Feierstimmung bei den Konservativen in Spanien: Die Volkspartei Partido Popular reklamierte den Wahlsieg für sich. Bild: Europa Press / Europa Press News
Analyse
24.07.2023, 09:0024.07.2023, 09:03
Es war eine Überraschung – und lässt viele nun mit einem Fragezeichen im Kopf zurück: In Spanien triumphieren die Konservativen nach der Wahl, die Rechtsextremen verlieren Stimmen und die Sozialdemokrat:innen hoffen irgendwie doch noch auf den Regierungsvorsitz.
Spanien wählte am Sonntag das neue Parlament und damit auch eine neue Regierung. Zuvor wurde immer wieder davor gewarnt, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der EU weiter nach rechts abdriftet. Doch die rechtsextreme Vox-Partei verlor sogar Stimmen.
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Alberto Núñez Feijóo, der Spitzenkandidat der Konservativen, konnte fast drei Millionen Stimmen und damit 47 Mandate für seine Partido Popular (PP) dazugewinnen. Die PP steht mit 136 Sitzen im Parlament also ganz gut dar.
Die bisherige Regierungspartei PSOE konnte zwar auch Stimmen gewinnen, ist aber mittlerweile nicht mehr stärkste Partei im Parlament. Premier Pedro Sánchez hofft dennoch weiter auf eine linke Regierungsbildung.
Eine große Koalition kommt überhaupt nicht infrage.
Wie geht es jetzt weiter? Watson hat drei Erkenntnisse aus der Wahl in Spanien zusammengefasst.
Kein Rechtsruck – eher ein Rückchen
Ganz so, wie es befürchtet war, ist es nicht gekommen: Die rechtsextreme Vox hat entgegen aller vorheriger Umfragen Stimmen verloren. War doch zuvor die große Sorge, sie könnte in einem Rechtsblock mit dem jetzigen Wahlsieger, der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP), koalieren und damit künftig Spaniens Politik nach rechts umkrempeln.
Doch mit den vorherigen Prognosen waren auch Expert:innen schon vorsichtig.
Denn der große "Rechtsruck", wie ihn vor allem die Politiker:innen des regierenden Linksbündnisses aus PSOE und Unidos Podemos nannten, war bereits vor dem beruhigenden Wahlergebnis am Sonntag eher ein Rückchen als ein Ruck.
Spanien-Experte Ludger Gruber erklärte es in einem früheren Gespräch mit watson so: "Der Begriff 'Rechtsruck' ist das Narrativ aus linker Sicht." Seine Erklärung: Sowohl Wahlprogramm und Politik der PP befinden im gleichen programmatischen und weltanschaulichen Spektrum wie etwa die deutschen Parteien – abgesehen von der AfD und der Linkspartei.
Und nicht nur das: Auch das Programm der PSOE stimmt in vielen Punkten mit PP überein.
Bekannte Regierungsparteien Spaniens
PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei)
Mitte-links Partei, die aktuell am stärksten im Parlament vertreten ist. Die Partei setzt sich etwa für liberale Lebensweisen ein.
Unidos Podemos (Vereint können wir)
Linksalternative Protestpartei.
PP (Volkspartei)
Mitte-rechts Partei, die sich für eine konsequente Bekämpfung von Verbrechen ein, möchte einen starken Nationalstaat und Steuersenkungen.
Vox
Rechtspopulistische Partei. 2018 ist sie als Abspaltung aus der PP entstanden.
Blieb also noch die große Sorge vor dem Populismus, der sich in ein künftiges Rechtsbündnis mit der PP einschleichen könnte.
Aber offenbar konnte der bisherige sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez von der PSOE mit seinen Warnungen vor dem Rechtsruck punkten: Immer wieder erinnerte er an Spaniens dunkelste Zeiten – die faschistische Vergangenheit unter dem Diktator Francisco Franco. Sánchez hatte gefühlt täglich erwähnt: Sollte der Rechtsblock aus PP und Vox erfolgreich sein, würde Spanien um Jahrzehnte zurückfallen.
Das Problem mit den Mehrheiten
Nun – die Konservativen haben die Wahl gewonnen. Aber: Eine absolute Mehrheit konnte die PP selbst mit einer Allianz mit der Vox nicht holen. Spanien steht damit eine lange Hängepartie und womöglich eine weitere Wahl bevor.
Das hinderte PP-Spitzenkandidat Feijóo nicht daran, das Amt des Regierungschefs für sich zu reklamieren. "Ich übernehme die Aufgabe, Verhandlungen zur Bildung einer Regierung aufzunehmen", sagte der 51-Jährige am Sonntagabend. Die PP konnte sich um 47 Sitze auf 136 Sitze im Parlament verbessern. Sie braucht jedoch eine absolute Mehrheit von 176 Sitzen – mit den 33 Vox-Sitzen reicht das nicht aus.
"Es ist der Moment: Wähle Feijóo" stand auf den Wahlplakaten der konservativen PP.Bild: AP / Bernat Armangue
Zugleich war kaum absehbar, dass andere Parteien ihm im Verbund mit Vox zu einer Regierungsmehrheit verhelfen würden.
Auf nationalistische Parteien aus dem Baskenland und Katalonien kann Feijóo nicht zählen: Die vergangenen Jahre über nannten er und seine PP-Parteifreunde die Regierungsparteien eine "Frankenstein-Koalition", warf der Koalition vor, sich von Separatisten (die katalanische ERC) und "Terroristen" (die baskisch-nationalistische EH Bildu) unterstützen zu lassen.
PP und PSOE auf der Suche nach Partnern
Auch der sozialistische Amtsinhaber Sánchez dürfte große Probleme haben, eine Neuauflage seiner linken Minderheitsregierung in die Wege zu leiten. Seine Partei konnte sich zwar um zwei Sitze auf 122 Sitze verbessern. Sein linkerer Partner, das Wahlbündnis Sumar, kam auf 31 Sitze. Zusammen mit kleineren Regionalparteien, mit deren Hilfe er 2019 ins Amt gewählt worden war, käme der Sozialist auch nur auf 172 Stimmen.
Auf Twitter schreibt Sánchez: "Der rückwärtsgewandte Block, der vorschlug, die in den letzten vier Jahren erzielten Fortschritte wieder rückgängig zu machen, ist gescheitert. Es gibt noch viel mehr von uns, die wollen, dass Spanien vorankommt."
Der Preis für die fehlenden Stimmen wird hoch sein. Die katalanische ERC will ein Unabhängigkeitsreferendum – das macht sie schon lange deutlich. Ähnliches verlangt die separatistische Junts-Partei von Carles Puigdemont, der sich zurzeit noch im Exil in Brüssel aufhält. Das Problem: Diese Bedingungen sind verfassungsrechtlich überhaupt nicht möglich – und außerdem hat die Linkskoalition einem solchen Begehren schon eine klare Absage erteilt.
Es könnte also sein, dass Spanien noch einmal an die Wahlurne muss. Und das könnte eng werden für Feijóo und seine PP: Im zweiten Wahlgang würden die 172 Abgeordneten des Linksbündnisses für die einfache Mehrheit reichen.
Polarisierung hilft den Spaltern
Alberto Núñez Feijóo und Pedro Sánchez trafen während des Wahlkampfes einmal aufeinander. Und da krachte es übel: Die beiden stritten so laut, dass potenzielle Wähler:innen kaum noch die Möglichkeit hatten, überhaupt ein Wort zu verstehen.
Vorwürfe über Vorwürfe, Beleidigungen und Bezichtigungen. Der Kontrahent würde lügen, würde Zahlen manipulieren.
Vox kündigt Wiederstand an
Klar ist, die Volksparteien versuchten dringend, ihre politischen Differenzen zu verdeutlichen. Dass im Zuge dessen in den vergangenen Jahrzehnten, in denen sich die Parteien quasi in der Regierungsverantwortung abwechselten, immer mehr mit ideologischen Krachmachern koaliert wurde, bereitete den Weg der Polarisierung im Land immer mehr.
Wem das nützt? Den Spaltern der Gesellschaft.
Die Vox-Partei kündigte schon an, weiter laut zu sein. Auf Twitter schrieb sie: "Wir werden Widerstand leisten. Wir sind sowohl auf die Opposition als auch auf eine Wiederholung der Wahlen vorbereitet, bei der wir wieder die gleichen Fahnen hochhalten werden."
Auch, wenn der Rechtsruck dieses Mal ausgeblieben ist – Politikwissenschaftler:innen warnen seit Jahren davor, die Sprache der Populist:innen zu verwenden. Denn ähnlich wie es auch hierzulande mit der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen AfD ist: Am Ende entscheiden sich Wähler:innen das doch für das Original.
Harte Sprache führt zur Verrohung des Denkens. Rassistische und frauenfeindliche Positionen können normalisiert werden. Unsagbares wird zum Usus des politischen Diskurses – und die Gesellschaft rückt damit immer weiter nach rechts.
Das ist zumindest die Warnung der Wissenschaft.
In Spanien verhielt es sich demnach in den vergangenen Jahren so: Unidas Podemos zog die PSOE immer weite nach links, die rechtsextreme Vox die PP nach rechts.
Dass Vox gerade Stimmen an die PP verloren hat, macht die drohende Gefahr nicht kleiner. Vielleicht hat sie den großen GAU nur ein Stück weit aufgeschoben.
(Mit Material der dpa)