Belarus ist eine kleine Nation und das Nachbarland der Ukraine.
Etwas über neun Millionen Menschen leben in dem osteuropäischen Land. In den Fokus rückt es derzeit als "der enge Freund" Russlands – oder vielmehr "der letzte enge Freund".
Schließlich kehren einige Verbündete dem Kreml zunehmend den Rücken, seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine – etwa Kasachstan.
Doch auf Belarus – auch Weißrussland genannt – ist anscheinend Verlass. So sehr, dass es an Russlands Seite in die Ukraine einmarschieren würde? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj appelliert immer wieder an die belarussische Bevölkerung, sich nicht in den Krieg hineinziehen zu lassen. Auch die USA beobachten die Situation besorgt - gerade jetzt, wo beide Länder ein gemeinsames Manöver durchführen.
Bis zum 1. Februar führen Belarus und Russland derzeit gemeinsame Luftwaffenübungen durch. Laut russischen Beamten sollten die Militärübungen eine Eskalation verhindern und wurden als "rein defensiver Natur" angekündigt. "Doch inoffizielle militärische Überwachungskanäle von Telegram berichten über eine verstärkte militärische Aktivität in Weißrussland", sagt die Politikwissenschaftlerin Alla Leukavets im Gespräch mit watson.
Seit Anfang 2023 werde regelmäßig Ausrüstung der russischen Streitkräfte, darunter Hubschrauber und Militärtransportflugzeuge, nach Weißrussland transportiert. "Es ist nicht sicher, ob Belarus kurzfristig von Russland in den Krieg gezogen wird", meint Leukavets. Die Expertin forscht am "Stockholm Centre for Eastern European Studies".
Dabei spreche ihr zufolge ein wichtiger Punkt gegen einen Kriegseintritt Weißrusslands.
Leukavets zufolge sei die Antikriegsstimmung in Belarus sehr hoch. Laut der im Exil lebenden, belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja würde ein Kriegseintritt zu Unruhen im Land führen.
"Sowohl der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko als auch der Kreml sind sich dieses Szenarios bewusst", meint Leukavets. Daher werde die Entscheidung über die direkte Teilnahme von Belarus am Krieg im Kreml höchstwahrscheinlich als letztes Mittel angesehen.
Doch wie sieht es mit der indirekten Teilnahme am Krieg aus? Seitens des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten heißt es, Belarus habe Russland "eindeutig und nachweisbar" beim Angriff auf die Ukraine unterstützt.
"Sowohl russische als auch ukrainische Kriegsreporter gehen davon aus, dass der Kreml 'irgendwas vorbereitet'", sagt der Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov von der FU Berlin gegenüber watson. Der ukrainische Generalstab unternehme konkrete Schritte und lasse die Grenze zu Belarus massiv befestigen. Allerdings gibt der Politikwissenschaftler Gerasimov Entwarnung.
Er gehe nicht davon aus, dass Russland eine zweite großangelegte Offensive auf Kiew starten wird. Gerasimov sagt:
Gerasimovs Beobachtungen zufolge werden sich die belarussischen Truppen nicht direkt an den Kampfhandlungen beteiligen. "Minsk pflegt weiterhin das Narrativ einer Nicht-Kriegspartei", meint er. Und da kommt es gelegen, sich eine "private Sicherheitsfirma" aufzubauen – nach Vorlage der russischen "Wagner-Gruppe".
"Aus der Sicht der weißrussischen Regierung ist die Gründung einer eigenen privaten Sicherheitsfirma, sprich Söldner-Truppe, absolut folgerichtig", meint Gerasimov. Einerseits bemühe sich Belarus darum, nicht direkt in den Krieg hineingezogen zu werden. Andererseits stehe es höchstwahrscheinlich unter Druck seitens des "großen Bruders Russland", aktive Unterstützung zu leisten, meint der Experte.
Das Unternehmen "GardServis" wurde im November 2019 registriert und hieß ursprünglich "BelSecurityGroup". Laut der Politikwissenschaftlerin Leukavets besitzt die Sicherheitsfirma Militärwaffen und über 1000 Mitglieder. Sie sagt:
Laut Gerasimov schlägt Belarus mit einer Söldner-Truppe den Mittelweg ein: Das Land schicke keine regulären Truppen und nimmt als Regierung nicht offiziell an dem Krieg teil. Gleichzeitig könne es gegenüber Russland vorweisen, die Moskauer Ziele zu unterstützen. Allerdings sei der "Kampfwert" der "GardServis" derzeit kaum abschätzbar.
Die Erfahrung habe gezeigt, dass zwischen der medienwirksamen Gründung einer Sicherheitsfirma und ihrem realen "Kampfwert" ein großer Unterschied liegen kann. Als Beispiel nennt Gerasimov die ukrainische Söldnertruppe "Mozart". Diese wurde explizit als Gegenspieler zur russischen "Wagner" kreiert. Medial wurde "Mozart" – vor allem seitens der Ukraine – hochgelobt. "Doch am Ende haben sie auf dem Schlachtfeld rein gar nichts bewirkt", sagt Gerasimov.
Auch die Belarus-Expertin Leukavets weist darauf hin, dass es noch zu früh sei, den Zweck und die Macht dieser Formation einzuschätzen. Was allerdings offensichtlich sei, ist die derzeit politisch angespannte Atmosphäre in Belarus.
Laut Leukavets wurde in Belarus kürzlich eine Reihe neuer repressiver Gesetze eingeführt. Diese richten sich etwa gegen politische Gegner. Die Regierung könne verfolgten Personen ihre belarussische Staatsbürgerschaft entziehen und in Abwesenheit Gerichtsverfahren gegen sie durchzuführen.
"Die politische Krise, die nach den Wahlen von 2020 begann, sei noch nicht gelöst", sagt die Expertin. Langzeit-Machthaber Lukaschenko ließ sich damals zum Wahlsieger ausrufen, worauf es zu Massenprotesten kam. Viele Organisationen werfen ihm Wahlfälschung vor.
Leukavets zufolge säubern belarussischen Behörden weiterhin den zivilgesellschaftlichen Sektor und unabhängige Medien. Sie sagt:
Es gebe keinen Platz für unabhängige Medien. Jede politische Initiative wird der Expertin zufolge aktiv verfolgt. Angesichts dieser innenpolitisch angespannten Lage wäre ein Kriegseintritt Belarus wohl kein guter Zeitpunkt.
Auch der Konfliktbeobachter Gerasimov vermutet, dass sich Belarus keinesfalls in den Krieg direkt hineinziehen lassen wolle. Lukaschenko bewahre seine pragmatische Position.
Laut Gerasimov sei er ein "politischer Überlebenskünstler", der es immer wieder schaffe, zwischen Russland und dem Westen zu manövrieren. Auch jetzt vollbringe er das politische Kunststück, sich einerseits für Moskau als der treueste Verbündete darzustellen und gleichzeitig keine direkte Kriegspartei zu werden. "Wie lange ihm das noch gelingen wird, bleibt aber ungewiss", meint Gerasimov.