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Ukraine-Krieg: Betroffene kritisieren CSU-Vorstoß zu arbeitslosen Flüchtlingen

07.05.2024, Berlin: Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, spricht bei einem Pressestatement vor der w
CSU-Politiker Alexander Dobrindt löst Empörung mit seinem Vorschlag aus, arbeitslose Ukrainer:innen auszuweisen.Bild: dpa / Britta Pedersen
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Ukraine-Krieg: CSU will arbeitslose Ukrainer ausweisen – Betroffene reagieren empört

27.06.2024, 16:43
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Ukrainerinnen und Ukrainer flüchten vor Russlands Invasion. Viele von ihnen haben ihr Zuhause durch russische Raketenangriffe verloren. Ihre Häuser liegen teilweise in Schutt und Asche, daheim drohen Frauen Vergewaltigungen und Kindern Entführungen durch russische Soldaten.

Einen Ausweg aus der Kriegshölle bietet etwa die Flucht nach Deutschland. Doch hier, das findet zumindest CSU-Politiker Alexander Dobrindt, etablieren sich die Geflüchteten aus der Ukraine nicht schnell genug am Arbeitsmarkt. Dass dies auch viele Herausforderungen und Hürden mit sich bringt, verdeutlichen Berichte von Betroffenen.

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Eine Frau weint vor einem durch Beschuss beschädigten Haus in der Ukraine.Bild: AP / Efrem Lukatsky

Ukraine-Krieg: Dobrindt will arbeitslose Flüchtlinge ausweisen

"Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine", sagt CSU-Landesgruppenchef Dobrindt der "Bild am Sonntag".

Sprich, die CSU fordert im Bundestag, Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine in ihr Heimatland zurückzuschicken, wenn sie keine Arbeit in Deutschland aufnehmen.

Aber: "Drohnen und Raketen erreichen problemlos auch den Westen der Ukraine, der im Gegensatz zu den Gebieten in Frontnähe wesentlich dürftiger mit Luftverteidigung ausgestattet ist", warnt die Ukrainerin Irina Klym in einer Pressemitteilung der gemeinnützigen Organisation Momentum.

Betroffene Ukrainerin: Westukraine ist vor Russland-Raketen nicht sicher

Aus persönlicher Betroffenheit reagiert Klym empört auf die Forderung nach Abschiebung in die Westukraine. Sie stammt selbst aus der Region und arbeitet heute als Sozialarbeiterin in Hamburg.

Ihre Familie lebt in Volyn und Lviv. Sie war selbst im Oktober vor Ort. Seit Beginn des Krieges hat die Westukrainerin zahlreiche Demonstrationen und Spendenaktionen organisiert und unterstützt traumatisierte ukrainische Familien ehrenamtlich.

LVIV, UKRAINE - FEBRUARY 15, 2024 - A boy and a girl stay outside an apartment block where windows were knocked out by the shock wave during the Russian missile attack, Lviv, western Ukraine. In the e ...
Kinder stehen vor einem durch Russlands Raketen zerstörten Wohnblock in Lviv, Westukraine.Bild: imago images / Anastasiia Smolienko

Laut Klym lebt ihre Familie weit im Westen und auch dort ertöne der Luftalarm bis zu drei bis vier Mal täglich, insbesondere nachts. "Erst vor wenigen Tagen gab es Angriffe auf die Städte Ivano-Frankiwsk und Luzk, mit schweren Schäden an Wohngebäuden, einem Universitätsgebäude sowie einem Kindergarten", führt sie aus.

Vorwurf: CSU-Politiker Dobrindt attackiert mit Vorstoß geflüchtete Mütter

Dies sei nur zwei Kilometer vom Zuhause ihrer Familie entfernt gewesen, sagt Klym. "Mehrere Menschen wurden verletzt." Sie geht hart ins Gericht mit Dobrindts Vorstoß, arbeitslose Ukrainer:innen auszuweisen.

Ihr zufolge übersieht er, dass der überwiegende Teil der erwerbsfähigen geflüchteten Ukrainer:innen Frauen seien, die ihre Kinder versorgen.

"Es gibt wenige Betreuungsplätze, die Anerkennung von Universität- und Berufsabschlüssen dauert lange und Sprachkurse, deren Zertifikat oft für die Arbeitsaufnahme eine Voraussetzung ist, sind insbesondere im ländlichen Bereich rar", sagt die Ukrainerin.

Dass die Schutzsuchenden nicht berufstätig seien, liegt also nicht daran, dass das Bürgergeld so bequem sei, sondern an schlecht ausgestatteten Systemen.

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Auch bei SPD und Grünen stößt die Forderung auf scharfe Kritik. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagt laut "Bild am Sonntag", der russische Präsident Wladimir Putin lasse immer wieder Ziele in der gesamten Ukraine bombardieren.

"Hierhin will Dobrindt jetzt auch Frauen und Kinder zurückschicken, die möglicherweise ihren Vater bereits an der Front verloren haben. Die CSU sollte sich schämen ob solcher Forderungen und das C für christlich endgültig aus ihrem Namen streichen."

Grünen-Chef Omid Nouripour meint: "Die Unterstellung, die Ukrainer kämen wegen des Bürgergelds zu uns, verkennt das Grauen des Krieges Putins." Er lehnte auch Vorschläge aus der Union ab, Ukrainer:innen nicht sofort Bürgergeld zu gewähren, sondern sie zuerst ins reguläre Asylverfahren zu verweisen.

"Natürlich müssen wir die Ukrainer noch schneller in Arbeit bringen. Aber neue rechtliche Hürden, wie sie die CDU will, helfen da doch nicht, sie schaden", führt Nouripour aus.

Zum Hintergrund: Dobrindt sagt, das Bürgergeld sei zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als schnelle Hilfe gedacht gewesen, aber längst zur Arbeitsbremse geworden. Es halte zu viele Menschen aus der Ukraine in der Sozialhilfe fest.

Eine Aussage, die dem Ukrainer Artyom Stassyuk zufolge die Realität verkennt.

Ukraine-Flüchtlinge seien trotz Arbeit auf Bürgergeld angewiesen

"Als Ukrainer:innen – das waren ja meistens Frauen mit Kindern – am Dresdner Hauptbahnhof ankamen – war die erste Frage oft nicht 'Wo kann ich unterkommen?', sondern 'Wann darf ich arbeiten?'", zitiert ihn Momentum.

Stassyuk lebt im Dresdner Stadtbezirk Prohlis, wo besonders viele ukrainische Geflüchtete ihre Bleibe gefunden haben. Er ist Ukrainer mit russischen Verwandten, die den Krieg unterstützen.

Ihm zufolge arbeiten jetzt viele von den Geflüchteten Teilzeit zu Niedriglöhnen, weil sie trotz Qualifikation keine andere Arbeit bekommen. "Und trotz der Arbeit sind sie auf Bürgergeld angewiesen, weil sie so wenig verdienen, dass sie aufstocken müssen", sagt er.

Er fragt sich: "Wollen die Unionspolitiker diese mutigen Frauen für ihre Integrationsleistung auch noch bestrafen?“

Im vergangenen Herbst hatte die Bundesregierung einen "Job-Turbo" angekündigt, um Geflüchteten mit Bleibeperspektive eine schnellere Vermittlung in Arbeit zu ermöglichen.

Zahlung von Bürgergeld an ukrainische Geflüchtete soll beendet werden

Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konnten inzwischen von den ukrainischen Geflüchteten 187 000 in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gebracht werden.

Zuletzt hatten mehrere Länder-Innenminister:innen verlangt, die Zahlung von Bürgergeld an ukrainische Geflüchtete zu beenden und ihnen nur noch niedrigere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuzugestehen.

Die Bundesregierung hat das bereits abgelehnt. Auch SPD-Arbeitsmarktpolitiker Martin Rosemann verweist in der "Bild am Sonntag" darauf, dass viele der Ukraine-Geflüchtete alleinerziehende Mütter seien.

"Die Hürden für ukrainische Geflüchtete beim Start ins Arbeitsleben liegen bei der fehlenden Kinderbetreuung, mangelnden Sprachkenntnissen und der langwierigen Anerkennung von Berufsabschlüssen", sagt Rosemann. Den Vorschlag, sie aus dem Bürgergeld ins Asylverfahren zu packen, nannte er "populistischen Unsinn".

(Mit Material der dpa)

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