konnten Anspruchsberechtigte für eine Verhinderungspflege, also sprich eine kurzfristige Vertretung, 1612 Euro jährlich beziehen. Für eine Kurzzeitpflege, wenn Pflegebedürftige nur kurzfristig auf eine Pflege angewiesen sind, standen ihnen 1774 Euro zu. Nun soll das Gesamtbudget auf 3386 Euro pro Jahr angehoben werden, das flexibel für beide Leistungen eingesetzt werden kann.
Zur Gegenfinanzierung der jährlichen Kosten von rund 500 Millionen Euro sollen nach "RND"-Informationen die Leistungen für die ambulante Pflege Anfang 2024 nicht um fünf Prozent erhöht werden, sondern nur um 4,5 Prozent. Zuletzt wurde das Pflegegeld für Pflegebedürftige 2017 erhöht. Vor sechs Jahren.
Geplant ist zudem, den Pflegebeitrag zum 1. Juli um 0,35 Prozentpunkte anzuheben – für Menschen ohne Kinder noch etwas stärker. Das soll auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Aktuell liegt er bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Kinderlose bei 3,4 Prozent.
Ursprünglich war die Einführung des flexibel nutzbaren Budgets bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Allerdings wurde das Vorhaben kurz vor Beschlussfassung des Gesetzesentwurfes im Kabinett wieder gekippt. Die FDP widersprach am Dienstag Darstellungen, dies sei auf ihren Druck hin geschehen.
"Dass es kurzzeitig aus dem Gesetzentwurf gefallen ist, ist Sache des Bundesgesundheitsministeriums", erklärte die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Nicole Westig. "Wir haben lediglich auf die angespannte Finanzlage der sozialen Pflegeversicherung hingewiesen und zur Vorsicht bei Leistungsausweitungen aufgerufen."
Das Entlastungsbudget hingegen sei Teil des FDP-Wahlprogramms und im Koalitionsvertrag vereinbart. Wichtig sei, dass es nun komme, betonte Westig.
Jetzt soll es wohl dabei bleiben: Ein flexibel einsetzbares Gesamtbudget von 3386 Euro soll kommen. Und damit die Verhinderungspflege mit der Kurzzeitpflege zusammengelegt werden.
SPD und Grüne hatten in den parlamentarischen Beratungen noch auf weitere Verbesserungen, vor allem für die Pflege zu Hause gedrängt, die über den vom Kabinett auf den Weg gebrachten Entwurf hinausgehen.
Dass das Vorhaben kurzzeitig aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden war, sorgte für heftige Kritik bei Grünen sowie Pflege- und Sozialverbänden.
Nun loben Patientenschützer zwar das flexible Budget, kritisieren aber die geplante Gegenfinanzierung.
Zur Erinnerung: Das Pflegegeld steigt nur um 4,5 Prozent. In Zeiten der Inflation bleibt den pflegenden Angehörigen davon nichts. Sie zahlen sogar weiterhin drauf. Sechs Jahre lang wurde der Betrag zudem nicht erhöht. In dieser Zeit sind sowohl eine Pandemie als auch ein Krieg ausgebrochen und die Inflation liegt aktuell bei 6,9 Prozent.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", schon die ursprünglich geplante Anhebung um fünf Prozent ab 2024 sei ein Bruch politischer Versprechen gewesen. Schließlich habe die Regierung der Bevölkerung die Zusage gegeben, die Leistungen regelhaft an die Preissteigerung anzupassen. Brysch appellierte an die Abgeordneten, "diese Reform so nicht zu beschließen".
Der Patientenschützer kritisierte zudem, dass das gemeinsame Entlastungspaket erst Mitte Juli komme. "Nach sechs Jahren Stillstand liegt die häusliche Pflege der vier Millionen betroffenen Menschen am Boden", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nennt die Kürzung der Anhebung der Leistungsbeträge in der ambulanten Pflege "nicht nachvollziehbar". Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer, sagte: "Hier fehlt jeglicher Bezug zur Realität und das offenbart erneut, wie sehr die Finanzen der Pflege auf Kante genäht sind."
(Mit Material der dpa und afp)