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Israel-Krieg: Junge Menschen aus Nahost mit emotionalen Worten zu Gaza

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Wie viel Blut muss noch im Nahen Osten fließen, bis Frieden einkehrt? Das fragt sich eine im Libanon lebende Palästinenserin und verurteilt das Töten in Gaza.Bild: imago images / Adel Al Hwajre
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Israel-Krieg: Junge Menschen aus Nahost klagen über die "eiternde Wunde" der Palästinenser

09.11.2023, 20:2709.11.2023, 20:49
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"Ich habe meinen Willen verloren, als normaler Mensch in der Gesellschaft zu funktionieren", antwortet Omar Yehia auf die Frage, wie es ihm geht. Der 27-Jährige lebt und arbeitet im Norden des Libanon. Dort unterstützt er aufstrebende Webentwickler:innen. Doch so richtig aufstrebend ist in seinem Land nichts.

Der Libanon ist pleite. Das libanesische Pfund verlor seit 2019 etwa 90 Prozent seines Wertes durch die Wirtschaftskrise. Die Regierung ist zersplittert, jeder nimmt sich einen Teil des Kuchens: Schiiten, Sunniten und Christen. Es ist beinahe ein Sinnbild für den Nahen Osten. All die Krisen, Kriege und Ungerechtigkeiten – sie lähmen die Jugend, sie schüren Wut.

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"Von einer Person, die hier geboren und aufgewachsen ist, kann ich sagen, dass es unfair ist. Der Nahe Osten ist ein großer Spielplatz für politische Akteure, die über unsere Zukunft entscheiden", klagt Omar im Gespräch mit watson.

Was aktuell in Israel und im Gazastreifen geschieht, nehme ihn sehr mit.

Nahost: Eine endlose Geschichte von Machtspielen

"Wie kann es sein, dass Kinder in Gaza, eine Acht-Stunden-Autofahrt entfernt von meinem Wohnort, ihre Namen auf ihre Hände schreiben, damit ihre Körper im Falle eines Angriffs identifiziert werden können?", fragt er. Gegenüber des US-Senders CNN bestätigt Abdul Rahman Al Masri, Leiter der Notaufnahme des Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhauses, dass es Fälle gibt, in denen Eltern die Namen ihrer Kinder auf Beine und Bauch schreiben.

Wo bleibt die Aufarbeitung der Geschichte, fragt sich Omar. Als wäre vor dem 7. Oktober nie etwas geschehen. "Der Konflikt begann bereits 1917, da wurde der Grundstein für den endlosen und schmerzhaften Konflikt gelegt, der die gesamte Region betrifft", meint er.

Um jüdische Unterstützung für die Briten im Ersten Weltkrieg zu gewinnen, versprach die britische Balfour-Erklärung 1917 die Errichtung einer jüdischen Heimstätte im osmanisch kontrollierten Palästina. "Das Problem des Konflikts im Nahen Osten ist ein komplexes Geflecht von Problemen, das oft von politischen Mächten, die ihre eigenen Interessen verfolgen, angezettelt wird", sagt Lina Kanaan im watson-Gespräch.

Die 28-Jährige lebt als palästinensische Geflüchtete im Libanon. Ihre Großeltern mussten 1948 ihr Haus und ihr Land verlassen. Sie erinnert sich aus Erzählungen an das "katastrophale Ereignis", das auch als "Nakba" bekannt ist. Damals wurden zahlreiche palästinensische Familien aus ihren Häusern gewaltsam verjagt.

Lina Kanaan lebt seit vielen Jahren im Libanon, doch dort ist und bleibt sie eine palästinensische Geflüchtete.
Lina Kanaan lebt seit vielen Jahren im Libanon, doch dort ist und bleibt sie eine palästinensische Geflüchtete.bild: Lina Kanaan

"Das Problem im Nahen Osten besteht darin, dass die Wirtschaft, Politik und praktisch jeder Aspekt des Lebens indirekt von anderen Akteuren beeinflusst werden“, sagt sie. Laut ihr ist es geostrategisch zum Vorteil, Israel im Nahen Osten anzusiedeln. Damit können die USA und auch Europa ihre Interessen in der Region schützen und Einfluss auf das Kräfteverhältnis nehmen. Andere Mächte wie der Iran, Saudi-Arabien und Russland mischen dementsprechend mit. Opfer dieses Spiels sei am Ende die Zivilbevölkerung.

Der anhaltende Raub der Heimat hinterlässt eine offene Wunde

Lina hat einen Master-Abschluss in "Economic-Social Development" und arbeitet im humanitären Bereich. Ein Alltag voller Tragödien, meint sie. Gerade palästinensische Geflüchtete seien in einem ewigen Kreislauf der Ungerechtigkeit gefangen.

Sie sagt:

"Im Libanon werden wir als Flüchtlinge bezeichnet, wir haben Rechte und Pflichten, aber wir bleiben eben Flüchtlinge, solange unsere Heimat besetzt ist. Das gilt für alle Palästinenser, egal, wo sie leben. Dieser Fakt erinnert uns jeden Tag daran, was uns zugefügt wird. Diese Ungerechtigkeit ist eine eiternde Wunde."

Was nun in Gaza geschieht, schütte tonnenweise Salz in diese uralte Wunde.

Seit dem brutalen Hamas-Überfall am 7. Oktober nimmt Israel den Gazastreifen unter Dauerbeschuss, um gegen die Terroristen vorzugehen. Dabei wurden nach neuen Angaben der Hamas-Regierung mehr als 10.000 Menschen getötet. Israel zweifelt diese Zahl an, dennoch halten Expert:innen und Mitarbeitende von internationalen Hilfsorganisationen die Angaben für glaubwürdig. Unter den Opfern sollen sich viele Kinder befinden.

"Gaza verwandelt sich in einen Friedhof", warnt Lina. Das Sterben und Leiden im Gazastreifen sei eine Anklage gegen die Menschlichkeit. Sie erlebt im Libanon eine Welle der Wut. Zahlreiche libanesische Jugendliche solidarisieren sich mit Gaza.

Lina stellt klar: "Unser Problem sind nicht die Juden – es sind die Zionisten, die ultra-rechte Regierung Israels und diejenigen, die ihre Augen vor den Verbrechen verschließen, die innerhalb der Grenzen des besetzten Palästinas begangen werden."

Der Konflikt sei nicht in Religion verwurzelt, es sei ein politischer Kampf gegen die zionistische Ideologie, führt sie aus. Laut ihr gibt es auch jüdische Stimmen, die ein Ende der Gewalt fordern. Was die Palästinenser:innen wollen, ist ein Grundrecht: das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, auf Selbstbestimmung und auf ein Leben in Frieden und Würde. Ein Grundrecht, das aber auch die Israelis einfordern.

Zionismus
Das Ziel der zionistischen Bewegung war die Rückführung des jüdischen Volkes in das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan. Dort liegt für die Zionisten das ursprüngliche Heimatland der Juden und Jüdinnen. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg flohen viele von ihnen nach Israel. 1948 entstand der Staat Israel. Von Beginn an wurde Israel von vielen dort lebenden Arabern nicht anerkannt.

Doch Lina fragt sich, was die Welt von den Palästinenser:innen erwartet, die seit 70 Jahren unter strenger Besatzung leben? "Die Welt verlangt von den Palästinensern, dass sie schweigend, ohne Protest, ohne Widerstand leiden", lautet Omars Antwort. Aber die Schreie des palästinensischen Volkes seien nicht mehr zu überhören – vor allem auf Tiktok, führt er aus.

Doch das ist nicht ganz unproblematisch.

Informationskrieg zu Israel und Gaza ist auf Social Media in vollem Gange

Ein Fünftel der 18- bis 24-Jährigen nutzt laut einem Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism Tiktok als Nachrichtenquelle. Expert:innen warnen, dass die Plattform keine ausgewogene Informationen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas bietet. Es werde demnach überwiegend pro-palästinensische Inhalte verbreitet. Dabei bricht auch eine Welle von Falschmeldungen über die User:innen ein.

Der Vorwurf wird laut, dass China Propagandaarbeit leiste. Schließlich gehört Tiktok dem chinesischen Unternehmen ByteDance. Offiziell stellt sich Staatschef Xi Jinping auf die Seite von Gaza und fordert einen Waffenstillstand. Ein klares Wort gegen den Überfall der Hamas, bei dem mehr als 1000 Israelis starben, bleibt bis heute aus.

Der Frage, was sie von dem aufflammenden Antisemitismus weltweit halten, weichen auch Lina und Omar aus. Ihr Fokus liege auf dem, was in Gaza geschieht. "Die Mehrheit der Menschen wünschen sich ein Ende der Gewalt", meint Omar. Doch welche Lösung gibt es?

Koexistenz von Israel und Palästina – der Zug ist wohl abgefahren

"Derzeit sehe ich keine Chance mehr für eine Zwei-Staaten-Lösung", sagt Omar. Er und Lina können sich einen Frieden nicht vorstellen, solange Israel eine "zionistische Ideologie" betreibe. Dabei gehe es nicht nur um eine Ideologie, "sondern um den Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, die seit Jahrzehnten unsere Heimat raubt", meint Lina.

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Laut Omar stehen die Palästinenser:innen mit dem Rücken zur Wand – "alle friedlichen und diplomatischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft". Die Palästinenser:innen hätten es immer wieder versucht, meint Omar.

Aber auch Israel sieht wohl keine andere Möglichkeit: Würden die Waffen niedergelegt, gäbe es kein Israel mehr, beschreiben die Israelis ihren Blickwinkel. Also geht das Blut vergießen weiter, Auge um Auge, Zahn um Zahn – am Ende sollte aber "kein Kind für die Fehler der Erwachsenen sterben", führt Omar aus – auf beiden Seiten. Das ist die größte Tragödie.

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