ich mache jetzt mal einen auf Franz Josef Wagner und schreibe dir einen Brief. Wie geht es dir so? Du musst ja gerade viel einstecken und zwar nicht nur das Vorrunden-Aus der Weltmeisterschaft.
Von Fußball habe ich nicht viel Ahnung, aber das macht nichts. Das, was ich in letzter Zeit an Diskussionen um dich so mitbekomme, hat ohnehin nicht viel mit Fußball zu tun.
Du bist scheinbar gerade der Staatsfeind Nummer Eins.
Warum nur?
So fing es an
Okay. Du hast dich im Mai mit Erdoğan ablichten lassen
Gündoğan erklärte das Trikot-Foto im Nachhinein damit, dass er nicht unhöflich sein wollte. Du hast bisher geschwiegen.
Was hat dein Foto mit dem WM-Aus zu tun?
Der Verband, den du zum Weltmeister gemacht hast und wieder machen solltest, fiel dir in den Rücken, erst Oliver Bierhoff, dann DFB-Präsident Reinhard Grindel. Aber zu was sollst du eigentlich Stellung nehmen? Was hat dein Foto mit Erdoğan überhaupt mit dem Scheitern der WM zu tun?
Das Foto war sicher dumm. Aber mit einem derartigen Shitstorm, der von allen Seiten genutzt wird, hätte auch keiner rechnen können.
2014 wurde die Mannschaft und ganz Deutschland mit dir Weltmeister in Brasilien. Da hast du deinen Soll erfüllt, da durftest du weiter mitspielen. Und nicht nur auf dem Platz, du warst der Integrations-Joker, die deutsch-türkische Medaille, mit der man sich gern schmückt. "Unser" Özil, "unser" Türke, der für Deutschland spielt. Multikulti hatte endlich ein Gesicht. Du warst der Junge aus Gelsenkirchen.
Jetzt ist alles anders.
Nach dem Foto mit Erdogan kam direkt die Frage auf: Bist du überhaupt noch Deutsch? Spielst noch für "uns" Deutsche, Mesut? Oder – ein schrecklicher Verdacht aus der Verschwörungstheorie-Ecke – hast du etwa extra schlecht gespielt? Du singst ja nicht mal die Nationalhymne mit! Du bist keiner von uns, Mesut! Du hast uns zu Fall gebracht! Diese Art von emotionaler Beweisführung nimmt in deinem Fall schon fast obsessive Züge an.
Der Jens von der AfD war sehr verletzt
Auch die Jessica will endlich wieder eine "echte Nationalmannschaft".
Das war schon bei den Gastarbeitern so
Der aktuelle Umgang mit dir erinnert mich an die Fünfzigerjahre und den deutschen Anspruch, Deutschlands Gastarbeiter sollen für die Wirtschaft arbeiten, still ihre Arbeit verrichten und ihre Klappe halten. Und wenn sie die aufmachen, dann sollen sie lieber wieder gehen. Das beinhaltet ja schon das Wort "Gastarbeiter". Ihr seid hier nur zu Gast. Nie Zuhause. Auch du Mesut, obwohl du hier geboren bist.
Was sie meinen: "Solange du keine Fehler machst, bist du einer von uns". Ruhig sein, abliefern und dann vom Platz gehen, das wird von dir erwartet. 2014 hast du deinen Job in Brasilien erledigt, jetzt hast du in den Augen vieler Fans versagt. Und jetzt bist du nicht mehr Deutsch. Obwohl du deine türkische Staatsbürgerschaft vor mehr als zehn Jahren abgegeben hast.
So besser, liebe Kritiker?
Du schweigst weiterhin, obwohl der DFB-Chef eine Stellungnahme fordert. Dass du jetzt schweigst, ist vielleicht konsequent. Wenn überhaupt, dann hättest du damals was sagen sollen. Aber damals akzeptierte der Verband noch dein Schweigen.
Egal, was du jetzt von dir gibst, es wird gegen dich verwendet werden
Jetzt ist es auch egal, was du sagst, du wirst weiter beschossen werden. Da sich die gesamte Enttäuschung mit dem ohnehin schon in der Gesellschaft schwelenden Hass auf dir entladen würde.
Natürlich könntest du dir auch denken: "Jetzt erst recht" und die Antwort auf dem Platz geben. Du bist bestimmt ein Kämpfer – aber willst du dich weiter in die Schusslinie stellen? Ständig Berichte über deine lethargischen Leistungen und die ewige Hymnen-Diskussion lesen? Oder Pfiffe bei "Heim"-Spielen über dich ergehen lassen? Du kannst jetzt in zwei Jahren nur Europameister werden, darunter geht gar nichts mehr. Und dann würden sich wohl auch wieder die Menschen mit dir schmücken, die dich jetzt fallen gelassen haben.
Ich rate dir: Tu' dir das nicht an, Mesut! Zeig' allen lieber den Mittelfinger. Du könntest der schlechteste Spieler auf dem Platz sein; diese Diskussion hast du nicht verdient.
Mesut, Abi*, tritt doch am besten einfach zurück und erspar dir dieses würdelose Bashing von allen Seiten. Du hast es nicht nötig, du bist immerhin auch nur ein Mensch. Und dann werden sie vielleicht merken, was ihnen fehlt. Jetzt aber erstmal einen schönen Urlaub.
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15 Spiele, zehn Siege, vier Unentschieden und nur eine Niederlage. Die Bilanz des DFB-Teams im Kalenderjahr 2024 kann sich sehen lassen, gerade nach den schwierigen vergangenen Jahren. Darauf verwies auch Julian Nagelsmann, als er nach dem 1:1 gegen Ungarn, dem letzten Länderspiel des Jahres, in die Analyse ging.