Almaty, Kumys, Chapan – die wenigsten können mit diesen Begriffen wohl etwas anfangen. Eine Stadt in Kasachstan, ein beliebtes kirgisisches Getränk aus Stutenmilch oder der traditionelle Umhang usbekischer Männer.
Es ist diese ferne Region, irgendwo in Asien. Bestehend aus ehemaligen sowjetischen Ländern, der heutige Hinterhof des Kremlchefs Wladimir Putins. Unwichtig, denken sich wohl viele. Der Wandel in Zentralasien öffnet den USA neue Türen – durchschreiten wollen sie diese aber anscheinend nicht.
Bis heute hat etwa kein einziger US-Präsident eines der fünf zentralasiatischen Länder besucht. Was nicht bedeutet, dass die USA in der Region nicht präsent sei, meint der Usbeke Temur Umarov im Gespräch mit watson. "Aber es zeigt deutlich, wo die außenpolitischen Prioritäten der USA liegen". Umarov forscht am Carnegie Endowment for International Peace mit Fokus auf China, Russland und Zentralasien.
"Die Region ist nicht Teil der internationalen Interessen Amerikas. Dabei ist es durchaus bedeutsam für die US-Außenpolitik, was in Zentralasien passiert", sagt Umarov. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und der neue Nahostkrieg haben die internationale Ordnung aus den Fugen gebracht. Die "Weltpolizei" USA hat jede Menge um die Ohren.
In einem früheren Gespräch mit watson stellte Politikwissenschaftler Denis Cenusa vom Zentrum für Osteuropastudien (EWSA) fest: Die Sicherheitsarchitektur des internationalen Systems befindet sich in einer Krise. Doch Krisen bedeuten bekanntlich auch Chancen.
Die USA möchten ihre Position als dominierende Macht in der Welt beibehalten – auch hier könnte Zentralasien eine Rolle spielen.
Demnach braucht die US-Regierung einen neuen "strategischen Ansatz für das Herz der eurasischen Landmasse", fordert Kamran Bokhari in einem Meinungsstück für die "The Wall Street Journal". Er ist Direktor des Ressorts Eurasische Sicherheit und Wohlstand am New Lines Institute for Strategy and Policy.
Bisher sind es noch immer Russland und China, die einen dominierenden Einfluss in der Region besitzen – doch die aus den Fugen geratene internationale Ordnung hinterlässt Spuren in Zentralasien. Vor allem in Kasachstan, dem größten und einflussreichsten Land Zentralasiens.
Russland hat momentan mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine alle Hände voll zu tun. Doch der sonst enge Verbündete Kasachstan will da nicht mitmachen. Im Gegenteil: Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew testet nun die Grenzen aus und lehnt sich auffällig weit aus dem Fenster, um sich von Moskau abzunabeln.
China wittert bereits seine Chance. Das Land sucht verstärkt die Nähe zu den zentralasiatischen Ländern und füllt laut Expert:innen die Lücke, die Russland momentan hinterlässt. Allerdings steckt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nun in einer gigantischen Wirtschaftskrise.
"In einer Zeit, in der sowohl Moskau als auch Peking vor Herausforderungen stehen, kann Washington engere Beziehungen zu Zentralasien aufbauen", schreibt Bokhari. Laut ihm liegt der Schlüssel dazu in einer engen Zusammenarbeit mit Kasachstan, der Führungsmacht der Region.
Er führt aus:
Kasachstan könnte demnach auch eine Funktion als Vermittler zwischen dem Westen und Russland sowie China einnehmen.
Laut Umarov ist Kasachstan derzeit ein "stabiler eurasischer Staat", der dem Westen freundlich zugetan ist. Demnach wäre das Land ihm zufolge auch ein "stabiler Partner auf dem asiatischen Kontinent". Mit Russland seien alle diplomatischen Wege seit dem Krieg in der Ukraine eingebrochen. Auch mit China und den restlichen Ländern in Zentralasien könne man nur schwierig verhandeln, meint Umarov. Ganz zu schweigen vom Iran oder von Afghanistan.
Doch die USA sehen das wohl anders und sind eben nicht so präsent in der Region wie in anderen Ländern. Somit verspiele die US-Regierung ihre Karten, als "stabiler Partner" entscheidend in der Region aufzutreten, meint Umarov.
Man sollte auch nicht vergessen: Kasachstan gehört zu den rohstoffreichsten Ländern der Erde.
Kasachstan verfügt über große Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Steinkohle, Gold, Kupfer und Uran. Eine wichtige Ressource, ohne die Atomkraftwerke stillstehen würden. Nach Angaben des "Caspian Policy Center" exportiert Kasachstan etwa die Hälfte seines Urans nach China, der Rest geht etwa nach Europa und in die USA.
Und wie laufen die Geschäften mit Russland?
Das kasachische Handelsministerium stellt klar, dass der Handel mit Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die also auch zum militärischen Zweck verwendet werden könnten und der Exportkontrolle unterliegen, im Einklang "mit den internationalen Verpflichtungen" Kasachstans erfolge.
Expert:innen warnen dennoch, Kasachstan könnte ein potenzielles Schlupfloch zur Umgehung von Sanktionen sein und spielt daher gleichzeitig eine Schlüsselrolle bei der Verhinderung illegalen Handels. Darauf macht auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufmerksam.
"Es ist gut und hilfreich, dass die kasachische Seite uns dabei unterstützt, Sanktionsumgehungen zu verhindern, und aktive Gegenmaßnahmen beschlossen hat", sagt Scholz nach einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Tokajew im September in Berlin. Er fügt hinzu, dass beide Länder ihre außen- und geopolitische Zusammenarbeit intensivieren wollen.
Ein Plan, den auch die USA verfolgen wollen. Bei der UN-Versammlung im September setzen sie dazu einen kleinen, aber doch bemerkenswerten Meilenstein.
US-Präsident Joe Biden schreibt Geschichte: Am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen trifft er sich mit den Führern von Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.
Biden bezeichnet das Treffen als "einen historischen Moment". "Heute heben wir unsere Zusammenarbeit auf ein neues Niveau", führt er aus. Doch wie die neue Zusammenarbeit aussehen soll, bleibt unklar. Laut Umarov werden die USA auch in Zukunft Zentralasien keine größere Aufmerksamkeit widmen.
"Biden hat schon genug um die Ohren mit der anstehenden Wahl 2024 in den USA. Die Amerikaner kennen und verstehen Zentralasien nicht wirklich, und damit die politische Relevanz der Region", sagt Umarov. Daher sei es schwer, ihnen zu "verkaufen", warum sich die USA auch dort mehr engagieren sollte.