1.034.709-mal "Ja". Die Berlinerinnen und Berliner haben am Sonntag bei einem Volksentscheid mit einer Mehrheit von 56,4 Prozent für die Enteignung großer Wohnungskonzerne gestimmt. Jetzt liegt es am Berliner Senat (so heißt die Landesregierung in dem Bundesland), eine Entscheidung für oder gegen ein solches Gesetz zu treffen.
Am Sonntag fand allerdings nicht nur ein Volksentscheid statt – gewählt wurde auch der neue Landtag, das Abgeordnetenhaus. Da die SPD diese Wahl gewonnen hat, muss sie sich mit ihrer Spitzenkandidatin Franziska Giffey darum kümmern, eine neue Landesregierung zu bilden – und auf den Volksentscheid zu reagieren.
Die Berliner SPD-Spitze hält sich allerdings weiterhin offen, mit wem sie eine Koalition bildet. Jetzt gibt es erste Gespräche. "Wir fangen am Freitag mit den Grünen an. Und dann mit den Linken. Also mit den bisherigen Koalitionspartnern", sagte Co-Parteichef Raed Saleh am Dienstag im rbb-Inforadio. Dann sollen FDP und CDU folgen.
Was bedeutet das jetzt? Wie geht es weiter? Ein Überblick:
Wohnen ist teuer. Vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München steigen die Mieten immer weiter. Einer Untersuchung der Berliner Humboldt-Universität im Auftrag der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung zufolge bleibt in fast 1,1 Millionen Haushalten in Deutschland nach Abzug der Miete von ihrem Einkommen weniger als das Existenzminimum übrig. "Wohnen kann arm machen", schreiben die Forscher.
In Berlin haben sich deshalb mehr als 200 Initiativen für Mieterinnen und Mieter zusammengeschlossen und Unterschriften gesammelt. Sie machen vor allem große Wohnkonzerne für die steigenden Mietkosten verantwortlich und kritisieren, dass die Konzerne mit den Gewinnen aus der Vermietung vor allem die Dividenden ihrer Aktionäre bezahlten und mit den Immobilien spekulierten.
Die Initiativen sammelten Unterschriften und konnten – auf Grundlage der Artikel 59 und 62 der Berliner Landesverfassung – einen Volksentscheid herbeiführen.
Bürgerinnen und Bürger beschließen mit einem Volksentscheid nicht automatisch ein neues Gesetz. Denn es gibt in Berlin verschiedene Arten eines Volksentscheids. Jetzt haben die Menschen erst einmal dafür gestimmt, dass der Senat ein Gesetz vorschlagen muss, das den Wunsch der Berlinerinnen und Berliner widerspiegelt. Das Abgeordnetenhaus muss dann darüber abstimmen. Das heißt, der Volksentscheid ist erstmal nicht rechtlich bindend.
Der Senat muss jetzt schauen, alle Maßnahmen einzuleiten, um diese Konzerne – gemeint sind alle Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen – gegen eine entsprechende Entschädigung zu vergesellschaften. Dass das Land Berlin jetzt plötzlich alle 240.000 Immobilien im Eigentum großer Wohnkonzerne kauft, ist aber trotzdem unwahrscheinlich.
Kurz gesagt: Ein Volksbegehren ist die erste Stufe, wenn Bürgerinnen und Bürger wollen, dass sich die Politik mit einem bestimmten Thema befasst. Ein Volksentscheid kann nur stattfinden, wenn das Volksbegehren zustande gekommen ist.
Das geschieht dann, wenn der Initiator oder die Initiatorin des Begehrens mindestens 20.000 beziehungsweise 50.000 Unterschriften (je nach Art des Begehrens) gesammelt hat, dem Antrag stattgegeben wird – und sich letztlich noch einmal mindestens 7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für dieses Volksbegehren aussprechen.
Volksentscheide sind die darauf folgenden Abstimmungen über das jeweilige Begehren. Sie können damit über bestimmte Sachfragen entscheiden, Gesetze beschließen oder sogar die Wahlperiode vorzeitig beenden. Sie können auch den Senat zu einem Beschluss über einen Sachverhalt zwingen – das ist bei diesem Volksentscheid in Berlin nun geschehen.
Über die Kosten gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Der Initiative zufolge soll die Enteignung sogar "haushaltsneutral" funktionieren können. Das bedeutet, dass der Landeshaushalt – also das Geld, das der Regierung für Projekte, Förderungen oder andere Pläne zur Verfügung steht – nicht angefasst werden müsste.
Die Initiative schlägt vor, dass die Entschädigung für die enteigneten Konzerne aus Krediten oder Schuldverschreibungen finanziert wird. Diese Schulden sollen dann durch die Mieteinnahmen abbezahlt werden. Es entstünde, so die Initiative, keine Konkurrenz zu anderen notwendigen Ausgaben.