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Geheimtreffen mit AfD-Politikern: Historiker zieht Parallelen zur Nazi-Zeit

10.01.2024, Berlin: Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben sollen. Daran soll auch der b ...
Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben sollen.Bild: dpa / Jens Kalaene
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Rechtes Geheimtreffen mit AfD-Politikern: Historiker zeigt Parallelen zur Nazi-Zeit auf

13.01.2024, 11:24
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Wer in Deutschland lebt, kommt nicht an dem wohl dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes vorbei. Kinder und Jugendliche lernen bereits in der Schule, was während des Nationalsozialismus passiert ist – und wie es dazu kommen konnte. Fast sechs Millionen Jüd:innen waren ermordet worden. Hunderttausende Roma und Sinti sowie beeinträchtigte und kranke Menschen sind der rassistischen Politik des NS-Regimes ebenfalls zum Opfer gefallen. Millionen Menschen waren vertrieben worden.

Rechtsextreme Strömungen in Deutschland nehmen wieder zu. Wie die jüngsten Recherchen des investigativen Mediums Correctiv zeigen, sind die Vorgänge durchaus gefährlich. Die Veröffentlichung brachte ans Licht, was derzeit die deutsche Politik erschüttert.

Nicht weit von der Wannseekonferenz-Villa in Potsdam trafen sich im November Neonazis und vermögende Unternehmer:innen. Auch dabei: auch AfD-Politiker. Sie berieten dort über Dinge, die Erinnerungen an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wecken. Nun zieht ein Historiker Parallelen zum Nationalsozialismus.

Geheimtreffen mit AfD-Politikern hat Parallelen zur Wannseekonferenz

Als der Historiker Markus Roth von dem Treffen erfahren hat, habe er zunächst nicht an die Parallelen zur NS-Zeit gedacht. Denn was in Potsdam geschehen ist, sei schon an sich "ungeheuerlich", wie er im Interview mit der "Zeit" verrät: "Eine rechtsextreme und rassistische Verschwörung, dazu ein Reporter, der sich eingeschlichen hat. Es klingt wie eine Netflix-Serie. Aber es ist die Realität."

10.01.2024, Berlin: Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben sollen. Daran soll auch der b ...
In dem Gästehaus in Potsdam sprachen die Teilnehmenden laut "Correctiv" über menschenverachtende Themen.Bild: dpa / Jens Kalaene

Doch in der deutschen Öffentlichkeit wurden schnell Parallelen zur Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 gezogen. Damals hatten hochrangige nationalsozialistische Entscheider die begonnene Judenverfolgung im Detail besprochen und weiter geplant. Auf Parallelen zu dem historischen Treffen angesprochen, sieht Roth Ähnlichkeiten im Setting:

"Menschen treffen sich im Geheimen in einer Villa, um über ungeheuerliche Dinge zu sprechen und über das Schicksal von Millionen Menschen zu entscheiden, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei."

Auch das rassistische Verständnis von Staatsangehörigkeit und die "absolute Menschenfeindlichkeit, die damals herrschte" liege dem aktuellen Treffen zugrunde.

Historiker warnt vor "Rechtsextremen, Neonazis und Spinnern"

Dennoch sieht er einen klaren Unterschied. Denn während damals Entscheidungsträger aus Staat und Partei zusammensaßen und ihre Ideen auch in die Tat umsetzen konnten, war dies im November anders. Zwar waren auch hier Vertreter der AfD anwesend, die in fast allen deutschen Parlamenten vertreten ist und hohe Stimmanteile hat.

Auch AfD-Chef Tino Chrupalla soll an einem früheren Treffen dieser Runde teilgenommen haben. "Aber vor allem sitzen da Rechtsextreme, Neonazis und Spinner beisammen, die ihrer menschenverachtenden Fantasie freien Lauf lassen." Sie hätten allerdings noch keine Macht, das Besprochene umzusetzen.

ARCHIV - 11.10.2023, Berlin: Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender, �u�ert sich bei einer Pressekonferenz in Berlin zu einem Vorfall in Ingolstadt. Chrupalla war Anfang Oktober 2023 vor einer geplant ...
AfD-Chef Tino Chrupalla soll angeblich an dem Geheimtreffen teilgenommen haben.Bild: dpa / Britta Pedersen

Den Leiter der Identitären Bewegung, Martin Sellner, die in Deutschland als rechtsextrem eingestuft wird, wird nachgesagt, dass er bei dem Treffen von einem "Masterplan" gesprochen hat. Dieser Plan zielt laut Correctiv-Recherchen darauf ab, Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland zu vertreiben.

Das betreffe nicht nur Asylsuchende und Ausländer:innen mit dauerhaftem Bleiberecht, sondern auch deutsche Staatsbürger:innen, die aus seiner Perspektive nicht in Deutschland sein sollten. Laut dem Historiker bezieht sich Sellner damit auch auf das völkische Staatsangehörigkeitsverständnis der NS-Zeit.

Er sagt: "Grob bedeutet das, dass Staatsangehörige nur diejenigen sein können, die 'reine' deutsche Staatsangehörige sind, also 'reinrassiger Abstammung'."

Ein gefährliches Gedankengut. Denn die Teilnehmenden des Treffens stellen sich damit laut dem Historiker "in eine fatale Traditionslinie". "Nämlich die, die im Nationalsozialismus tödliche Konsequenzen für Millionen von Menschen hatte", warnt er.

Treffen mit AfD-Politikern: Historiker findet Vokabular besorgniserregend

Auch zum Vokabular bei dem Geheimtreffen gibt der Historiker seine Einschätzung ab. Dort wurde laut "Correctiv" etwa von einer "Remigration" für Vorgänge gesprochen, die auch als Massenvertreibung bezeichnet werden könnte. Zudem war von "maßgeschneiderten Gesetzen" die Rede. Hierzu warnt Roth in der "Zeit":

"Solche Vokabeln sind Euphemismen. Tarnbegriffe, die rechtsextreme Neonazis benutzen, um anschlussfähig an breite Kreise der Gesellschaft zu werden. Sie versuchen, sprachlich eine Brücke zu bauen."

Auch das erinnert ihn an die Methode der Nazis. "Sonderbehandlung" meinte damals eigentlich Ermordung. "Endlösung" bedeutete Holocaust. Solche Begriffe setzen sich bereits in der breiten Gesellschaft fest, etwa in den Debatten um Migration. Dabei werde bereits zum Teil von "Rückführung" statt von Abschiebung gesprochen.

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Überraschend waren für Roth die Enthüllungen über ein derartiges Treffen nicht. Dass die Identitäre Bewegung und die AfD eine massive Gefahr für Menschen mit Migrationshintergrund und für die Demokratie sind, sei schon lange bekannt. Die Denkmuster der Akteure aufzuzeigen, sei aber wichtig. Unabhängig davon, ob es nun sinnvoll sei, historische Vergleiche zu ziehen. Dazu sagt Markus Roth:

"Diese Pläne sind derart menschenverachtend und so stark von einem tief empfundenen Rassismus durchzogen, dass sie für sich genommen schon verabscheuungswürdig genug sind. Es braucht eigentlich keinen Nazivergleich, um das zu erkennen."
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Nach den Enthüllungen kam es in Berlin zu massiven Demonstrationen gegen die AfD. Bild: imago images / Christian Ditsch

Er hoffe in Hinblick auf die Politik der erstarkenden AfD in Deutschland, dass die Empörung über die Enthüllungen nachhaltig sei und nicht so schnell verfliege wie in der Vergangenheit. Denn: "Es mögen Spinner sein, die da sitzen, aber harmlos sind sie nicht."

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