"Das ist nicht das Ende", heißt es in Telegram-Kanälen, die der Söldner-Truppe Wagner nahestehen. Sollte sich der Tod ihres Chefs Jewgeni Prigoschin bestätigen, drohen sie mit der Einnahme des Kreml.
Am Mittwochabend kursierten Videos auf Social Media. Ein Flugzeug geht plötzlich in Rauch auf, gerät außer Kontrolle, stürzt zu Boden – beinahe gleitend wie ein gigantischer Vogel. Es soll sich dabei um den Privatflieger von Prigoschin handeln, der nordwestlich von Moskau im Gebiet Twer abgestürzt sein soll.
Prigoschin soll auf der Passagierliste gestanden haben. Kurze Zeit später wurde via seinem Telegram-Kanal sein Tod vermeldet. Eine offizielle Bestätigung gibt es nicht.
Womöglich könnte sich an Bord des Flugzeugs die gesamte Führung der Gruppe Wagner befunden haben, wie aus Berichten hervorgeht. Darunter auch der wichtigste Kommandeur Utkin, alias "Wagner", der Gründer der Privatarmee. Damit wäre die Gruppe Wagner de facto kopflos.
Prigoschin genoss ein hohes Ansehen unter seinen Männern. Mit seinem mutmaßlichen Tod bleibt die Frage: Wie geht es mit seiner Privatarmee weiter?
"Es ist wahrscheinlich das Ende von Wagner", sagt Politikwissenschaftler Brian D. Taylor auf watson-Anfrage. Er ist Direktor des Moynihan Institute of Global Affairs an der Syracuse University im US-Bundesstaat New York. Der russische Präsident Putin werde es vorziehen, dass die "Marke" Wagner angesichts der Meuterei im Juni nicht mehr existiert.
Hier siehst du im Video: Welche Rolle der Flugschreiber nach Prigoschins Tod spielt:
Laut Taylor gibt es bereits Anzeichen dafür, dass die Wagner-Kämpfer samt ihrer laufenden Operationen, etwa in Afrika, von einem anderen "privaten Militärunternehmen" übernommen werden sollen, das dem russischen Militärgeheimdienst enger unterstellt ist.
Denn: Die Operationen in Afrika und im Nahen Osten sind Taylor zufolge wichtig für den russischen Staat, sowohl für die Wirtschaft als auch geopolitisch. Von einem möglichen Aufstand der Wagners geht der US-Amerikaner nicht aus. "Sie werden den Kreml nicht wieder direkt herausfordern", sagt er.
Die offensichtliche Tötung von Prigoschin sieht Taylor als Putins Rache für die Wagner-Meuterei an, die der Kreml-Chef als Verrat und "Dolchstoß" bezeichnete. "Viele werden darin eine weitere Bestätigung für die Gefahren sehen, die damit verbunden sind, sich mit Putin anzulegen", meint der Experte.
Aber es spiegelt laut ihm auch die gesetzlose und unberechenbare Natur der russischen Politik wider, die eher vom Willen des Zaren als von formellen und regulierten Institutionen abhängig ist.
Auch Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Andreas Umland rechnet nicht mit einer weiteren Meuterei der Wagner-Kämpfer – auch wenn einige Söldner nach der Todesmeldung ihres Chefs auf Telegram dazu aufrufen.
"Es gab zwar bereits eine Ankündigung von ihnen, einen zweiten Marsch auf Moskau zu unternehmen als Reaktion auf Prigoschins Tod, allerdings wird dies ohne die Autorität von Prigoschin selbst schwierig sein", sagt Umland auf watson-Anfrage.
Laut ihm kann Prigoschin als politische Führungsfigur nicht ohne weiteres ersetzt werden. Umland arbeitet als Analyst am Stockholm Centre for Eastern European Studies. Aber: "Tatsächlich schien Prigoschin viele Sympathisanten zu haben. Womöglich könnte es zu Aktionen von Söldnern und Anhängern Prigoschins kommen", prognostiziert er.
Putin habe mit diesem Anschlag zwar die Zügel seiner Herrschaft wieder angezogen. "Allerdings bedeutet die gesamte Prigoschin-Geschichte einen erheblichen Reputationsverlust für Putin, da Prigoschin sein politischer Ziehsohn war", meint Umland. Laut Russland-Experten Stefan Meister geht Putin jedoch gestärkt aus dem Tod von Prigoschin hervor.
Denn nach dem versuchten Putsch stand fest: "Hätte Prigoschin das überlebt, wäre es ein Zeichen von Schwäche gewesen", sagt Meister auf watson-Anfrage. Er forscht für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Laut ihm war es nur eine Frage der Zeit, wann das System zuschlägt. "Es war also erwartbar", führt er aus. Nach dem Aufstand der Wagners sei das Ansehen des Präsidenten massiv gesunken. "Am Ende hat Putin deutlich gemacht, wer der stärkere ist und das zählt in Russland", meint Meister. Ihm zufolge hatten viele Russ:innen Sympathie für Prigoschin, aber nicht dafür, dass er die Führung stürzen wollte. Und wie schätzt er das "Rachepotenzial" der Wagner-Söldner ein?
Gering. Meister sehe nicht, dass es zu einer massiven Reaktion der Söldner kommen wird. "Wagner befindet sich seit dem gescheiterten Putsch im Juni bereits in der Transformation", meint er. Die Leute werden teilweise wütend sein, aber der Kreml habe bereits entschieden, dass sie in Afrika und anderen Teilen der Welt im Einsatz bleiben.
"Es wird eine neue Führung geben und diese wird stärker unter Kontrolle des Kremls und Generalstabs stehen", sagt Meister. Prigoschins Tod werde demnach auf die Einsätze der Wagners in Afrika keine großen Auswirkungen haben. "Solange Geld fließt und der Kreml das Interesse hat, werden die Leute ihre Aufgaben dort erfüllen", sagt er.