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Analyse

USA sollen Nord-Stream-Pipelines gesprengt haben – aber es gibt Zweifel

FILE - In this picture provided by Swedish Coast Guard, a leak from Nord Stream 2 is seen, Wednesday, Sept. 28, 2022. Swedish investigators found traces of explosives at the Baltic Sea site where two  ...
Austretendes Gas nach der Detonation an einer der Pipelines, aufgenommen von der schwedischen Küstenwache.Bild: Swedish Coast Guard
Analyse

USA sollen Nord-Stream-Pipelines gesprengt haben – aber es gibt Zweifel

Der weltbekannte US-Journalist Seymour Hersh behauptet, dass die USA die Nord-Stream-Pipelines mithilfe von Norwegen gesprengt haben. Die US-Regierung bestreitet vehement – der Fall im Überblick.
10.02.2023, 10:5110.02.2023, 11:00
Nico Conzett / watson.ch
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Darum geht es

Zu insgesamt vier Explosionen kam es im September des letzten Jahres an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in der Ostsee. Die durch Schweden und Dänemark verlaufenden Pipelines wurden gebaut, um russisches Gas zu transportieren, insbesondere auch nach Deutschland. Laut schwedischen Untersuchungen ist klar, dass es sich um Sabotage handelte – es wurden Sprengstoffrückstände in der Nähe der Lecks nachgewiesen.

Wer für die mutmaßlichen Anschläge verantwortlich war, blieb in der Folge ungeklärt. Es kam zu einer Reihe von Schuldzuweisungen. Verdächtigt wurde einerseits Russland, andererseits gab es auch verschiedene Stimmen, die mögliche Motive aufseiten der USA sahen.

"Wir werden dem ein Ende bereiten."
Joe Biden über Nord Stream 2

Hintergrund waren Äußerungen von Präsident Joe Biden vor dem Krieg, wonach "es kein Nord Stream 2 mehr geben" werde, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Weiter sagte er: "Wir werden dem ein Ende bereiten."

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Die USA sprachen sich von Beginn an gegen das Nord-Stream-Projekt aus, weil sie eine größere Abhängigkeit Europas von Russland befürchteten. Zudem hätte Nord Stream auch die Möglichkeiten der US-Amerikaner eingeschränkt, den Europäern das eigene Flüssiggas zu verkaufen.

Der Fall in der Übersicht:

Das schreibt Seymour Hersh

Nun befeuert der bekannte US-Journalist Seymour Hersh die Spekulationen um eine Beteiligung der USA an den Explosionen – mehr noch: Er ist sich sicher, dass die USA die Lecks zu verantworten und damit Nord Stream zu Grabe getragen haben. Hersh schreibt in einem auf seiner eigenen Webseite veröffentlichten Artikel, dass US-Marinetaucher im vergangenen Juni Sprengsätze an den Pipelines angebracht hatten – unter dem Deckmantel einer Nato-Übung namens BALTOPS 22.

President Joe Biden delivers the State of the Union address to a joint session of Congress at the U.S. Capitol, Tuesday, Feb. 7, 2023, in Washington, as Vice President Kamala Harris and House Speaker  ...
Hat die Regierung Joe Bidens die Sprengung angeordnet? Das behauptet zumindest ein US-Journalist.Bild: AP POOL / Jacquelyn Martin

Im September seien diese dann ferngesteuert zur Explosion gebracht worden. Angeordnet worden sei die Operation vom Weißen Haus persönlich und Unterstützung hätten die USA von Norwegen erhalten. Für die Planung und Umsetzung sei der US-amerikanische Geheimdienst CIA verantwortlich gewesen.

Hersh bezieht sich auf eine einzige Quelle, die sich innerhalb des engen Zirkels der US-amerikanischen Landesführung befinden soll. Er berichtet in seinem Text ausführlich, wie die Planungen und die Hintergründe der Aktion ausgesehen haben sollen.

Die Reaktion der US-Regierung

Offizielle Reaktionen aus dem US-Staatsapparat folgten unmittelbar auf Hershs Veröffentlichung.

"Diese Behauptung ist völlig falsch", erklärte ein Sprecher der CIA gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Auch das Weiße Haus reagierte: Die Behauptung, die Vereinigten Staaten stünden hinter den Explosionen, seien "absolut falsch und vollständige Fiktion", wie die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Haus, Adrienne Watson, erklärte. Mit einem ähnlichen Wortlaut äußerte sich auch das US-Außenministerium.

Wer ist Seymour Hersh?

Seymour Hersh ist einer der bekanntesten Investigativ-Journalisten der USA. International bekannt wurde er bereits im Jahr 1969. Damals berichtete er über das My-Lai-Massaker, ein von US-Soldaten begangenes Kriegsverbrechen in Vietnam, bei dem über 500 Zivilisten starben und das die US-Armee zuerst zu vertuschen versuchte. Für diese Enthüllung wurde Hersh mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Auch in den folgenden Jahrzehnten publizierte Hersh immer wieder kritische Artikel, die oft US-Behörden betrafen. Anfangs des aktuellen Jahrhunderts publizierte er beispielsweise auch zum Gefängnisskandal um die US-Anstalt Abu Ghraib im Irak.

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Seymour Hersh deckte 1969 ein schweres Kriegsverbrechen auf.Bild: www.imago-images.de / Everett Collection

Wie glaubwürdig ist die Darstellung von Hersh?

Das Renommee Hershs war zu Beginn seiner Karriere groß, insbesondere nach seiner Publikation zum My-Lai-Massaker. Auch seine weiteren Enthüllungen in den folgenden Jahrzehnten wurden immer mal wieder mit Preisen honoriert.

In jüngerer Vergangenheit kamen aber vermehrt Zweifel an den Darstellungen des mittlerweile 85-Jährigen auf. Kontrovers diskutiert wurde beispielsweise ein Bericht über die Ermordung von Osama Bin Laden unter der Obama-Administration. Hersh stellte den Hergang der US-Operation infrage und präsentierte unter Berufung auf anonyme Quellen eine alternative Version, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

Für noch mehr Kontroversen sorgte eine Publikation aus dem Jahr 2013, als Hersh syrische Rebellen beschuldigte, einen Angriff mit dem Nervengift Sarin auf einen Vorort von Damaskus inszeniert zu haben, der hunderte Zivilisten tötete. 2013 wurden in Syrien mehrere Giftgasattacken auf von Rebellen gehaltene Gebiete dokumentiert.

Wer letztendlich für die Angriffe verantwortlich war, ist nicht definitiv geklärt. Die USA und mehrere andere westliche Länder sehen es als erwiesen an, dass Assads Armee Sarin einsetzte. Russland und Iran sowie das syrische Regime schoben die Schuld den Rebellen zu – Hersh stützte zumindest in einem konkreten Fall diese Version.

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Syriens Machthaber Bashar al-Assad im Jahr 2020 bei einem Treffen mit Wladimir Putin. Bild: imago images / Alexei Nikolsky

Kritisiert wird bei Hersh vor allem, dass er sich in den allermeisten Fällen auf anonyme Quellen bezieht. Dies wurde im Laufe seiner Karriere zu seinem Markenzeichen. In jüngerer Vergangenheit wurde Hersh vermehrt vorgeworfen, seinen Quellen gegenüber zu wenig kritisch zu sein. Auch, dass er sich manchmal nur auf eine oder wenige Quellen bezieht, schadete Hershs Glaubwürdigkeit. Unter anderem zeigt sich das darin, dass renommierte Medien die Storys von Hersh angeboten bekamen, diese aber immer mal wieder ablehnten.

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