Anfangs prognostizierten viele eine schnelle Niederlage der Ukraine, mittlerweile scheint der Ausgang offen. Drei Wochen dauert der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine nun schon an. Europa spürt als Auswirkungen die Flüchtlingswelle und die astronomisch gestiegenen Energiekosten. Sandra Maischberger diskuiert die Aspekte der Woche mit folgenden Gästen:
Der Westen steht hinter der Ukraine, aber in sicherem Abstand. Er beliefert den Staat mit Waffen im Milliardenwert. Doch trotz aller Hilferufe von Präsident Wolodymyr Selenskyj wägt Europa ganz genau ab, wie weit es sich in den Konflikt hineinwagt. Und wenn es nach Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) geht, wird das in Zukunft auch so bleiben. "Es darf keine Auseinandersetzung zwischen Russland und der Nato geben." Da wäre die Nukleargefahr zu groß.
Sandra Maischberger will von ihrem Gast wissen, was man denn sonst noch tun könne. "Alle Optionen liegen jeden Tag auf dem Tisch. Aber man muss wissen, was man tut", sagt Lindner etwas kryptisch. Eine konkrete Möglichkeit wäre, kein Öl mehr aus Russland zu kaufen. Aber darauf will Lindner nicht eingehen. Erst als Maischberger spekuliert, ob ein Öl-Embargo kommt, nachdem die Ölreserve aufgestockt ist, scheint es, als husche ein kurzes Lächeln über Lindners Gesicht. "Dazu möchte ich nichts sagen und auch nicht so verstanden werden."
Öl, das ist im Moment Lindners Punkt. Präziser: das zu Benzin und Diesel verarbeitete Öl.
Der Bundesfinanzminister hat einen Benzinzuschusses ins Spiel gebracht, sodass der Preis für den Bürger bei unter zwei Euro pro Liter bleibt. Er wolle "ganz schnell einen Entlastungseffekt in der ganzen Breite der Gesellschaft". Als er dann erklären will, warum eine Steuersenkung nicht viel bringen würde, unterbricht ihn Maischberger. Es ergibt sich ein kleines Wortscharmützel: Maischberger: "Ich will sie nicht unterbrechen." Lindner: "Tun Sie aber!" Maischberger: "Da haben Sie 'nen Punkt." Lindner: "Lassen wir es doch! Lassen Sie mich doch einmal einen Satz zu Ende machen." Lässt sie ihn aber nicht. Ob er denn wirklich glaube, dass sein Vorschlag eine Mehrheit finde. "Ich sehe in der SPD viele, die dafür sind."
Zum Ende geht es dann noch kurz um das Thema, das uns alle zwei Jahre lang beschäftigt hat, und nun durch den Krieg fast vergessen ist: Corona.
Lindner verteidigt den baldigen Wegfall der meisten Maßnahmen trotz Infektions-Höchstständen. Er sei gerade in Brüssel gewesen, und da würde es sich ohne Maßnahmen "schon wieder normal" anfühlen. Freiheitseingriffe seien nur bei einer "strukturellen Überlastung des Gesundheitssystems" möglich. Er sehe aber nur eine "Belastung". Für ihn steht fest:
Ob er so etwas wie Normalität spürt bei Sandra Maischberger im Fernsehstudio? Alexander Rodnyansky kommt gerade aus der Ukraine. Der Berater von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtet: "Die Lage ist schlimm."
Umso mehr zollt er dem Überraschungsbesuch der drei Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien Respekt als "symbolische Geste", aber auch ganz konkret als Maßnahme, die half, "den Sturm von Kiew zu verhindern, oder ihn zumindest hinauszuzögern".
Dabei stehe Kiew noch verhältnismäßig gut da. Vor allem im Osten des Landes sei die Lage schlimmer. "Es mehreren sich Gerüchte von Vergewaltigungen von Frauen und Erschießungen von Zivilisten." Und doch besteht für ihn kein Zweifel daran, dass die Ukraine eine echte Chance hat im Krieg.
Sein Präsident hat oft gefordert, eine Flugverbotszone zu errichten. "Idealerweise" würde er sich das auch wünschen. "Aber es ist klar, dass es da Bedenken gibt." Das könne die Nato mit hineinziehen und damit den Krieg unkontrolliert ausweiten. Eine Alternativlösung könnte die Bereitstellung von fortgeschrittenen Flugabwehrsystemen sein, findet Rodnyansky.
Und auch weitere Sanktionen seien nötig, obwohl es ja derzeit Verhandlungen mit der russischen Seite gibt. Die sieht er nämlich nur als Täuschung, um Zeit zu gewinnen. "Wir glauben bis jetzt nicht wirklich an eine friedliche Lösung – das deckt sich nicht mit den militärischen Handlungen." Für ihn steht fest: "Dieses Regime versteht nur Stärke, das Regime sucht die militärische Lösung."
Zugeschaltet von einem geheimen Ort ist die Gründerin von Doschd TV, Natascha Sindeewa. Über Jahre machte sie ein kritisches Programm. Anfang März kann ihr Sender wegen des neuen Propaganda-Gesetzes in Russland nicht mehr senden. "Die Propaganda-Maschinerie betreibt Gehirnwäsche", sagt sie. Dass sich jüngst die TV-Journalistin Marina Owsjannikowa mit einem Anti-Kriegs-Plakat samt Hinweis auf die Propaganda-Lügen in die Hauptnachrichtensendung geschmuggelt hat, findet sie grundsätzlich gut. "Natürlich waren alle erstaunt von dieser Aktion, weil es heroisch war, weil es mutig war." Ob es in Russland große Wirkung zeigt – da klingt sie dann skeptisch.
Oft ist Maischbergers wechselndes Kommentatoren-Trio mehr oder minder Füllmaterial für die Sendung. Und nie zuvor hat sich ein Gast so in Rage geredet wie ARD-Börsenexpertin Anja Kohl. Sie betrachtet den Krieg in der Ukraine aus der Finanz-Sicht, aber ohne dabei die Menschen zu vergessen. "Es ist nicht egal, wer diesen Krieg gewinnt, nicht moralisch, nicht politisch und auch nicht wirtschaftlich, weil er die neue Weltordnung bestimmt", startet sie in einem merklich angefassten Tonfall.
In einem Rant, bei dem sie auch Maischberger nicht bremsen kann, macht sie ihre Punkte klar. Sie habe Sorge, dass die von russischen Truppen belagerte Hafenstadt Mariupol in "eine Art europäisches Aleppo" zerbombt werde. "Der Westen muss sich dazu verhalten." Für sie ist das, so klingt es, kein Eingreifen der Nato, sondern eine Verschärfung der Sanktionen. "Es war ein Fehler Deutschlands und der EU, sich nicht dem US-Embargo von Öl anzuschließen." Russisches Öl sei relativ leicht durch welches aus anderen Quellen ersetzbar. Und überhaupt – Deutschland habe eine 90-Tage-Öl-Reserve.
"Wann soll man die einsetzen, wenn nicht im Krieg?" Bei Gas sei es schwieriger, aber auch möglich. "Wichtig ist: Dieser Krieg muss schnell enden. Die Kosten, was Menschen, was Finanzen angeht, sind zu hoch." Und gerade in Zusammenhang mit den derzeitigen Corona-Lockdowns in China könne sich das außerdem zu einer ernsthaften Weltwirtschaftskrise auswachsen.
Was die ängstliche Fixiertheit auf Putins Gas angeht, rät sie zum Perspektivwechsel. Russlands einzige ernstzunehmende Einnahmequelle seien die Energieverkäufe: "Im nächsten Herbst, im nächsten Winter, wird Putin sein Gas händeringend verkaufen müssen." Als der Publizist Wolfram Weimar zwischendurch einmal einwirft, man müsse bei aller Moral einen kühlen Kopf bewahren, kontert sie: "Das hat nichts mit Moral zu tun, das hat mit wirtschaftlichen Zusammenhängen zu tun." Für sie steht fest:
Für Deutschland hält sie akute Maßnahmen-Pakete zum Senken der Energiepreise über die Steuern für unabdinglich. Und dann wettert sie noch gegen Lindners Tankrabatt. "Auch, wenn ich nicht mehr eingeladen werde", das sei nur "ein planwirtschaftlicher Energierabatt" und nicht einmal den bekomme man durch.
Die beiden Herren haben wenig zu melden bei Anja Kohl. Und auch Maischberger schafft es kaum, sie zu unterbrechen. Einzig Journalist und Podcaster Thilo Jung landet einen Originalitätspunkt, als er Lindners Tankrabatt als "Putin-Soli" bezeichnet, weil er ja den Ölverbrauch nicht mindere.