Das Social-Media-Team des EU-Parlaments hat den DDR-Macher Walter Ulbricht auferstehen lassen. Na ja, jedenfalls hat es durch sein Verhalten dafür gesorgt, dass sein wohl historischster Spruch wieder durch das Internet wabert. Der Satz "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" ist gerade die Grundlage für heftigen Spott über die Öffentlichkeitsarbeit des EU-Parlaments.
Deren Mitarbeiter haben ein neues Werbe-Video online gestellt, das für Aufregung unter den Gegnern der aktuell umkämpften Reform des Urheberrechts und des Artikels 13 sorgt.
Besonders Netzaktivisten und Opposition, aber auch Parlamentarier und Verwaltungsleute in der EU selbst fragen sich jetzt, was das alles eigentlich soll.
Das Video zeigt eine Verteidigung der neuen Urheberrechtsreform und die Ansichten ihres Wegbereiters Axel Voss (CDU). Er steht seit Monaten vor allem wegen seiner Unterstützung des umkämpften Artikels 13 in der Kritik.
Darin will die EU die Haftbarkeit von Plattformen für die Inhalte ihrer User vorschreiben. Damit sich YouTube und Co. nicht strafbar machen, müssten sie deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit sogenannte Upload-Filter einsetzen. Genau diese aber fürchten Kritiker.
Gegen die Angst vor solchen Filtern wollten die Presse-Leute des EU-Parlaments jetzt offenbar etwas unternehmen.
"Deine Memes sind sicher", schreiben sie. Axel Voss selbst sagt (als einziger befragter Politiker) im Video: "Die Meinungsfreiheit wird nicht angegriffen. Wenn Sie urheberrechtlich geschütztes Material selbst abändern, dürfen Sie es auf die Plattformen hochladen".
Auch Filter, so heißt es, würden vermutlich gar nicht zum Einsatz kommen. Den Plattformen bliebe selbst überlassen, wie sie den Artikel 13 umsetzen.
Vor allem diese Aussage verwundert. Seit Monaten schreiben IT-Experten aus ganz Europa, dass Filter vermutlich der einzige Weg für Facebook und Co. sein werden, um der Masse an Uploads ihrer Nutzer überhaupt Herr werden zu können. Eine "Wahl", wie Voss sie verspricht, haben die Anbieter also vermutlich überhaupt nicht.
Einen besonders seltsamen Beigeschmack bekommt das Werbe-Video vor allem, weil es ein Recht verteidigt, über das die Volksvertreter selbst überhaupt noch nicht entschieden haben.
Lediglich die Unterhändler des EU-Parlaments haben sich für das neue Urheberrecht ausgesprochen, das gesamte Plenum muss Ende März noch darüber abstimmen.
Normalerweise folgt es den Empfehlungen, aber es gab in der Vergangenheit eben durchaus auch Ausnahmen. Und gerade der Artikel 13 gilt unter Parlamentariern als umstritten. Es ist also noch gar nicht klar, ob das Urheberrecht in seiner jetzigen Form tatsächlich durchs Parlament kommen wird.
Wenn die Öffentlichkeitsarbeiter des EU-Parlaments aber schon jetzt den neuen Artikel 13 verteidigen, dann bewerben sie eine Richtlinie, die es noch gar nicht gibt. Dabei sollte das Parlament als Institution eigentlich neutral sein, stattdessen übernimmt dessen Social-Media-Team die Meinung eines bestimmten Lagers.
Hört man sich bei Mitarbeitern des EU-Parlaments um, trifft man ebenfalls auf Irritationen wegen des Posts. Das wird aus Gesprächen klar, die watson über den Tag hinweg mit verschiedenen Stellen im Parlament führte.
Aus Brüssel erreichte uns schließlich folgende Stellungnahme: Das gesamte Parlament erteile seinen Verhandlungsführern ein Mandat. Der Rechtsausschuss habe dann die Einigung gebilligt. Ein Sprecher schreibt weiter: "Die Kommunikationsabteilung des Parlaments hat die Entscheidungen der Mehrheit der Europaabgeordneten stets publik gemacht. Dieses Video ist keine Ausnahme." Auch das Endergebnis würde man dann "zum gegebenen Zeitpunkt neutral widerspiegeln - unabhängig vom Ergebnis."
Auf die Einseitigkeit der Darstellung im Video geht Brüssel nicht ein. Deshalb müssen sich die Verantwortlichen wohl weiter den Vorwurf der Propaganda gefallen lassen. Bis dahin wird bei Kritikern ein alter Spruch weiterklingeln: "Niemand hat die Absicht, einen Upload-Filter einzuführen."