Die Debatte um ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren in Deutschland dauert an.
Konkret geht es um ein solches Verbot an Schulen und staatlichen Institutionen – mittlerweile haben sich verschiedene Menschen und Akteure öffentlich geäußert.
Im Prinzip könnte man meinen, es gebe nur zwei Positionen: Für oder gegen ein Kopftuchverbot bei unter 14-Jährigen.
Innerhalb der Debatte werden unterschiedliche Argumente verwendet – als Leser verliert man da leicht den Überblick.
Hier sind die 6 Argumente, die sich in der aktuellen Debatte wiederfinden.
Disclaimer vorab: Natürlich können sich innerhalb einer Position mehrere Argumente versammeln– es gibt also Überschneidungen. Und viele Argumente werden auch nicht nur von einer Seite angebracht. Und nicht nur die genannten Personen haben sich zu den Themen geäußert.
Und: Die Publizistin Lamya Kaddor hat es sogar geschafft, alle der hier aufgelisteten Argumente in einem Text ihrer Kolumne für t-online.de unterzubringen.
Kopftuchverbot in Deutschland
Was bisher geschah
2003 beschließt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass die Bundesländer selbst entscheiden können, ob an ihren Schulen Pädagoginnen Kopftücher tragen dürfen oder nicht.
Es folgen entsprechende Verbote an Schulen in Bremen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und dem Saarland und in Berlin 2005 das "Neutralitätsgesetz".
Das Gesetz besagt, dass Lehrer, Polizisten und Justizbeamte "keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole" und keine "auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen dürfen. Also auch keine Kreuzketten oder Kippas".
Im Januar 2015 kommt das Bundesverfassungsgericht erneut zum Beschluss, dass "ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist".
In Berlin kommt es 2017 bereits zu einer Entschädigung, als zwei angehende Lehrerinnen an einer Grundschule abgelehnt wurden.
Jetzt wird ein Kopftuchverbot für Schülerinnen in Deutschland besprochen, nachdem Österreich ein Verbot für Unter-14-Jährige plant. Nordrhein-Westfalen prüft das Verbot aktuell.
Dieses Argument wird vor allem von Befürwortern eines Kopftuchverbotes verwendet (aber nicht nur!).
Die NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) hat die Diskussion in Deutschland losgetreten, nachdem die Regierung in Österreich ein Kopftuchverbot für unter 14-Jährige plant.
Güler sprach sich für ein solches Verbot für Mädchen an Schulen und Kindergärten unter 14 Jahren aus, bekam Unterstützung von ihrem Parteikollegen und Ministerpräsidenten Armin Laschet.
Güler habe nichts pauschal gegen religiöse Symbole, sehe aber in dem Kopftuch eine Sexualisierung der Kinder, da das Kopftuch vor Blicken der Männer schützen soll.
Güler ist nicht die einzige, die das so sieht.
Seyran Ateş, Mitgründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee nennt das Kopftuch bei Kindern "pervers":
Auch Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor sieht es kritisch, wenn Mädchen unter 14 Jahren ein Kopftuch tragen.
KaddorBild: Getty Images Europe
Sie schreibt in ihrer Kolumne für t-online.de:
"Es tut mir in der Seele weh, wenn Eltern ihre kleinen Mädchen de facto sexualisieren, indem sie sie unter ein islamisches Kopftuch zwingen, um ihre vermeintliche Scham zu schützen."
Dieses Argument fällt oft in Positionen von Personen, die sich gegen ein Kopftuchverbot an Schulen aussprechen.
Mädchen, die jünger als 14 sind, trügen in den seltensten Fällen ein Kopftuch in Deutschland.
Tatsächlich gibt es keine Zahlen zu dem Phänomen; die Anzahl der Kopftuch tragenden Mädchen in Grundschulen und Kindergärten dürfte aber gering sein.
Sagt auch Lamya Kaddor:
"Ich selbst habe an einer Grundschule in Dinslaken-Lohberg mit überwiegend muslimischen Kindern unterrichtet, mir ist kein einziges Mädchen mit Kopftuch begegnet"
Dieses Argument trifft man vor allem bei Befürwortern eines Verbotes an Schulen und Kindergärten an.
In Deutschland tritt man mit dem 14. Geburtstag in die Religionsmündigkeit ein.
FDP-Chef Christian Lindner sieht ein Kopftuch als "starken Eingriff in die Persönlichkeitsentwicklung von religionsunmündigen Kindern".
Und ist daher für eine offene Debatte zum Kopftuchverbot
Auch Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der CDU, lehnt ein Verbot nicht pauschal ab.
Sie würde akzeptieren, dass junge muslimische Frauen – etwa in der Schule – das Kopftuch als religiöses Symbol tragen könnten und auch "unsere religiösen Symbole wie das Kreuz im öffentlichen Raum sichtbar sind und sichtbar bleiben".
Aber: Bei kleinen Mädchen in der Grundschule habe das Kopftuch nichts mit Religion zu tun, sagt Kramp-Karrenbauer.
"Es macht aber aus den kleinen Kindern schon erkennbar – etwa auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof – Außenseiter. Und das wollen wir auf jeden Fall verhindern."
Kramp-Karrenbauer, "AKK zur Diskussion um ein Kopftuchverbot"facebook
Sie schließt daher ein Verbot nicht aus
"Dann aber gleiches Recht bzw. Verbot für alle Kinder!"
Sollte ein Kopftuchverbot für unter 14-Jährige in Deutschland durchgesetzt werden, bräuchte es im Gegenzug auch ein Verbot für Taufe und Beschneidung und andere religiöse Symbole, argumentieren vor allem Kritiker des Verbots.
Das sagt zum Beispiel Christine Lüders, die Leiterin der bundesweiten Antidiskriminierungsstelle:
"Ein Kopftuchverbot an Schulen würde in letzter Konsequenz auch das Verbot für das Tragen anderer religiöser Symbole wie eines Kruzifix oder einer Kippa zur Folge haben."
Lüders, Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Auch Lamya Kaddor stellt sich diese Fragen:
"Was ist mit Beschneidung? Taufen? Ohrlöchern? Auch alles für Kinder untersagen? Willkommen in der Verbots-Republik!"
Dieses Argument wird nicht nur von Verbots-Gegnern verwendet, denn man kann für ein generelles Verbot von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum sein, das auch Kopftücher einschließt.
"Ein Verbot ist eh nicht durchsetzbar, wir sollten lieber Personal stärken"
Sagen unter anderem diejenigen, die das Kopftuch bei unter 14-jährigen vielleicht kritisch sehen, ein pauschales Kopftuchverbot aber dennoch für falsch halten.
Lamya Kaddor zum Beispiel:
"Wir brauchen personell gut aufgestellte Schulen, die gegebenenfalls kompetent das Gespräch mit Eltern suchen, um deren wirre Islamvorstellung für ihre Töchter aus der Welt zu schaffen; gerne mit Hilfe von Islamlehrern und örtlichen Imamen."
Die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Kauz, sieht das ähnlich:
"Wichtig
ist doch, dass wir uns fragen, wie wir an diese schwierigen Fälle rankommen: Wir
müssen die Eltern erreichen und die Mädchen stark machen, eine selbstbestimmte
Entscheidung zu treffen"
Einige sehen die komplette Debatte um ein Kopftuch bei Kindern als wenig hilfreich oder überhaupt sinnvoll.
Lamya Kaddor nennt all das:
"[...] Phantomdiskussionen. Glaubt wirklich jemand, den Politikern, insbesondere aus dem konservativen Spektrum, ginge es ums Wohlergehen zugewanderter muslimischer Mädchen? Ich kann das nicht glauben.
"Seit Jahr und Tag arbeitet ihr euch an dieser mickrigen Minderheit von fünf Prozent der Gesellschaft ab. Islam. Islam. Islam. Keine öffentliche Rede, kein Interview von euch kommt mehr ohne Islam, Islam, Islam aus."
Lamya Kaddor
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime sieht andere Problemen an Schulen; in einem Interview mit der Aachener Zeitung sagt er zur aktuellen Verbots-Debatte:
MazyekBild: Getty Images Europe
"Ich bin ein
Verfechter der Freiheit. Also: Kein Zwang zum Kopftuch und keinen Zwang, es
nicht zu tragen. Außerdem haben wir genügend dringendere Probleme in den
Schulen: Lehrermangel, Ausstattung, Gewaltentwicklungen und Mobbing, um nur
einige zu nennen. Politik möchte sich dieser Themen bitte ernsthaft zuwenden,
dann ist uns allen geholfen."
Derweil ist auf Twitter ein Hashtag entstanden, der die Diskussion um ein Kopftuch bei muslimischen Frauen noch weiter befeuert.
Unter #nichtohnemeinkopftuch twittern gerade vor allem Rechtspopulisten, aber auch streng religiöse männliche User, die meinen, dass ein Kopftuch für muslimische Frauen unerlässlich ist.
Auf die männlichen Stimmen reagierten viele Kritiker, unter anderem auch Autor Ahmad Mansour:
Haben wir ein Argument vergessen? Schreibt es uns in den Kommentaren