Es ist eines dieser Tore, das im Fußball Helden schaffen sollte. Die eigene Mannschaft liegt zurück. Dann, in den letzten paar Minuten, schafft ausgerechnet der eingewechselte Verteidiger die Rettung per Ausgleichstreffer. Ein solches Tor hat Bundesliga-Profi Kaan Ayhan von Fortuna Düsseldorf gerade für die Türkei in der EM-Quali gegen Frankreich geschossen. Aber als Helden feiern ihn seitdem nur wenige, stattdessen kommt es noch auf dem Platz zum Streit mit dem Torschützen. Der Grund: Das türkische Militär ist gerade trotz weltweiter Kritik in Nordsyrien einmarschiert, um die Kurden von dort zu vertreiben.
Und ja, das hat mit Fußball zu tun. Denn als Ayhan in der 81. Minute sein Tor schießt, reagiert eine Mehrzahl an türkischen Profis mit einem Militärgruß. Vor der eigenen Kurve salutieren sie, genau wie viele Fans, für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen Militär-Offensive. Das passierte auch schon vor einer Woche bei einem Spiel der Türken gegen Albanien. Damals machte auch Ayhan noch mit. Diesmal aber weigert er sich.
Ayhans Sinneswandel und das, was auf ihn folgt, zeichnet prototypisch das Dilemma, das viele Deutschtürken gerade durchleben. Dahinter steckt offenbar eine Strategie Erdogans. Zusammen mit einem Experten haben wir Ayhans Drama in 5 Akten rekonstruiert.
Da war wie gesagt die Albanien-Partie am vergangenen Freitag. 1:0 gewinnt die Türkei dieses Spiel und auch hier zeigen die Spieler der Nationalmannschaft bereits den Militärgruß, um ihre Unterstützung für den Militäreinsatz Erdogans auszudrücken.
Kurz nach dem Ereignis reagiert der Europäische Fußball-Verband (Uefa). Er kündigt an, ein Verfahren gegen den türkischen Verband einzuleiten. Das Regelwerk des europäischen Verbandes verbietet politische Äußerungen in Stadien. Die türkischen Nationalspieler hatten direkt nach dem Siegtreffer und später auch in der Kabine mit der Hand an der Stirn salutiert. Und wie erwähnt: Unter ihnen waren dort auch die beiden Profis Ayhan und Kenan Karaman von Bundesligist Fortuna Düsseldorf. (Auch Karaman wird sich später gegen Frankreich nicht am Militärjubel beiteiligen).
In Deutschland aber ist der der Militäreinsatz auf heftige Kritik gestoßen. Vor allem die Opfer unter der kurdischen Zivilbevölkerung sorgen hierzulande für Schlagzeilen. Als sich der gebürtige Gelsenkirchener Ayhan diesen Einsatz offenbar zu eigen macht, prasselt die Wut auch auf ihn.
Fortuna Düsseldorfs Sportvorstand Lutz Pfannenstiel sucht daraufhin das Gespräch mit seinen beiden Spielern. Beide versichern ihm, dass es sich lediglich um eine Solidaritätsbekundung für Soldaten und deren Angehörigen gehandelt habe. Damit verbunden sei der Wunsch gewesen, dass diese wieder gesund zu ihren Familien zurückkehren können. Bei der Fortuna zeigen sie Verständnis für diese Argumentation.
Dennoch sollte Ayhans Fall nicht der einzige bleiben. Was auch bei anderen deutsch-türkischen Fußballern für öffentliche Aufregung sorgte, zeigt wie öffentliche Figuren zwischen die Fronten unterschiedlicher Einstellungen geraten können. Sie werden für und gegen den Krieg instrumentalisiert und können es eigentlich nur falsch machen. (Das erklärt der Rassismusforscher Karim Fereidooni in Akt 5.)
Kurz vor dem Spiel der deutschen Nationalelf gegen Estland am Sonntag drehen sich die Schlagzeilen plötzlich um Emre Can und Ilkay Gündogan. Die beiden DFB-Spieler hatten ein Bild des türkischen Nationalspielers Cenk Tosun auf Instagram gelikt, wie die "Bild" berichtet. Darauf zu sehen, man denkt es sich jetzt schon: Türkische Nationalspieler, wie sie ein Tor bejubeln – mit einem Militärgruß salutierend vor der Ehrentribüne.
Tosun, der selbst auch auf dem Foto zu sehen ist, schrieb dazu: "Für unsere Nation, besonders für diejenigen, die ihr Leben für unsere Nation riskieren." Can und Gündogan hatten das Bild von ihrem in Wetzlar geborenen, deutsch-türkischen Kumpel kurze Zeit später wieder entlikt.
Gündogan verteidigte dann auch sein Verhalten, dass er den Like zurückgenommen habe, als er gesehen habe, dass es politisch gewertet wurde. Nach dem Spiel gegen Estland wollte Gündogan, zweifacher Torschütze, erst nichts sagen, dann stellte er sich doch noch den Medien: "Ich habe schon ein Bild gelikt, weil es ein Freund ist und ich mich über sein Tor gefreut habe, weil er in Everton derzeit nicht viel spielt", so Gündogan. "Es ist schade, dass da so eine Geschichte daraus gemacht wird. Dahinter steckt keine politische Absicht. Emre und ich sind gegen jegliche Art von Krieg oder Terror – egal, wo."
Can sagte: "Ich habe den Post von Tosun, den ich schon lange kenne, beim Scrollen gelikt, ohne jegliche Intention und auf den Inhalt zu achten. Ich bin ein absoluter Pazifist und gegen jede Art von Krieg." Nach dem Estland-Spiel wiederholte er seine Worte und erklärte: "Das war nicht so gemeint, ich bin gegen Krieg. Mehr will ich dazu auch nicht sagen." Nach dem Spiel hatte Bundestrainer Joachim Löw über Gündogans Tore gesagt: "Ich denke, das ist ein klares Bekenntnis zu Deutschland." Und er fügte hinzu: "Wer die beiden kennt, weiß, dass die beiden natürlich gegen Terror und gegen Krieg sind."
Härtere Folgen gab es für Cenk Sahin, bisher Spieler bei St. Pauli. Sahin hatte in einem Instagram-Post seine Unterstützung für die umstrittene türkische Militäroffensive in Syrien demonstriert. "Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!", hatte der 25-Jährige zu einem Foto mit türkischer Flagge geschrieben. Nachdem Gespräche im Verein offenbar keine Lösung brachten, trennte dieser sich vom Spieler. Es ist der erste offene Bruch zwischen einem deutschem Verein und einem türkischem Spieler wegen der Syrien-Offensive.
All diese Streits und den Rauswurf bei Pauli wird auch Ayhan mitbekommen haben. Ob aus inhaltlicher Überzeugung oder aus Angst um seinen Job: in der 81. Minute gegen Frankreich geht er weg, als die anderen salutieren.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, habe es nach der politischen
Geste sogar einen Disput zwischen Verteidiger Merih Demiral von
Juventus Turin und Ayhan gegeben. Demiral soll den Torschützen dazu
animiert haben, ebenfalls zu salutieren. Dieser habe aber seinen Weg
zurück aufs Feld fortgesetzt, was Fotos aus dem Stadion belegen. Ähnlich war es mit Karaman.
Auf eine watson-Anfrage an Fortuna Düsseldorf, ob und wie man den eigenen Spieler in Schutz nehmen möchte, hat der Verein bisher noch nicht reagiert.
Wie sie es machen, sie machen es falsch. Dabei haben alle oben genannten Spieler, bis auf Cenk Sahin, zumindest glaubwürdige Erklärungen zu ihrem Verhalten abgegeben und auch Konsequenzen folgen lassen, die zumindest zeigen: Da bewegen sich welche, weil sie verstanden haben. Und aus dem Schneider sind die drei dadurch keineswegs.
Dass Ayhan, Can und Gündogan jetzt Anfeindungen aus der Türkei und zuvor aus Deutschland bekommen, zeigt, wie verfahren die Situation für Deutschtürken ist, die sich öffentlich gegen den patriotischen Militarismus aussprechen, der gerade bei vielen Türken zu herrschen scheint.
"Dahinter steckt für die Spieler natürlich ein gesellschaftlicher Druck, dass vielleicht Familien der Nationalspieler bedrängt werden", erklärt Karim Fereidooni, Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum mit Froschungsschwerpunkten Politische Bildung und Rassismuskritik. So könne es durchaus sein, ist er überzeugt, dass vielleicht nur ein Teil der Spieler tatsächlich Erdogan unterstützen will. "Man merkt, dass acht Mitspieler vielleicht Erdogan-Anhänger sind und die letzten drei salutieren aus diesem Druck heraus", so Fereidooni. Gruppenzwang in der Mannschaft und den Fans gegenüber.
Deutsch-türkische Spieler müssen sich früh entscheiden, ob sie für die türkische Nationalmannschaft oder die deutsche spielen – mit beiden Ländern sind sie verbunden. Aus beiden Ländern kann es Kritik geben. So wurde Mesut Özil als gebürtiger Gelsenkirchener mit türkischen Eltern im Jahr 2010 beim Spiel gegen die Türkei in Berlin noch von türkischen Fans ausgepfiffen, weil er sich dafür entschieden hatte für Deutschland zu spielen. Acht Jahre danach ächteten den ehemals gefeierten Helden Millionen Deutsche, weil er sich mit "seinem" türkischen Präsidenten Erdogan auf einem Foto ablichten ließ.
Im Fall des Militärsaluts sei es falsch diese Debatte als "kulturell" zu beschreiben, sagt dabei Fereidooni: "Wir sollten aufhören, die Verhaltensweisen von Menschen alleine mit der Kultur zu beschreiben. Es gibt nicht die türkische oder die deutsche Kultur." Und weiter sagt er: "Jeder Mensch, egal ob türkisch-, deutsch- oder norwegisch-stämmig, hat selber die Fähigkeit, darüber nachzudenken, was eigene Aussagen bei anderen Menschen bewirken. Man ist nie dazu gezwungen, einem Krieg zuzustimmen."
Der Forscher betont, dass durch die salutierenden Fußballer und Fans ein falsches Bild durch die Medien transportiert würde.
Beim Spiel in Frankreich sah die Weltöffentlichkeit salutierende türkische Fans und Spieler, es wirkte wie ein Bild eines einheitlichen Landes. Das sei trügerisch, erklärt Fereidooni. "Auch in der türkischen Gesellschaft gibt es genug Leute, die nicht für diesen Krieg sind. Diese kritischen Stimmen innerhalb der Türkei müssen auch wahrgenommen werden", sagt er und erklärt, dass die derzeitige Vorgänge nur dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Karten spielen: "Erdogan wollte mit den Bildern der salutierenden Nationalspieler bezwecken, dass das Bild entsteht, die ganze Türkei sei für diesen Krieg." Dass ein gegenhaltender Ayhan Ausgrenzung erfährt, passt in dieses Gesellschaftsbild rein.
Fereidooni fasst zusammen: "Man muss von jedem Menschen – auch von Fußballspielern – erwarten, dass sie sich da aber frei äußern und es auch aushalten können, wenn es Gegenwind gibt." Das hat Ayhan getan, gleich zweimal.