Nicht nur in den USA, auch in Deutschlang belästigen selbsternannte Lebensschützer:innen Frauen auf dem Weg zur Schwangerschaftsabbruch-Beratung.Bild: IMAGO/aal.photo / mufkinnphoto
Analyse
06.04.2023, 15:5506.04.2023, 16:07
Die Welt, so macht es immer wieder den Eindruck, wird wieder nach und nach unfreier: Für queere Menschen, die nicht ins heteronormative Weltbild passen zum Beispiel. Und für Frauen. Unter anderem, wenn sie ungewollt schwanger sind. In Polen und Ungarn beispielsweise wurden in den vergangenen Jahren die Abtreibungsregelungen verschärft. In den USA sind vielerorts christliche Hardliner:innen auf dem Vormarsch.
Mit dem "Abtreibungsurteil" von 2022 haben auch im Land der Freiheit die Bundesstaaten die Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche weiter zu kriminalisieren. Abtreibungsgegner:innen von "March for Our Lives" mobilisieren in den Staaten regelmäßig – und sind mittlerweile ein Exportschlager.
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Und in Deutschland? Hier hat die Ampel-Koalition den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Den "Werbeparagrafen". Ein guter Start.
Schwangerschaftsabbrüche sind generell im Strafgesetzbuch geregelt – in der Rubrik der Straftaten gegen das Leben. Und auch in Deutschland kommt es immer wieder zu sogenannten Gehsteigbelästigungen, Protestaktionen durch Abtreibungsgegner:innen vor Beratungsstellen. Was also lässt sich tun, um unfreiwillig Schwangere besser zu schützen?
Ungeborenes Leben bisher besser geschützt als Schwangere
Für Céline Feldmann, vom Deutschen Juristinnenbund (djb), ist klar: freiwillige Schwangerschaftsabbrüche müssen aus dem Strafrecht raus. Die Strafrechtlerin ist Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch, die im Winter ein Positionspapier herausgebracht hat.
Weltweit demonstrieren Menschen für ein universelles Recht auf sichere Abtreibungen.Bild: LaPresse via ZUMA Press / Alessandro Bremec
Darin spricht sich der djb für eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen aus – und für reproduktive Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. In dem Papier stellen die Autorinnen klar: Die aktuelle Regelung berücksichtigt das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person nicht ausreichend.
Das steht im Gesetz
Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 12. Woche zulässig. Allerdings nur, wenn sich die schwangere Person vorher hat beraten lassen und noch einmal drei Tage Bedenkzeit hatte. Später ist ein Abbruch nur möglich, wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat (Vergewaltigung) hervorging – oder eine Fortführung gesundheitliche Risiken birgt.
Warum das so ist, erklärt Feldmann so:
"Das Bundesverfassungsgericht legt dem Staat hinsichtlich der Grundrechte teilweise Schutzpflichten auf – in seiner letzten Entscheidung 1993 hat es dabei entschieden, dass der Staat das ungeborene Leben so schützen müsse, dass es eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bedarf."
In vielen Staaten ist die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen, strafbar.Bild: LaPresse via ZUMA Press / Marco Alpozzi
Die UN-Frauenrechtskonvention habe bereits angemerkt, dass sowohl die Beratungs-, als auch die Wartepflicht nach menschenrechtlichen Vereinbarungen unzulässig seien. Die WHO plädiert laut Feldmann dafür, den Abbruch zu entkriminalisieren.
Der djb unterstützt das. So könnte auch der ungerechtfertigten Stigmatisierung entgegengewirkt werden – und die Frist für den Abbruch zu verlängern. Wobei auch danach die Schwangeren selbst nicht sanktioniert werden sollten, sondern nur die ausführenden Ärzt:innen.
Natürlich sei ungeborenes Leben schützenswert, stellt Feldmann klar. Aber: Die derzeitige Regelung berücksichtige nicht die Rechtsposition der schwangeren Person. Zudem seien andere Maßnahmen, wie etwa der Ausbau von Familienplanungsdiensten und Beratungsangeboten, die Zurverfügungstellung von (Not-) Verhütungsmitteln geeigneter, um den Schutz des ungeborenen Lebens zu gewährleisten. Denn ein Fötus könne nur mit und nicht gegen die schwangere Person geschützt werden.
Nach aktuellem Strafrecht steht der Schutz des ungeborenen Lebens über dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person. Bild: pexels / Daniel Reche
Eine Forderung, die die Organisation Terre des Femmes teilt. Die Organisation spricht sich für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch aus. Auf watson-Anfrage heißt es:
"Schwangerschaftsabbrüche sollten unserer Ansicht nach als Gesundheitsleistung behandelt werden, die Regelung im Einzelnen überlassen wir den JuristInnen."
Lebensschützer demonstrieren vor Beratungsstellen
Ein Vorschlag, der vor allem selbsternannten Lebensschützer:innen nicht gefallen dürfte. Sie versuchen heute schon, Schwangere von ihrer Entscheidung abzubringen. Zum Beispiel, indem sie vor Beratungsstellen beten oder demonstrieren. Darunter Anhänger:innen der Pro-Life-Bewegung "Sundays for live", die regelmäßig durch bayerische Städte marschieren.
Auch auf ihrem Instagram-Kanal mobilisiert die Gruppe gegen Schwangerschaftsabbrüche – mit bunten Bildchen, aber auch mit Schreckens-Postings. Auf ihrer Webseite nennen die Abtreibungsgegner:innen Schwangerschaftsabbrüche "die größte Menschenrechtsverletzung unserer Zeit."
Im Schulterschluss mit Abtreibungsgegner:innen steht die Piusbruderschaft – ebenfalls selbsternannte Lebensschützer. Wie das Adolf-Bender-Zentrum recherchiert hat, schrecken die Gottesmänner dafür auch nicht vor einer engen Zusammenarbeit mit der NPD zurück.
Und nicht nur die enge Zusammenarbeit von Abtreibungsgegner:innen und rechten Akteuren sollte Grund zur Sorge sein – denn: Die Piusbruderschaft betreibt in Deutschland und der Schweiz diverse Schulen.
Die Sorge, dass dort im Religionsunterricht die nächste Lebensschützer:innen-Kohorte ausgebildet wird, ist zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen. Wie also ungewollt Schwangere vor Stigmatisierung bewahren?
Gehsteigbelästigungen per Ordnungsrecht verhindern
Terre des Femmes spricht sich für ein klares Verbot dieser Belästigungen aus. "Diese stellen keine Form der Versammlungsfreiheit dar, sondern verletzen das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Person und sollten zukünftig in Deutschland als Ordnungswidrigkeit geahndet werden", erklärt die Organisation auf Anfrage.
Für Strafrechtlerin Feldmann ist klar: Gehsteigbelästigungen könnten als Ordnungswidrigkeiten geregelt werden, die mit Bußgeldern verfolgt werden können. Zwar gibt es in Deutschland die Versammlungs-, die Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit – diese müsse aber in der jeweiligen Situation mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Schwangeren abgewogen werden. Und ein solcher Abbruch betrifft die Intimsphäre einer Person – und ist dadurch besonders schützenswert.
Familienministerin Lisa Paus möchte Gehsteigbelästigungen einen Riegel vorschieben.Bild: IMAGO / Political-Moments
So sieht das auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Ihr Ministerium arbeitet gerade an einem Gesetzentwurf, der die Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit einstufen soll. Die Neuregelung müsse aus Sicht der Ministerin klar vom bestehenden Demonstrationsrecht und der Demonstrationsfreiheit "abgetrennt" sein. Es sei außerdem wichtig, das bundesweit einheitlich zu regeln. Rückendeckung bekommt Paus bei ihrem Vorstoß von der SPD.
Weniger Stigmatisierung durch Entkriminalisierung
Natürlich, räumt Feldmann ein, würde die Entkriminalisierung nicht zu einem umfänglichen gesellschaftlichen Wandel führen. Deswegen brauche es weitere Ansatzpunkte, um gegen die Stigmatisierung vorzugehen. Eine dieser Stellschrauben wäre aus Sicht der Juristin eine verbesserte Versorgungslage:
"Wenn Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert wären, müssten beispielsweise die Länder sie in ihre Bedarfsplanung aufnehmen – und auch Krankenkassen müssten dann die Kosten übernehmen."
Schwangerschaftsabbrüche kommen bisher im Medizinstudium kaum vor.Bild: dpa / Sebastian Gollnow
Was sich außerdem ändern müsste: das kooperative Verwaltungsrecht der Krankenhäuser. Also die Möglichkeit, dass die Kliniken sich auf ihre Gewissens- und Glaubensfreiheit beziehen können – und deshalb die Abbrüche verweigern dürfen. Denn nach wie vor ist die Versorgungslage mehr als schlecht. Wie der MDR berichtet, haben 2022 noch 1106 Praxen und Kliniken einen Abbruch angeboten.
Gleichzeitig, stellt Feldmann klar, es müsse, auch wenn die Beratungspflicht wegfallen sollte, die Möglichkeit der Beratung nach wie vor gesichert sein. Außerdem sei es wichtig, dass Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil der medizinischen Ausbildung werden.