International
In Bosnien-Herzogowina bat Erdogan Tausende Auslandstürken um "Rekordzahl an Stimmen"
Aus Deutschland und Österreich, aus Norwegen und den
Niederlanden waren Türken nach Sarajevo gereist. Sie kamen mit Autos
und Bussen, für viele war die Strecke mehr als 1000 Kilometer lang.
Zu sehen bekamen sie den Mann, für den sie die Strapazen auf sich
nahmen, am Sonntag nur kurz: Gerade einmal 40 Minuten sprach der
türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinem bislang einzigen
geplanten Wahlkampfauftritt im europäischen Ausland.
Die mehr als
10.000 angereisten Auslandstürken bat er bei den Wahlen am 24. Juni
um eine "Rekordzahl an Stimmen". Für Erdogan könnte die Unterstützung
der Türken vor allem in der EU diesmal ausschlaggebend sein.
Bild: Pool Presdential Press Service
Auslandstürken machen etwa fünf Prozent aller Wähler aus. Umfragen
deuten darauf hin, dass die bevorstehende Wahl für Erdogan nach
jetzigem Stand kein Durchmarsch wird. Nach einer aktuellen Umfrage
des Meinungsforschungsinstituts Sonar – das bei der Präsidentenwahl
2014 nah am Ergebnis lag - würden derzeit in der ersten Wahlrunde am
24. Juni nur 42 Prozent für Erdogan stimmen. Die fünf Kandidaten der
Opposition kämen zusammen auf eine satte Mehrheit.
Selbst in AKP-Kreisen wird derzeit unter der Hand eingeräumt, dass
Erdogan die absolute Mehrheit in der ersten Runde verfehlen könnte.
Manche Gegner Erdogans sind des Präsidenten so überdrüssig, dass sie
in einer Stichwahl am 8. Juli auf jeden Fall für dessen Gegner
stimmen wollen, unabhängig von dessen politischer Ausrichtung – nach
dem Motto: Hauptsache, die Ära Erdogan endet. Kritiker befürchten für
den Fall von Erdogans Wahlsieg eine Ein-Mann-Herrschaft – und sehen
in diesen Wahlen die womöglich letzte Chance, das noch zu verhindern.
Umso wichtiger sind also die rund drei Millionen Wahlberechtigten im
Ausland. Fast die Hälfte davon lebt in Deutschland, und unter ihnen
hat Erdogan überproportional viele Anhänger. Der Schluss liegt nahe,
dass Erdogan statt in Bosnien lieber in Deutschland gesprochen hätte.
Hätte die Bundesregierung dem nicht einen Riegel vorgeschoben:
Im Frühjahr vergangenen Jahres hatten geplante Wahlkampfauftritte
türkischer Regierungsvertretern in Deutschland vor dem Referendum in
der Türkei die Dauerkrise zwischen Berlin und Ankara nochmals
verschärft. Im Juni zog die Bundesregierung die Reißleine, sie verbot
Wahlkampf für "Amtsträger" aus Nicht-EU-Staaten.
Die Maßnahme war
klar auf Erdogan gemünzt, der kurz darauf am Rande des G20-Gipfel in
Hamburg vor Landsleuten sprechen wollte.
Erdogans AKP hält das deutsche Wahlkampfverbot für unfair. Die
Opposition kritisiert wiederum den Wahlkampf der AKP in der Türkei.
Wie ungleich die Voraussetzungen dort sind, darauf lassen Statistiken der Rundfunkbehörde RTÜK schließen:
Demnach räumte der Staatssender
TRT Vertretern der Allianz aus Erdogans AKP und der
ultranationalistischen MHP zwischen dem 17. April und dem 6. Mai 37
Stunden und 40 Minuten Sendezeit ein. Die versammelte Opposition kam
auf 3 Stunden und 14 Sekunden, wobei die pro-kurdische HDP und die
islamistische Saadet-Partei überhaupt nicht stattfanden.
Nicht nur Deutschland, auch die Niederlande und Österreich - wo
ebenfalls viele wahlberechtigte Türken leben – untersagten türkische
Wahlkampfauftritte. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten
(UETD) – die früher umstrittene Auftritte Erdogans in Deutschland
organisiert hatte – wich nun auf Sarajevo aus. Aus Kreisen der UETD heißt es:
"Wir wollten nicht, dass es in Deutschland zu ähnlichen Ereignissen kommt wie letztes Jahr beim Referendum. Deswegen haben wir gesagt, wir machen die Veranstaltung in Bosnien."
Neuen Streit mit dem wichtigen Handelspartner Deutschland scheint
auch Erdogan derzeit nicht zu wollen – erst recht nicht, weil die
Wirtschaft in der Türkei in eine Krise zu schlittern droht. Die
Inflation ist längst zweistellig, die türkische Lira hat gegenüber
dem Dollar seit Jahresbeginn rund 15 Prozent an Wert verloren. Die
mit Abstand größte Sorge der Türken ist einer Umfrage zufolge nicht
mehr die Terrorbedrohung, sondern die wirtschaftliche Lage.
In seiner Ansprache in Sarajevo forderte Erdogan seine Anhänger
dennoch auf, "den Terrororganisationen und ihren lokalen und
ausländischen Handlangern eine osmanische Ohrfeige zu verpassen",
indem sie ihn wählen. Für seine Verhältnisse war die Rede aber
moderat.
Bild: Pool Presdential Press Service
Anders als beim Wahlkampf für das Verfassungsreferendum – wo
er Deutschland und die Niederlande mit Nazi-Vergleichen überzogen
hatte. "Wir wollten nicht, dass es in Deutschland zu ähnlichen Ereignissen kommt wie letztes Jahr beim Referendum. Deswegen haben wir gesagt, wir machen die Veranstaltung in Bosnien" griff er in Sarajevo am Sonntag kein Land namentlich an.
Den Bosniern dankte Erdogan für den Wahlkampfauftritt, wenn auch mit
einem fragwürdigen Vergleich.
"Zu einer Zeit, in der glorreiche europäische Länder, die behaupten, die Wiege der Demokratie zu sein, versagt haben, hat Bosnien-Herzegowina gezeigt, dass es wirklich demokratisch ist, indem es uns ermöglicht, uns hier zu treffen."
Erdogan in Sarajevo
Auch
in Bosnien löste Erdogans Wahlkampf allerdings heftigen Streit aus.
Eingefädelt hatte Erdogans Auftritt das muslimische Mitglied im
dreiköpfigen Staatspräsidium, Bakir Izetbegovic. Seine beiden "Mit-Präsidenten" erfuhren von dem Besuchsplänen erst aus den Medien.
(Can Merey und Thomas Brey, dpa)
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