Die Welt, so macht es immer wieder den Eindruck, wird wieder nach und nach unfreier: Für queere Menschen, die nicht ins heteronormative Weltbild passen zum Beispiel. Und für Frauen. Unter anderem, wenn sie ungewollt schwanger sind. In Polen und Ungarn beispielsweise wurden in den vergangenen Jahren die Abtreibungsregelungen verschärft. In den USA sind vielerorts christliche Hardliner:innen auf dem Vormarsch.
Mit dem "Abtreibungsurteil" von 2022 haben auch im Land der Freiheit die Bundesstaaten die Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche weiter zu kriminalisieren. Abtreibungsgegner:innen von "March for Our Lives" mobilisieren in den Staaten regelmäßig – und sind mittlerweile ein Exportschlager.
Und in Deutschland? Hier hat die Ampel-Koalition den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Den "Werbeparagrafen". Ein guter Start.
Schwangerschaftsabbrüche sind generell im Strafgesetzbuch geregelt – in der Rubrik der Straftaten gegen das Leben. Und auch in Deutschland kommt es immer wieder zu sogenannten Gehsteigbelästigungen, Protestaktionen durch Abtreibungsgegner:innen vor Beratungsstellen. Was also lässt sich tun, um unfreiwillig Schwangere besser zu schützen?
Für Céline Feldmann, vom Deutschen Juristinnenbund (djb), ist klar: freiwillige Schwangerschaftsabbrüche müssen aus dem Strafrecht raus. Die Strafrechtlerin ist Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe Schwangerschaftsabbruch, die im Winter ein Positionspapier herausgebracht hat.
Darin spricht sich der djb für eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen aus – und für reproduktive Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. In dem Papier stellen die Autorinnen klar: Die aktuelle Regelung berücksichtigt das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person nicht ausreichend.
Warum das so ist, erklärt Feldmann so:
Die UN-Frauenrechtskonvention habe bereits angemerkt, dass sowohl die Beratungs-, als auch die Wartepflicht nach menschenrechtlichen Vereinbarungen unzulässig seien. Die WHO plädiert laut Feldmann dafür, den Abbruch zu entkriminalisieren.
Der djb unterstützt das. So könnte auch der ungerechtfertigten Stigmatisierung entgegengewirkt werden – und die Frist für den Abbruch zu verlängern. Wobei auch danach die Schwangeren selbst nicht sanktioniert werden sollten, sondern nur die ausführenden Ärzt:innen.
Natürlich sei ungeborenes Leben schützenswert, stellt Feldmann klar. Aber: Die derzeitige Regelung berücksichtige nicht die Rechtsposition der schwangeren Person. Zudem seien andere Maßnahmen, wie etwa der Ausbau von Familienplanungsdiensten und Beratungsangeboten, die Zurverfügungstellung von (Not-) Verhütungsmitteln geeigneter, um den Schutz des ungeborenen Lebens zu gewährleisten. Denn ein Fötus könne nur mit und nicht gegen die schwangere Person geschützt werden.
Eine Forderung, die die Organisation Terre des Femmes teilt. Die Organisation spricht sich für eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch aus. Auf watson-Anfrage heißt es:
Ein Vorschlag, der vor allem selbsternannten Lebensschützer:innen nicht gefallen dürfte. Sie versuchen heute schon, Schwangere von ihrer Entscheidung abzubringen. Zum Beispiel, indem sie vor Beratungsstellen beten oder demonstrieren. Darunter Anhänger:innen der Pro-Life-Bewegung "Sundays for live", die regelmäßig durch bayerische Städte marschieren.
Auch auf ihrem Instagram-Kanal mobilisiert die Gruppe gegen Schwangerschaftsabbrüche – mit bunten Bildchen, aber auch mit Schreckens-Postings. Auf ihrer Webseite nennen die Abtreibungsgegner:innen Schwangerschaftsabbrüche "die größte Menschenrechtsverletzung unserer Zeit."
Im Schulterschluss mit Abtreibungsgegner:innen steht die Piusbruderschaft – ebenfalls selbsternannte Lebensschützer. Wie das Adolf-Bender-Zentrum recherchiert hat, schrecken die Gottesmänner dafür auch nicht vor einer engen Zusammenarbeit mit der NPD zurück.
Und nicht nur die enge Zusammenarbeit von Abtreibungsgegner:innen und rechten Akteuren sollte Grund zur Sorge sein – denn: Die Piusbruderschaft betreibt in Deutschland und der Schweiz diverse Schulen.
Die Sorge, dass dort im Religionsunterricht die nächste Lebensschützer:innen-Kohorte ausgebildet wird, ist zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen. Wie also ungewollt Schwangere vor Stigmatisierung bewahren?
Terre des Femmes spricht sich für ein klares Verbot dieser Belästigungen aus. "Diese stellen keine Form der Versammlungsfreiheit dar, sondern verletzen das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Person und sollten zukünftig in Deutschland als Ordnungswidrigkeit geahndet werden", erklärt die Organisation auf Anfrage.
Für Strafrechtlerin Feldmann ist klar: Gehsteigbelästigungen könnten als Ordnungswidrigkeiten geregelt werden, die mit Bußgeldern verfolgt werden können. Zwar gibt es in Deutschland die Versammlungs-, die Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit – diese müsse aber in der jeweiligen Situation mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Schwangeren abgewogen werden. Und ein solcher Abbruch betrifft die Intimsphäre einer Person – und ist dadurch besonders schützenswert.
So sieht das auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Ihr Ministerium arbeitet gerade an einem Gesetzentwurf, der die Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit einstufen soll. Die Neuregelung müsse aus Sicht der Ministerin klar vom bestehenden Demonstrationsrecht und der Demonstrationsfreiheit "abgetrennt" sein. Es sei außerdem wichtig, das bundesweit einheitlich zu regeln. Rückendeckung bekommt Paus bei ihrem Vorstoß von der SPD.
Natürlich, räumt Feldmann ein, würde die Entkriminalisierung nicht zu einem umfänglichen gesellschaftlichen Wandel führen. Deswegen brauche es weitere Ansatzpunkte, um gegen die Stigmatisierung vorzugehen. Eine dieser Stellschrauben wäre aus Sicht der Juristin eine verbesserte Versorgungslage:
Was sich außerdem ändern müsste: das kooperative Verwaltungsrecht der Krankenhäuser. Also die Möglichkeit, dass die Kliniken sich auf ihre Gewissens- und Glaubensfreiheit beziehen können – und deshalb die Abbrüche verweigern dürfen. Denn nach wie vor ist die Versorgungslage mehr als schlecht. Wie der MDR berichtet, haben 2022 noch 1106 Praxen und Kliniken einen Abbruch angeboten.
Gleichzeitig, stellt Feldmann klar, es müsse, auch wenn die Beratungspflicht wegfallen sollte, die Möglichkeit der Beratung nach wie vor gesichert sein. Außerdem sei es wichtig, dass Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil der medizinischen Ausbildung werden.