Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war bei der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr in Norwegen zu Besuch.Bild: dpa / Kay Nietfeld
International
03.04.2024, 13:2803.04.2024, 14:21
"Kriegstüchtig" soll sie sein. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Bundeswehr umbauen – für den Ernstfall: einen Nato-Krieg mit Russland.
Jahrelang wurde die Bedrohung durch Putin verschlafen, nun will man sich wappnen. In diesen Tagen hört man in dem Zusammenhang immer wieder die Abkürzung LV/BV: Landes- und Bündnisverteidigung. Die sicherheitspolitische Zeitenwende in Europa.
Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) träumt sogar von einer europäischen Armee. Doch Pistorius muss sich erst einmal um die Probleme des eigenen Landes kümmern.
Dafür hat eine Arbeitsgruppe im Bundesverteidigungsministerium unter der Überschrift "Bundeswehr der Zukunft" einige Vorschläge erarbeitet, um die Truppe umzubauen. Am Donnerstag will Pistorius seine größere Bundeswehrreform vorstellen.
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In dem bisher nicht veröffentlichten Bericht, aus dem etwa die "Berliner Morgenpost" zitiert, heißt es: "Nicht weniger als die Neuausrichtung der Bundeswehr" sei erforderlich. "Sie muss zur zeitgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung voll befähigt sein und gleichzeitig wirksame Beiträge im internationalen Krisenmanagement und der nationalen Krisenvorsorge leisten können."
In den vergangenen zwei Jahrzehnten ging es für die Bundeswehr vor allem darum, die Krisen an der Peripherie Europas zu bewältigen, im schlimmsten Fall in Form von Terrorismus oder der Geflüchtetenbewegung. Kurzum: Die Truppe war nicht unbedingt darauf ausgerichtet, Nato-Gebiet oder Deutschland selbst zu verteidigen.
Um sich ein Bild von den Bedürfnissen der Truppe zu machen, war Pistorius Anfang März, pünktlich zum lange verzögerten Nato-Beitritt Schwedens, in Skandinavien unterwegs.
"Geheimwaffe" weist auf offensichtliche Probleme der Bundeswehr hin
Der Sozialdemokrat war unter anderem zu Besuch beim skandinavischen Großmanöver "Nordic Response" in der verschneiten Zeltstadt der deutschen Gebirgsjäger bei der Kleinstadt Alta im Norden Norwegens.
Dort wurde Pistorius auch eine neue "Geheimwaffe" präsentiert, die allerdings die größten Probleme der Truppe mehr als offensichtlich machte.
Bei einem möglichen Nato-Konflikt mit Russland soll der Gebirgsjägerbrigade 23 ein weißer Regenschirm helfen. So wurde es dem Verteidigungsminister zumindest von einem in weißer Kampfmontur gekleideten Scharfschützen vor seinem Schneemobil präsentiert.
"Wenn man sich hinter dem Regenschirm an die Waldkante oder im Wald verschiebt, da haben die Wärmebildgeräte, die heutzutage auf dem Markt sind, keine Chance, uns dahinter aufzuklären", sagte der Soldat dem Minister. "Das hat sich bis jetzt bewährt."
Das funktioniert wohl dank der Luftschicht zwischen Mensch und Schirm. Die Idee stammt angeblich von den erfindungsreichen Ukrainer:innen, die derzeit immer wieder kleinere Erfolge etwa mit umfunktionierten, kostengünstigen Drohnen verzeichnen können.
Die Schirme gibt es allerdings nicht beim Beschaffungsamt der Bundeswehr. Marke Eigenbau. Es weist auf die längst offensichtlichen Probleme der Truppe hin: die unzureichende Finanzierung, eine überfällige Reform und die Angst vor einem Angriff Putins auf die Nato.
Pistorius (l.) traf im März auch seinen norwegischen Amtskollegen Björn Arild Gram.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Regenschirme ein fragwürdiger "Schutz" gegen Wärmebildkameras
Dennoch passt ein einfacher Regenschirm nicht ganz zu dem, was Pistorius mit der Bundeswehr vorhat. Auf "Bild"-Anfrage erklärt ein Sprecher des Heeres:
"Grundsätzlich zeichnen sich Scharfschützen durch große Spezialisierung und Individualisierung ihrer persönlichen Ausrüstung aus. Die dienstlich bereitgestellte Ausstattung in dieser besonderen Tätigkeit entspricht diesen Anforderungen und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Eine – wie hier erfolgte – darüber hinausgehende private Ergänzung dieser Ausstattung ist Ausdruck der Motivation und Kreativität der Soldaten."
Ein Militärexperte ordnet dazu bei "Bild" jedoch ein: "Auf dem europäischen Markt gibt es gegenwärtig zwei spezialisierte Textilunternehmen im Bereich der Thermal-Tarnung, beziehungsweise der Anti-Thermal Textilverarbeitung, die gleichzeitig mit modernen Camouflage-Algorithmen arbeiten." Daher stelle sich die Frage, "warum die Spezialkräfte der Bundeswehr in Norwegen nicht mit modernsten Textilien ausgestattet werden, die sie vor feindlicher Thermal-Aufklärung sowie visueller Aufklärung schützt".
Denn: "Ob der Regenschirm vor Thermal-Aufklärung schützt, ist fraglich", sagt der Experte zudem. Besonders wenn man in Betracht ziehe, dass die Aufklärung – wenn der Krieg gegen Russland trainiert wird – via Drohnen stattfinde und die Ausrichtung des Regenschirms nur einer von vorn gerichteten und bodenbasierten Aufklärung entgegenwirken könne.
Das ist offenbar auch dem Heer bewusst. Denn dort heißt es zur Wirksamkeit der Regenschirme:
"Ein umfassender Schutz gegen Wärmebild-Aufklärung ist mit herkömmlichen Mitteln nicht zu erzielen. Eine Tarnung dient vielmehr der Verschleierung von Signaturen und Konturen, zur Vermeidung einer eindeutigen Identifizierung. Der Materialbeschaffenheit des Schirms kommt in diesem Zusammenhang aber eine besondere Bedeutung zu. Bei dem in Rede stehenden Schirm ist die Beschaffenheit des Materials nicht bekannt."
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