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Regierungschaos in Italien: Bleibt Ministerpräsident Mario Draghi oder geht er?

Italiens Regierungschef Mario Draghi steht aktuell unter Druck.
Geht er oder nicht? Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi sieht sich in einer schweren politischen Krise.Bild: IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / ZUMA Wire
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Regierungschaos in Italien: Bleibt Ministerpräsident Mario Draghi oder geht er?

19.07.2022, 10:2119.07.2022, 10:38
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Italien blickt der nächsten Krise entgegen. Erst im Februar hatte sich eine neue Regierung in Rom zusammengefunden. Mario Draghi löste den vorherigen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte ab. Nun könnte all das wieder vorbei sein. Draghi wollte Mitte Juli aufgeben – Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat den angebotenen Rücktritt aber abgelehnt.

Was hat es mit dem Rücktrittswunsch des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi auf sich? Aus welchen Gründen will er das Handtuch werfen und wie geht es nun weiter für unser Nachbarland Italien? Diese und weitere Fragen klärt watson für euch.

Was ist passiert?

In Italien droht seit vergangenen Donnerstag eine politische Krise: Die Regierungskoalition steht nicht hundert Prozent hinter dem Ministerpräsidenten Mario Draghi. Genau genommen gibt es Streit mit der Fünf-Sterne-Bewegung.

Die größte Partei der Koalition blieb wie angekündigt der Vertrauensfrage fern, worauf Draghi seinen Rücktritt angekündigt hat. Die Vertrauensfrage sollte gestellt werden, um zu sehen, ob Draghi eine Mehrheit für sein geplantes Hilfspaket hat. Der Ministerpräsident hatte vor der Abstimmung betont, er könne ohne die Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung nicht regieren.

Der 75-Jährige ist Chef einer buntgemischten Regierung. Zu ihr gehören unter anderen Parteien wie die rechtsnationale Lega, die konservative Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, die Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD) sowie viele kleinere weitere Parteien.

Draghi begründet seinen Rücktrittswunsch gegenüber seinen Ministerinnen und Ministern so:

"Die Koalition der nationalen Einheit, die diese Regierung getragen hat, gibt es nicht mehr, ebenso das Vertrauen, das bisher die Basis unserer Arbeit war."

Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella hat Draghi daraufhin zum persönlichen Gespräch einberufen und lehnte den Rücktritt vorerst ab.

Wer ist die Fünf-Sterne-Bewegung und worüber streitet sie sich mit Draghi?

Die Fünf-Sterne-Bewegung, auch bekannt als Movimento 5 Stelle (M5S), ist eine EU-kritische und populistische Partei Italiens.

Der italienische Kabarettist, Komiker und TV-Star Beppe Grillo hat die Fünf-Sterne-Bewegung 2009 ins Leben gerufen.
Der italienische Kabarettist, Komiker und TV-Star Beppe Grillo hat die Fünf-Sterne-Bewegung 2009 ins Leben gerufen.Bild: IMAGO / ZUMA Press / Jacopo Landi

Sie entstand 2009 aus einer Protestbewegung unter Beppe Grillo unter anderem gegen korrupte und überbezahlte Politiker. Der ehemalige TV-Entertainer Grillo gewann daraufhin schnell eine große Anhängerschaft.

Im Laufe der Jahre hat die Partei einige pro-russische Positionen eingenommen, militärische Interventionen abgelehnt sowie den Austritt aus der transatlantischen Allianz (NATO) befürwortet.

Guiseppe Conte, der Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung, lehnt Draghis Konjunkturpaket ab und boykottiert die Parlamentabstimmung.
Guiseppe Conte, der Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung, lehnt Draghis Konjunkturpaket ab und boykottiert die Parlamentabstimmung.Bild: IMAGO / ZUMA Press / Massimo Percossi

Grund für das Zerwürfnis mit Draghi ist die Abstimmung über ein milliardenschweres Hilfsdekret im Senat, mit dem eine Vertrauensabstimmung verbunden ist.

Die hohe Geldsumme soll italienischen Familien sowie Unternehmen zugutekommen. Unter anderen ist eine einmalig 200-Euro-Prämie für jeden Bürger vorgesehen, um die Folgen der massiven Preiserhöhungen abzufedern. Zusätzlich soll die finanzielle Unterstützung in den klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung fließen.

Die mitregierende Fünf-Sterne-Partei kritisiert das Dekret in mehreren Punkten. Sie fordert unter anderen einen höheren Geldbetrag und die Einführung eines Mindestlohnes. Aus Protest blieben sie der Abstimmung fern. So ermöglichten sie es Draghi, die nötige Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu erhalten. Er überstand außerdem die Vertrauensfrage und verabschiedete das Konjunkturpaket.

Trotzdem will Draghi zurücktreten, da er nicht mehr das gesamte Vertrauen seiner Regierung besäße.

Bleibt oder geht Draghi?

Der italienische Staatschef Mattarella lehnt den Wunsch Draghis, sein Amt niederzulegen, ab. Der Präsident verkündet unter anderen über Twitter, dass er den Ministerpräsidenten dazu auffordere, dem Parlament Bericht zu erstatten und die Lage zu bewerten.

Fest steht, dass Draghi zunächst im Amt bleibt. Diesen Mittwoch soll er auf Bitte des Präsidenten vor den beiden Parlamentskammern, dem Abgeordnetenhaus sowie dem Senat eine Erklärung abgeben.

Wie geht es jetzt weiter?

Es stehen zwei Möglichkeiten im Raum: Entweder Draghi bleibt und stellt sich einer neuen Vertrauensabstimmung oder er bekräftigt seinen Wunsch zurückzutreten. Dann könnte es zur Bildung einer Übergangsregierung kommen, die das Land bis zum eigentlichen Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2023 führt. Sollte auch das nicht gelingen, bleiben nur noch vorgezogene Neuwahlen.

Die Tageszeitung "La Repubblica" berichtet, dass sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Izi Spa 53 Prozent der Italiener gegen vorgezogene Neuwahlen aussprechen. 51 Prozent der Bevölkerung begrüße, wenn Draghi im Amt bliebe – auch mit einer anderen Koalition. Währenddessen spricht sich die rechtsnationale Partei Lega, die ebenfalls Teil der Koalition ist, für sofortige Neuwahlen aus.

Der Parteichef Matteo Salvini twittert:

"5-Sterne und PD blockieren Italien schon seit Langem mit ihrem Streit und ihren Forderungen. Die Italiener ertragen das nicht mehr."

Der PD und Italia Viva sprechen sich hingegen klar dafür aus, dass Draghi im Amt bleiben soll. Matteo Renzi, der Gründer und Chef der Italia Viva Partei, unterstützt die Petition, die Unterschriften zum Verbleib Draghis sammelt. Bisher seien mehr als 80.000 Unterschriften eingegangen, um Draghi zu sagen: "Verhandeln Sie mit niemandem, kommen Sie ins Parlament und halten Sie eine Rede. Wir sind da. Mach weiter mit Draghi."

Auch mehrere Bürgermeister italienischer Großstädte wie Rom und Mailand haben sich zu Wort gemeldet. In einem offenen Brief fordern sie Draghi auf, sein Amt zu behalten.

Ungünstiger Zeitpunkt für eine politische Krise

Diese politische Krise belastet Italien zusätzlich. Das Land steckt ohnehin inmitten einer Dürre- und Energiekrise. Außerdem sieht es sich – wie der Rest Europas – mit den Folgen des Ukraine-Krieges konfrontiert.

Die Inflation setzt der Wirtschaft stark zu. Die Mailänder Börse reagiert auf die Regierungskrise mit Kursverlusten. Unternehmen leiden unter Lieferengpässen und die Landwirte fürchten sich vor enormen Ernteausfällen durch die langanhaltende Dürre.

Die italienische Regierung scheitert währenddessen ausgerechnet an einem Beschluss, der dieses Krisen-Konglomerat abfedern soll.

Der Parteichef der Fünf-Sternen-Bewegung äußert sich dazu:

"Wir brauchen sofortige Signale. Mit einer einmaligen 200-Euro-Prämie wird niemand vor Krise und Inflation bewahrt. Die Movimento 5 Stelle wurde geboren, um die Rechte der Bürger zu verteidigen und auf ihre wahren Bedürfnisse einzugehen. Um jeden Preis, jederzeit."

Italien erwartet gespannt Draghis Entscheidung diesen Mittwoch. Aber auch Europa steht unter Spannung: So sollen unter anderen der deutsche Bundeskanzler Scholz, der französische Staatspräsident Emanuel Macron und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in den vergangene Tagen Draghi kontaktiert haben.

Sie wünschen sich, dass er im Amt bleibt, für die Stabilität Italiens und Europas.

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