Galten stets als enge Verbündete: Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew (l.) und Wladimir Putin.Bild: Imago Images / ZUMA Wire
Analyse
Ein Konvoi aus Militärfahrzeugen rast auf einer Straße vorbei. Radpanzer, Militärgeländewagen und Transporter fahren der Reihe nach durch die Landschaft. Sie sollen sich auf dem Weg nach Russland befinden.
Ein Video dazu geht in den sozialen Medien viral. Angeblich soll Kasachstan "gepanzerte Fahrzeuge und sanktionierte Güter" über die Grenze schicken, um Russlands brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Das schreibt etwa die kasachische Menschenrechtsanwältin Botagoz Jardemalie auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter).
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"Jardemalie lebt seit Längerem im Ausland und bekämpft von dort aus die kasachische Regierung", sagt Zentralasien-Experte Temur Umarov auf watson-Anfrage.
Experte ordnet Background von Jardemalie ein
Für die Denkfabrik "Carnegie Zentrum" arbeitete Umarov in Russland, musste das Land allerdings verlassen und lebt heute in Berlin. Laut ihm sind die Inhalte von Jardemalie allerdings mit Vorsicht zu genießen.
In ihrem Post behauptet sie, dass jeden Tag militärische Güter und Fahrzeuge gesehen werden, die durch Kasachstan in Richtung Russland fahren. Der russische Präsident Wladimir Putin nutze Kasachstan als Hintertür, um westliche Sanktionen zu umgehen, lauten ihre Vorwürfe – die nicht ungehört bleiben. In den Kommentaren reagieren User:innen empört und rufen Sanktionen gegen das Steppenland auf.
Jardemalie lebt heute in Belgien. Zuvor arbeitete sie Umarov zufolge als Anwältin für ein Unternehmen des kasachischen Oppositionellen Muchtar Äbljasow. Der Bankier lebt ebenfalls im Exil. Laut eines Berichts der "Süddeutschen Zeitung" soll er in einige kriminelle Machenschaften verwickelt sein.
Ein Gericht in seinem Heimatland hatte den Kasachen demnach 2018 im Zusammenhang mit dem Mord an einem bekannten Banker zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zudem soll er mehrere Milliarden Dollar der kasachischen BTA Bank veruntreut haben, deren Vorstandchef er einst war.
"Äbljasow hat sich zu einem sehr toxischen Akteur in Kasachstan entwickelt", meint Umarov. Seine Partei "Demokratische Wahl Kasachstans" wurde als extremistisch eingestuft. "Alle Mitglieder seines Teams verließen das Land", führt Umarov aus – so auch Jardemalie.
Doch zurück zu ihrem Vorwurf, Kasachstan liefere militärische sowie sanktionierte Güter nach Russland.
Es fehlen handfeste Beweise
Laut Umarov fehlen für diese Beschuldigungen schlichtweg handfeste Beweise. Der gebürtige Usbeke vertritt weiterhin die Meinung, dass Kasachstan die brutale Invasion Russlands in der Ukraine nicht unterstützt. Denn: In der Vergangenheit hatte dies die kasachische Regierung mehr als deutlich gemacht und klare Zeichen nach Moskau gesendet.
Umarov zufolge gibt es keine Anzeichen innerhalb der kasachischen Regierung dafür, Russland helfen zu wollen – das zeigen jedenfalls seine Recherchen. Dennoch heizen sich die Gerüchte in den sozialen Medien weiter an, Kasachstan sendete etwa Militärfahrzeuge nach Russland. Nun greift das kasachische Verteidigungsministerium selbst ein und äußert sich auf seinem Telegram-Kanal in ein Statement zu den Vorwürfen.
Kasachisches Verteidigungsministerium nimmt Stellung zu den Gerüchten
In der offiziellen Mitteilung heißt es, die kasachischen Streitkräfte führen derzeit Gefechtsübungen durch. Demnach würden Einheiten zu Übungsplätzen in verschiedenen Regionen des Landes verlegt, wo sie Militärübungen durchführten. "In diesem Zusammenhang bitten wir die Bürger, nicht auf die verbreiteten Gerüchte zu reagieren und nur offiziellen Informationsquellen zu vertrauen", schreibt das Verteidigungsministerium.
Angehörige der Streitkräfte Kasachstans führen offenbar Militärübungen durch.Bild: imago images/ITAR-TASS / Yegor Aleyev
Sprich, die verbreiteten Videoausschnitte von Militärkonvois werden offenbar für Desinformationskampagnen missbraucht. Davor warnt auch Madi Kapparov, ein Doktorand an der London Business School. Der Wirtschaftsexperte weist auch darauf hin, dass Jardemalie Mitarbeiterin bei der "Open Dialogue Foundation" (ODF) ist.
Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt sich Jardemalie oft mit der Präsidentin der internationalen Nichtregierungsorganisation Lyudmyla Kozlovska. Sie berichten etwa gemeinsam von der Sommersitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) in Straßburg. Dort gaben sie eigenen Angaben zufolge den Abgeordneten einen Bericht über die Menschenrechtslage in Kasachstan.
Brisant: Der Ukrainerin Kozlovska wird eine Nähe zum Kreml vorgeworfen. Darauf wies bereits das Europäische Parlament 2018 hin.
Wolf im Schafspelz: Kozlovska soll wohl Kontakte zu Russland pflegen
Lobbyist:innen haben freien Zugang zum Europäischen Parlament aufgrund von Dauerausweisen, die von der Europäischen Kommission (EK) über das Transparenzregister ausgestellt werden. Eine der Personen, die diesen Ausweis erhalten hat, ist Kozlovska – allerdings wird ihre Vertrauenswürdigkeit infrage gestellt.
Es heißt:
"Obwohl die ODF offiziell Demokratie und Menschenrechte unterstützt, erhielt Ljudmila Kozlovska 2014, also nach der Annexion der Krim, einen russischen Pass. Darüber hinaus werden die Stiftung und ihre Sponsoren verdächtigt, Verbindungen zu Russland zu haben, einschließlich zu Einrichtungen, die mit der russischen Marine verbunden sind."
Auch die britische "Times" ging 2019 auf die Thematik ein. Demnach behauptet ein von dem moldawischen Parlament veröffentlichter Bericht, dass die ODF und Kozlovska "Beziehungen und Verpflichtungen" mit einer Reihe von russischen Geheimdienstagent:innen haben. Das mache sie zu einem "Instrument für Soft-Power-Interventionen", die vom Kreml für eigene geopolitische Zwecke eingesetzt werde – offenbar auch gegen Kasachstan.
Denn am Ende ist und bleibt es wohl wie ein Schlag in Putins Gesicht, dass sich sein sonst treuer Gefährte Kassym-Schomart Tokajew so offen gegen die Invasion der Ukraine ausspricht. Allerdings gibt es einen Punkt, der durchaus Aufmerksamkeit verdient, meint Umarov.
Dual-Use-Güter gelangen über Kasachstan nach Russland
Laut des Experten gibt es Berichte, dass einige Güter mit doppeltem Verwendungszweck, also Dual-Use-Güter, durch Kasachstan nach Russland gelangen. Gemeint sind damit etwa technische Geräte mit eingebauten Mikrochips. "Das ist ein Vorgang, den die kasachische Regierung nur schwer regulieren kann", sagt Umarov. Denn Kasachstan ist Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU).
Der kasachische Präsident Tokajew und Putin beim Treffen der Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) im Mai. Bild: Roscongress Foundation / Sergey Shinov
Weitere Mitglieder des 2015 gegründeten Wirtschaftsbündnis sind Armenien, Kirgisistan, Belarus – und eben Russland. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung ist die EAWU ein Versuch, ähnlich wie die Europäische Union, wirtschaftspolitisch enger zusammenzuarbeiten.
Sprich, es wird etwa ein ungehinderter Warenaustausch angestrebt. "Daher gibt es keine großen Kontrollen an der Grenze. Unternehmen in Kasachstan können so sehr leicht ihre Waren nach Russland exportieren", sagt Umarov. Das Land dient aber auch als Transitland.
"So werden etwa Drohnen aus China über Kasachstan nach Russland exportiert", führt der Experte aus. Und diese könnte Russland durchaus für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzen. Laut Umarov versucht die kasachische Regierung, den Warentransport besser zu kontrollieren – bisher ohne Erfolg.
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