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AfD-Parteiverbot: Warum das eigentliche Problem damit nur verschoben wird

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Die rechtspopulistische AfD ist mittlerweile in manchen Bundesländern laut Umfragen die stärkste Kraft.Bild: dpa / Andreas Arnold
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Chance oder Problemverschiebung? Was ein AfD-Verbot bedeuten würde

13.09.2023, 20:10
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Mit Zitaten wie diesen fällt die AfD regelmäßig auf. "In der Politikwissenschaft ist es heute wenig umstritten, dass es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Partei handelt", sagt Eric Linhart im Gespräch mit watson. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz.

Immer wieder wird im Zusammenhang mit der Partei die Forderung laut, ein Verbotsverfahren anzustreben.

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Robert Sesselmann (Mitte) ist der erste AfD-Landrat in Deutschland.Bild: dpa / Martin Schutt

Die AfD ist eine rechtsaußen Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sie gilt dort als Verdachtsfall. Die dazugehörige Jugendorganisation Junge Alternative (JA) wurde mittlerweile in mehreren Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft – ein Label, das die Mutterpartei bisher nur in Thüringen von offizieller Seite erhalten hat.

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Gleichzeitig befindet sich die Partei, die immer wieder mit antisemitischen und menschenfeindlichen Positionen auffällt, im Höhentaumel. Die Umfragewerte der AfD schießen in die Höhe. Bundesweit liegt die Partei aktuell in den Befragungen auf Platz zwei hinter der Union.

Rufe nach AfD-Parteiverbot werden lauter

Nicht verwunderlich, dass vielen Menschen dieser Erfolg, diese Vereinnahmung der Bürger:innen, Angst macht. Immer wieder wird deshalb der Vorschlag laut, ein Parteiverbot zu prüfen. Aber was würde das wirklich bringen?

Ein solches Verbotsverfahren, meint Linhart, hätte enorme Auswirkungen auf die Partei. Zumindest dann, wenn das Verfahren erfolgreich wäre. Konkret würde ein Verbot bedeuten, dass alle Strukturen und Finanzierungen der Partei wegfielen. Abgeordnete und Mitarbeitende würden entlassen, Kreisverbände und Jugendorganisationen aufgelöst.

Auch für Richter:innen, Lehrer:innen oder andere Menschen im Beamtenverhältnis, die derzeit AfD-Mitglieder sind, könnte es dann ungemütlicher werden, meint Linhart. Extremistisch eingestellte Beamt:innen könnten dann nicht mehr argumentieren, Mitglieder einer erlaubten und demokratisch gewählten Partei zu sein. "Wobei eine Partei, die demokratisch gewählt wurde, nicht demokratisch sein muss", stellt Linhart klar.

Das Faktencheck-Portal "Volksverpetzer" hat mittlerweile eine Petition gestartet, die fordert, dass ein Parteienverbot geprüft wird. Über 200.000 Menschen haben das Anliegen bereits unterzeichnet, darunter auch zahlreiche Promis wie Bela B. von den Ärzten, Jennifer Weist von Jennifer Rostock oder auch Nora Tschirner. "Wir fordern den Bundesrat auf, die Prüfung eines Verbots der AfD beim zuständigen Bundesverfassungsgericht zu beantragen", steht in der Petition. Auch SPD-Chefin Saskia Esken hat bereits erklärt, ein Verbotsverfahren zu begrüßen.

Wann kann eine Partei verboten werden?
Eine Partei kann laut dem Grundgesetz dann verboten werden, wenn sie nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung vertritt, sondern diese Haltung auch aktiv und in aggressiver Weise umsetzen will. Es reicht also nicht unbedingt, verfassungsfeindliche Ansichten zu vertreten. Vielmehr muss eine Partei – so zumindest lautete die Begründung beim Verfahren der NPD – auch die Relevanz innerhalb der Bevölkerung haben, dass tatsächlich befürchtet werden muss, dass sie den Umsturz der demokratischen Grundordnung bewerkstelligen kann. Die Hürden für ein Parteienverbot liegen sehr hoch. Ausgesprochen werden kann es nur vom Bundesverfassungsgericht – nach einem entsprechenden Verfahren.

Das Institut für Menschenrechte ist überzeugt davon, dass die AfD verboten werden könnte. In einer Studie kommt Rechtswissenschaftler Hendrik Cremer zu dem Schluss, dass die AfD das Ziel verfolgt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen – und gleichzeitig eine große Relevanz innerhalb der Bevölkerung spielt.

AfD-Verbotsverfahren ist ein zweischneidiges Schwert

Ob ein mögliches Verbotsverfahren am Ende erfolgreich wäre, lässt sich laut Linhart nicht ablesen. Denn: Gerichte können neue Argumente für ihre Entscheidungen anbringen. Bei den Verboten der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Sozialistischen Reichspartei sei die Relevanz innerhalb der Bevölkerung zum Beispiel noch kein Thema gewesen – bei der NPD schon.

So hält Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Uni Oldenburg die Forderung etwa für chancenlos. Im Gespräch mit dem MDR erklärt er, nicht damit zu rechnen, dass die Partei tatsächlich die hohen Hürden eines Parteienverbots erreichen würde – vielmehr könne ein solches Verfahren, ein Booster für die Partei sein.

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Bei der rechtsextremen NPD ist ein Verbotsverfahren gescheitert.Bild: dpa / Fabian Strauch

Eine Sorge, die auch Linhart teilt. Natürlich würde ein Parteiverbot einen enormen Effekt haben, schließlich dürfte sich die Partei auch nicht einfach so neu gründen – denn ein Verbot gilt auch für Nachfolgeorganisationen. Aber: Ein Verfahren dauert lang, in dieser Zeit könnte die Partei die Bestrebung nutzen, um sich zum Opfer zu stilisieren.

Zwar geht der Politikwissenschaftler davon aus, dass einige Wähler:innen von der AfD abrücken, wenn ihnen bewusster wird, wie extrem die Partei tatsächlich ist – andere könnte es aber noch weiter in ihrer Anti-Staats-Haltung bestärken. Linhart sagt: "Ob sich die Effekte am Ende neutralisieren oder ob einer der Effekte größer ist und falls ja, welcher, kann man im Moment nur schwer abschätzen."

Auch Politikexperte Johannes Hillje sieht ein Verbotsverfahren skeptisch. "Ein Verbot der AfD löst nicht das gesellschaftliche Problem rechtsradikaler und rechtspopulistischer Einstellungen, die weit über die Partei hinausgehen", erklärt er auf watson-Anfrage. Dass Menschen sich der AfD zuwendeten, weil die aktuelle politische Lage schwierig sei, sei ein extremes Demokratieproblem.

Hinzu käme, dass die AfD ein Scheitern des Verfahrens als weitere Legitimation ihrer eigenen Verharmlosung nutzen könnte. "Es muss darum gehen, der Normalisierung der AfD entgegenzuwirken und Menschen für demokratische Politik zu gewinnen", stellt Hillje klar. Demokrat:innen seien nun aufgefordert, die AfD politisch zu isolieren – und nicht deren Narrative zu übernehmen.

Es sei klar, meint Linhart, dass ein Verbotsverfahren niemals ausreichen wird. Die Einstellungen sind in der Gesellschaft vorhanden, 20 Prozent der Bürger:innen geben aktuell in Umfragen an, die AfD wählen zu wollen. Was es deshalb unbedingt bräuchte: Demokratieförderung. Und zwar im Bereich der Förderung ziviler Projekte als auch bei der politischen Bildung. Nur so würden die Menschen zu mündigen Bürger:innen.

Mit einer ordentlichen Bildung zu Politik, Geschichte und Medien könnte vermieden werden, dass sich so viele Menschen von der AfD und ihren einfachen Lösungen fangen ließen. "Die Frage, die man auch stellen kann, lautet: Bräuchten wir überhaupt ein Verbotsverfahren, wenn alle Menschen ausreichend politisch gebildet würden und daher weniger anfällig für die vermeintlich einfachen Konzepte der AfD wären?", sagt der Politikwissenschaftler.

Allerdings würde eine bessere politische Bildung höchstens mittelfristig wirken, und zudem sehe er keine ausreichenden politischen Anstrengungen hierfür.

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