Starmoderator bei Fox News: Tucker Carlson.Bild: ap / Richard Drew
Analyse
Tucker Carlson ist die einflussreichste Stimme der Konservativen – und eine Gefahr für die Demokratie.
Philipp Löpfe / watson.ch
In Sachen Rechtspopulismus kann man Boris Johnson weiß Gott nichts vormachen, und mit aggressiven Boulevard-Medien kennt sich der ehemalige britische Premierminister ebenfalls bestens aus. Doch als Johnson kürzlich auf einer US-Tournee weilte, konnte selbst er kaum fassen, wie Amerikas Rechte sich vor Tucker Carlson ducken.
"Ich bin erstaunt und es erschreckt mich, wie viele Menschen Angst haben vor einem Typen namens Tucker Carlson", so der Ex-Premier. "Was ist los mit diesem Typen? Alle diese wunderbaren Republikaner scheinen irgendwie verängstigt vor ihm und seiner Perspektive zu sein."
Selbst Boris Johnson schüttelt den Kopf
Weiter führte Johnson aus:
"Ich habe mir zwar nicht angeguckt, was er alles von sich gibt. Aber es überrascht mich, wie oft er immer wieder erwähnt wird. Er setzt schlimme Ideen in die Welt und beeinflusst, wie Putin wahrgenommen wird. Das ist eine Katastrophe. Er steht für Krieg, Aggression, systematischen Mord, Vergewaltigung und Zerstörung."
Fox News ist eine Macht in der amerikanischen Politik. Der konservative Sender vereint weit mehr Zuschauer als alle anderen rechten Medien kumuliert. Und innerhalb von Fox News ist Tucker Carlson zur führenden Stimme geworden. Das will etwas heißen, denn an rechten Schreihälsen hat es dem Murdoch-Sender wahrlich noch nie gemangelt. Hier nur eine Shortlist: Bill O’Reilly – er musste wegen sexueller Belästigung abtreten – oder Glenn Beck oder Laura Ingraham und Jugde Jeanine Pirro.
Lange konnte sich Sean Hannity in der Rolle des Chefideologen bei Fox News sonnen. Inzwischen ist der etwas biedere Trump-Kumpel entthront worden, denn während Hannity nach wie vor stramm neoliberal und unternehmensfreundlich unterwegs ist, hat Carlson keine Beißhemmungen gegenüber dem Big Business. Er wettert gegen die Elite, den "Davos man", und unterstellt ihr, eine globale Diktatur errichten zu wollen. Frontal greift er auch Big Tech und den Woke-Kapitalismus an und versteht sich als Fürsprecher des kleinen (weißen) Mannes.
Auch die Elite der Republikanischen Partei bekommt von Carlson ihr Fett weg. Mitch McConnell und Lindsey Graham werden regelmäßig beschimpft. Auf sehr viel Verständnis des Starmoderators können indes die Vertreter des extrem rechten Flügels wie Marjorie Taylor Greene oder Matt Gaetz rechnen.
Drei Gleichgesinnte: Marjorie Taylor Greene, Tucker Carlson und Donald Trump.Bild: AP / Seth Wenig
Logisch ist Carlson ein glühender Putin-Versteher – und wird auch regelmäßig am russischen Staatsfernsehen zitiert. Fast täglich fordert er Präsident Joe Biden auf, er solle sich doch besser um die Grenze zu Mexiko kümmern, anstatt Milliarden zur Verteidigung der Ukraine auszugeben. Nebst Putin verehrt Carlson auch führende Rechtspopulisten wie Viktor Orban – er hat gar einmal seine Sendung eine ganze Woche lang aus Budapest ausgestrahlt – und Jair Bolsonaro, den abgewählten Präsidenten Brasiliens.
Jetzt hat Kevin McCarthy, der republikanische Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Carlson einen weiteren Knüppel in die Hand gegeben. Er hat ihm exklusiv das Recht erteilt, rund 40.000 Stunden Videomaterial auszuwerten, das von den Sicherheitskräften des Kapitols während den Ereignissen des 6. Januars 2021 aufgezeichnet wurde.
Dass McCarthy damit den Bock zum Gärtner gemacht hat, ist weit untertrieben. Carlson hat bereits in einer dreiteiligen Serie die absurde These zu untermauern versucht, der Sturm auf das Kapitol sei in Tat und Wahrheit eine "False flag"-Operation des FBI. Und die große Mehrheit der Kapitol-Stürmer seien letztlich nur Patrioten gewesen, die ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit mehrheitlich friedlich wahrgenommen hätten. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen gegen 1000 dieser "friedlichen Patrioten" wegen Landfriedensbruchs angeklagt und teils schon verurteilt worden sind, ist dies eine ziemlich steile These.
Hat Tucker Carlson einen weiteren Knüppel in die Hand gegeben: Kevin McCarthy.Bild: AP / Jose Luis Magana/fr159526
Zudem ist zu befürchten, dass Carlson das umfangreiche Videomaterial dazu missbrauchen wird, eine Gegenthese zum Befund des Ausschusses zur Abklärung der Ereignisse des 6. Januars zu errichten. Und den Sturm auf das Kapitol als eine leicht aus dem Ruder gelaufene Demonstration darzustellen. Dass er dabei möglicherweise auch das Sicherheitsdispositiv der Polizei verrät, dürfte ihm egal sein.
Tucker Carlson besitzt keinen moralischen Kompass. Das zeigen auch die internen Mails von Fox News. Sie sind einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, weil Dominion, ein Hersteller von Wahlmaschinen, gegen den Murdoch-Sender eine Schadenersatzklage in der Höhe von 1,6 Milliarden Dollar eingereicht hat. Grund der Klage ist die auch von Fox News immer wieder verbreitete Behauptung, diese Maschinen seien zugunsten von Biden manipuliert gewesen.
Im Zuge der wegen dieser Klage durchgeführten Ermittlungen bei Fox News kam zutage, dass die führenden Köpfe nie an Trumps Big Lie geglaubt haben. Und dass sie die Vertreter dieser absurden Lüge, vor allem Trumps Anwälte Rudy Giuliani und Sidney Powell, für Verrückte hielten. Trotzdem wiederholten sie deren Vorwürfe immer wieder in ihren Sendungen.
Auch Carlson machte bei diesem zynischen Spiel mit, ja, er forderte gar, dass eine Reporterin, die sich um die Fakten kümmerte, fristlos entlassen werde. Er kümmert sich nicht um die Wahrheit, sondern um das Image und den Aktienkurs des Unternehmens.
David French, Kolumnist bei der "New York Times", ist ein langjähriger traditioneller Konservativer. Er beschreibt die Rolle von Fox News wie folgt: "Es ist mehr als eine Nachrichten-Quelle. Es ist der Ort, wohin sich das 'Rote Amerika' (das konservative Amerika) begibt, um sich emotional zu bestätigen. Bei jedem wichtigen Ereignis wendet es sich zuerst an Fox News."
Seit über 1000 Tagen herrscht bereits Krieg in der Ukraine. Und das, obwohl der russische Präsident Wladimir Putin das kleinere Nachbarland binnen weniger Tage einnehmen wollte. Nach bald drei Jahren herrscht eine enorme Kriegsmüdigkeit – nicht nur in der Ukraine.