Die einen sagen, es ist eine Reform und ein guter Schritt in die richtige Richtung, die anderen sagen, es ist mehr ein Reförmchen und eine verpasste Chance: die Umstrukturierung der Bundeswehr.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte seine Pläne für die Truppe Anfang April in einer Pressekonferenz vorgestellt. Zuvor hatte eine Arbeitsgruppe im Bundesverteidigungsministerium unter der Überschrift "Bundeswehr der Zukunft" einige Vorschläge erarbeitet.
"Kriegstüchtig" soll sie sein – für den Ernstfall: einen Nato-Krieg mit Russland. Jahrelang wurde die Bedrohung durch Putin verschlafen, nun will man sich wappnen.
Doch das Wort "kriegstüchtig" hörte man auf der Pressekonferenz dann nicht mehr. Ob er sich davon verabschiedet habe, wollte ein Journalist wissen. Nein, die deutliche Antwort Pistorius'. Ihm sei bewusst, dass sich viele daran stießen, aber er werde den Begriff weiter verwenden.
Dafür hört man in diesen Tagen in dem Zusammenhang immer wieder die Abkürzung LV/BV: Landes- und Bündnisverteidigung. Die sicherheitspolitische Zeitenwende in Europa.
Genau, was Pistorius erreichen möchte: eine "Bundeswehr der Zeitenwende", wie er sagt.
Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) träumt sogar von einer europäischen Armee. Doch Pistorius muss sich erst einmal um die Probleme des eigenen Landes kümmern.
Keine leichte Aufgabe, wo das Verteidigungsministerium doch auch gerne mal als politischer "Schleudersitz" bezeichnet wird.
Die Reform des Verteidigungsministers war lange erwartet worden. Nun schlägt sie zwar nicht ein wie eine Bombe, aber Pistorius zeigt dennoch, dass er es ernst meint mit der Kriegstüchtigkeit der Truppe.
Eckpunkte der Umstrukturierung sind ein einheitliches operatives Führungskommando sowie der Bereich Cyber- und Informationsraum als vierte Teilstreitkraft neben Heer, Marine und Luftwaffe. Hinzu kommt ein Unterstützungskommando etwa für Sanitätsversorgung, Logistik oder die Abwehr von ABC-Angriffen.
Für das einheitliche operative Führungskommando werden das bisherige territoriale Führungskommando für die Landesverteidigung und das Einsatzführungskommando für Auslandsmissionen zusammengelegt, wie Pistorius ausführte. Damit werde Planung und Führung "aus einer Hand" garantiert. Und für nationale und internationale Partner gebe es "eine zentrale Ansprechstelle".
Mit Blick auf den neuen vierten Streitkräftebereich Cyber- und Informationsraum verwies der Minister neben der Sicherung von Bundeswehr-Netzen vor Hackerangriffen auch auf den Kampf gegen Desinformationskampagnen. Von wachsender Bedeutung sei auch der elektronische Kampf im Gefecht, etwa durch den Einsatz von Störsendern gegen Sprengfallen.
Pistorius sprach von einer "richtungweisenden Reform". Sie sei nicht darauf angelegt, "in großem Stil Dienstposten einzusparen und zu verlagern, sondern die Strukturen zu verbessern" und Verantwortlichkeiten klarer zuzuordnen.
Der Verteidigungsminister räumte aber auch ein, dass es innerhalb der Bundeswehr andere Vorstellungen bei Teilen der Streitkräftereform gegeben habe. Diese sei aber in einem bisher einzigartigen Prozess breit in der Truppe diskutiert und nicht von einem kleinen Zirkel oder externen Beratern ausgearbeitet worden, sagte Pistorius.
Zuletzt sorgte der Minister mit seinem Vorschlag, die Wehrpflicht wieder einzusetzen, für Aufsehen. Eine solche Wiedereinsetzung einer "wie auch immer gearteten Wehrdienstpflicht" sei bei den Plänen nun bereits "mitgedacht" worden, sagte der SPD-Politiker damals.
Nun ist es so weit: Pistorius hat einen konkreten Vorschlag erarbeitet, wie ein neues Dienstmodell aussehen könnte.
Vorangegangen war Mitte April eine Machbarkeitsstudie seines Hauses zu unterschiedlichen Modellen, die dann mit den politischen Akteuren diskutiert wurden.
Herausgekommen ist eine Reform-Idee, die "nicht ohne Pflichtbestandteile" auskommt, wie Pistorius zuletzt entsprechend eindringlich betonte. Damit gemeint ist eine Erweiterung des Wehrpflichtgesetzes für junge Männer. Der Verteidigungsminister spricht hier allerdings von "Wehrform" statt "Wehrpflicht".
Zunächst sollen alle 18-Jährigen einen Brief von der Bundeswehr bekommen. In einem beigefügten Fragebogen müssten potenzielle Kandidat:innen dann Angaben über ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeiten für den Wehrdienst machen – ganz nach dem Vorbild Schwedens. Für Frauen soll das Ausfüllen vorerst freiwillig sein, für Männer hingegen wäre das generell Pflicht.
Zum Hintergrund: Um eine Dienstpflicht für junge Frauen einzuführen, müsste tatsächlich zunächst das Grundgesetz geändert werden.
Die Einberufung zum Grundwehrdienst wurde in Deutschland im März 2011 ausgesetzt, indem der Bundestag das Wehrpflichtgesetz abgeändert hat. Pistorius hält das für einen Fehler.
Während die FDP und Grünen Pistorius' Vorschlag bereits im Vorfeld ablehnten, hatten sich Abgeordnete der Unionsparteien und der SPD im Laufe der Debatte für ein "Gesellschaftsjahr" ausgesprochen. Dessen Inhalt: einen wie auch immer gearteten Dienst an der Gesellschaft ausüben – ob beim Heer oder im Sozial- oder Umweltbereich.
Boris Pistorius hatte das Amt Anfang 2023 von seiner umstrittenen Parteifreundin Christine Lambrecht geerbt. Ihr wurde nach nur gut einem Jahr Amtszeit nachgesagt, sie sei an ihrem Amt gescheitert. Infolgedessen ist sie zurückgetreten. Pistorius war zuvor niedersächsischer Innenminister, galt bis dahin als erfahrener Polit-Manager. Im Kreis der Innenminister:innen von Bund und Ländern hatte sich Pistorius in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachpolitiker erworben.
Doch ihm wurden schon länger Ambitionen auf ein Bundesministeramt nachgesagt. Im Raum stand auch der Posten von Innenministerin Nancy Faeser (SPD).
Er startete also mit Vorschusslorbeeren ins Amt, war bereits bei Amtsantritt beliebt unter den Bundesbürger:innen. Laut einer Forsa-Umfrage für den "Stern" waren schon nach einem Monat Amtszeit 47 Prozent der Deutschen mit der Arbeit von Boris Pistorius zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Nur 18 Prozent waren weniger oder gar nicht zufrieden.
Nach einem Jahr bringt es Pistorius sogar aufs Treppchen unter den beliebtesten Politiker:innen: Wie die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf eine Erhebung des Instituts Insa berichtete, wünschen sich 42 Prozent der Befragten mehr Einfluss des SPD-Politikers in der deutschen Politik. Er sei laut der Erhebung nach einem Jahr im Bundesministeramt sogar der beliebteste Politiker.
Dabei gilt das Verteidigungsministerium durchaus als Schleudersitz. Denn auch Lambrechts Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hielt es nur rund zwei Jahre auf dem Posten (2019 bis 2021).
Insgesamt acht Verteidigungsminister:innen hatte die Bundesrepublik in diesem Jahrtausend – und gerade in den Merkel-Jahren (2005 bis 2021) hielten sich nicht alle an die regulären vier Jahre einer Legislaturperiode. Auch das Wirken der Minister:innen hielt sich in Grenzen.
Pistorius dürfte sich also durchaus bewusst sein, dass er sich die Anerkennung durch wirkungsvolle Taten erarbeiten muss. Gelingt ihm die Reform des Heers, hat er schon mehr geschafft als die meisten seiner Vorgänger:innen zusammen.
Eine Stolperfalle, die es für ihn noch zu überwinden gilt, dürfte auch die Finanzierung der Truppe sein. Denn um sich gegen einen möglichen Krieg gegen Russland zu wappnen, werden in den kommenden Jahren auf alle Nato-Staaten weitaus höhere Ausgaben zukommen, als bisher.
Und wie knauserig Finanzminister Christian Lindner (FDP) selbst mit den essenziellen Ausgaben für das Sozialsystem umgeht, hat er kürzlich erst eindrücklich bewiesen: beim Stopfen des Haushaltslochs.
Nach eigenen Angaben will Pistorius in diesem Jahr noch 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr investieren.
Hoffnung geben die jüngsten Aussagen des Finanzministers zumindest: Er sieht im Bundeshaushalt ab 2028 einen Spielraum von bis zu neun Milliarden Euro zur Aufstockung des Verteidigungsetats.
Pistorius ist auf dem besten Weg, seine Möglichkeiten wirksam auszuschöpfen.
(Mit Material von dpa und afp)