Widerstand gegen Artikel 13 – wie eine Protestbewegung wächst
Fast fünf Millionen Gegner haben online bereits ein Zeichen gesetzt. In der EU – und vor allem in Deutschland – formiert sich Widerstand gegen die Reform des Urheberrechts. Der Protest soll auch auf die Straße getragen werden.
01.03.2019, 09:49
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Artikel 13. Bis vor Kurzem wussten damit nur
Internet-Nerds und Digital-Experten etwas anzufangen. Spätestens seit
Mitte Februar hat sich das geändert. Seitdem formiert sich vor allem
in Deutschland ein Protest, den es in dieser Art wohl noch nicht gab.
Er richtet sich gegen die geplante Reform des EU-Urheberrechts im
Allgemeinen – und gegen Artikel 13 im Besonderen.
Getragen wird der Protest vor allem von jungen Internetnutzern. Wer
Kinder hat, dürfte von Upload-Filtern, dem vermeintlichen Ende des
freien Internets und Artikel 13 allerdings auch schon gehört haben.
Dabei sollte eigentlich alles besser werden. Als die EU-Kommission
2016 neue Regeln vorschlug, wollte sie das Urheberrecht ans digitale
Zeitalter anpassen, Urheber und Rechteinhaber sollten für ihre Arbeit
fairer bezahlt werden. Darauf können sich auch heute noch alle
einigen. Strittig ist nur der Weg.
Hier kommt Artikel 13 ins Spiel.
Mitte Februar einigten sich Unterhändler der EU-Staaten und des
Europaparlaments auf einen Kompromiss der Reform. Dieser sieht in
Artikel 13 vor, Plattformen wie YouTube beim Urheberrecht stärker in
die Pflicht zu nehmen. Bislang müssen sie geschützte Werke von ihrer
Seite löschen, sobald sie eine Beschwerde erhalten. Die neuen Regeln
sehen vor, dass die Betreiber schon beim Hochladen sicherstellen
müssen, dass urheberrechtlich geschützte Werke nicht unerlaubt auf
ihrer Seite landen.
Dies können sie nach Ansicht von Kritikern nur durch Filter
erreichen, die jedes Werk mit einer Datenbank abgleichen. Gegner der
Reform befürchten Zensur. Der Chaos Computer Club (CCC) etwa sieht
das "freie bunte Internet" in Gefahr. Die Filter seien
fehleranfällig, sie könnten nicht zwischen erlaubter Satire, Parodie
oder Zitat und tatsächlichen Urheberrechtsverstößen unterscheiden,
warnen Kritiker. Letztlich sei die Meinungsfreiheit bedroht.
Der Widerstand ist enorm.
YouTuber LeFloid fordert von seinen mehr
als drei Millionen Followern: "Stoppt Artikel 13!" Europaabgeordnete
erhalten so viele Protest-Emails wie nie. Knapp fünf Millionen
Gegner haben eine Online-Petition unterzeichnet.
Doch der Protest soll auch auf die Straße getragen werden. In Köln
wurde bereits demonstriert, an diesem Samstag veranstaltet das
Bündnis "Berlin gegen 13", hinter dem unter anderem der CCC und der
Verein Digitale Gesellschaft stehen, eine Demo in der Hauptstadt. Die
Organisatoren sehen die Veranstaltung vor allem als Warm-Up für die
europaweiten Proteste am 23. März.
Julia Reda von den Piraten führt den Widerstand im EU-Parlament an.
"Getragen wird der Protest von der Generation, die diese Plattformen
aktiv nutzt und im Internet nicht nur konsumiert", sagt sie. Und die
SPD-Europaabgeordnete Martina Werner sagt:
"Die jungen Leute, die mit YouTube groß geworden sind, die sind auf hundert. Und die, die nicht mit YouTube groß geworden sind, kriegen das gar nicht mit."
In Deutschland ist der Konflikt aber auch in der Bundespolitik
angekommen – und hat zum Konflikt innerhalb der Regierung geführt.
Justizministerin Katarina Barley ist eigentlich gegen Artikel 13,
ebenso Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär. Durchsetzen konnten sie
sich nicht, Deutschland stimmte dem Kompromiss kürzlich zu. Dabei
lehnt auch der Koalitionsvertrag den verpflichtenden Einsatz von
Upload-Filtern als "unverhältnismäßig" ab.
Justizministerin Katarina Barley ist eigentlich gegen Artikel 13, ebenso Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär. Durchsetzen konnten sie sich nicht, Deutschland stimmte dem Kompromiss kürzlich zu.
Dabei lehnt auch der Koalitionsvertrag den verpflichtenden Einsatz von Upload-Filtern als "unverhältnismäßig" ab.
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert ist gegen die Reform in ihrer jetzigen Form, ebenso Netzpolitiker der Union.
CDU-Politiker Axel Voss, der den Kompromiss mit den EU-Staaten ausgehandelt hat, erwehrt sich aller Kritik. Er sagt, die Reform schaffe "erstmals Rechtssicherheit für private User, die Musik oder Videos ins Internet stellen". Die Plattformen müssten dafür sorgen, dass sie Lizenzen für Inhalte auf ihren Seiten haben. Mit Filtern habe das nichts zu tun.
Etliche Verbände, die nach eigenen Angaben hunderttausend Künstler,
Kreative und Journalisten sowie Tausende Unternehmen in Deutschland
vertreten, springen ihm zur Seite. Sie sagen: "Die Richtlinie
verbessert die Bedingungen für Kreativ- und Medienschaffende und die
Kulturwirtschaft in ganz Europa erheblich." Unter anderem die Gema,
der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Gewerkschaft Verdi
und der Deutsche Musikverleger-Verband fordern ein "Ja zur
EU-Urheberrechtsrichtlinie".
Mittlerweile wird mit dem Urheberrecht auch Wahlkampf gemacht.
Schließlich wird Ende Mai ein neues Europaparlament gewählt. Die
Kampagne "Pledge" (Deutsch: Versprechen) kündigt an: "Wir werden nur
Politiker*innen wählen, die gegen Artikel 13 stimmen." Am Donnerstag
hatten bereits 66 Abgeordnete ihr Versprechen abgegeben – von ihnen
kamen 31 aus Deutschland.
Die Kampagne zielt auf eine Abstimmung im Europaparlament Ende März
ab, in die die Gegner der Reform all ihre Hoffnung setzen. Denn die
Parlamentarier müssen dem Kompromiss noch zustimmen – können die
Reform also noch stoppen. "Das ist eine große Chance für das
Europaparlament zu zeigen, dass es die Vertretung der Bürgerinnen und
Bürger ist und auf deren Sorgen hört", sagt Reda. Sie hat ihre Zusage
natürlich längst auf "Pledge" gemacht.
Neumann vom CCC hält die Chancen für eine Last-Minute-Wende
allerdings für gering: "Wenn eine äußerst dumme Idee entgegen aller
Expertise, entgegen aller Beratung, entgegen aller Kompetenz so weit
gekommen ist – dann ist es nur noch eine Frage des Glücks, wenn hier
noch einmal technischer Sachverstand und demokratisches Augenmaß
Einzug erhalten."