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Russland: Mit Zwang zurück in den Ukraine-Krieg – Soldaten schildern Folter

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Eine Flucht aus Putins Armee kann für Soldaten schlimme Konsequenzen haben.Bild: imago images / ITAR-TASS
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Mit Zwang zurück in den Ukraine-Krieg: Soldaten und Helfer berichten von Folter

01.08.2024, 15:36
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Triggerwarnung: Der folgende Text thematisiert verstörende Inhalte, die für Personen belastend und retraumatisierend sein können.

Russland sterben die Soldaten weg. Genauso wie jene der Ukraine. Nach fast zweieinhalb Jahren ist noch immer kein Ende der russischen Invasion in der Ukraine in Sicht. Zum Leidwesen von Soldat:innen und der Zivilbevölkerung, einschließlich Kindern.

Die anfängliche Aufregung und Siegessicherheit auf russischer Seite ist einer tiefen Resignation bei den Soldaten gewichen. Ein Entkommen aus Putins Armee kann aber schlimme Konsequenzen haben. Viele versuchen offenbar dennoch, dem Tod an der Front zu entfliehen, noch mehr Soldaten wagen eine Flucht trotz großer Verzweiflung hingegen nicht. Aus Angst.

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Nach fast zweieinhalb Jahren ist noch immer kein Ende der russischen Invasion in der Ukraine in Sicht.Bild: imago images / tass

Deserteure und Helfer zeichnen ein brutales Bild von dem Zwang, mit dem sie zurück an die Front geschickt werden.

Sterben oder vors Gericht: Russische Soldaten suchen einen Ausweg

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben russische Gerichte sich in über 8000 Verfahren gegen Soldaten befasst. Diese Zahl hat sich im zweiten Kriegsjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht. Laut dem unabhängigen russischen Webmagazin "Mediazona" werden monatlich etwa 700 Urteile gefällt.

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Der Großteil dieser Verfahren – rund 88 Prozent – bezieht sich demnach auf unerlaubtes Verlassen der Militäreinheit. Deutlich seltener sind Verweigerung von Befehlen (sechs Prozent) und Fahnenflucht (drei Prozent).

In manchen Fällen entscheiden Gerichte bei unerlaubtem Verlassen der Einheit lediglich auf Bewährungsstrafen. Diese Praxis ermöglicht es der russischen Armee, verurteilte Soldaten erneut an die Front zu schicken.

JULY 12, 2024: 152mm 2A36 Giatsint-B field gun crew members perform a combat mission in the zone of Russia s special military operation. Alexander Polegenko/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY 72370660
(Un)freiwillig an die Front: Ohne Soldaten geht im Krieg nichts. Bild: imago images / ITAR-TASS

Dies berichtet Iwan Tschuwiljajew, Aktivist der russischen Bewegung "Gehe durch den Wald", die Deserteure unterstützt, im Gespärch mit Deutsche Welle (DW). Er erklärt: "Etwa 70 Prozent derjenigen, die sich dieses Jahr hilfesuchend an uns wandten, sind Vertragssoldaten. Viele von ihnen wurden auf die eine oder andere Weise gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben."

Tschuwiljajew beschreibt ihre verzweifelte Intention hinter der Hilfesuche näher: "Sie alle wollen fliehen, weil es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder sterben oder vor Gericht kommen."

Ukraine-Krieg: Folter als Strafe für Deserteure

In den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine kommt es laut Tschuwiljajew immer wieder zu brutalen Folterungen von Soldaten, die versuchen zu desertieren. Oftmals verstecken sich die Betroffenen. Doch wenn sie gefasst werden, drohen ihnen schwerwiegende Misshandlungen.

Zu den Methoden gehören das Ausharren in tiefen Gruben unter freiem Himmel und der Zwang, erneut an die Front zu gehen. Diese Folterungen werden auch bei Alkoholkonsum, Streitigkeiten mit Vorgesetzten oder unerlaubtem Verlassen der Einheit angewendet.

"Man steckt Kampfunwillige auch in Keller verlassener Gebäude, etwa in Schulen oder Krankenhäuser, und foltert sie dort. Nach einem Monat unter solchen Bedingungen stimmt man allem zu", sagt Tschuwiljajew.

Mit Zwang in den Krieg: Deserteur war schlimmer Folter ausgesetzt

Ein Deserteur aus der sogenannten "Donezker Volksrepublik" berichtete laut DW in einem Telegram-Kanal von ähnlichen Erfahrungen. "Sie brachten uns in einen Raum ohne Bett und Fenster. Dort lagen auf feuchten Matratzen HIV- und Hepatitis-Erkrankte. Wir mussten auf dem Boden schlafen", schildert er demnach. Er spricht zudem von Schlägen und Elektroschocks.

Jenen, die sich bereit erklärten, sich einer Angriffsbrigade anzuschließen, sei eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt worden.

Viele Soldaten, die fliehen wollen, sind bereits verwundet. So auch Wladimir, der sich 2022 weigerte, einen Vertrag mit der russischen Armee zu unterschreiben, nachdem er in die besetzte ukrainische Region Donezk eingezogen worden war. Trotz mehrmaliger Verwundung und Aufenthalten im Krankenhaus sollte er wieder an die Front geschickt werden. Doch Wladimir floh.

Er wurde daraufhin gefasst und in einem Keller gefoltert, wie er die Situation beschreibt. Seine Frau berichtet, dass er letztlich gezwungen wurde, einen Vertrag mit der russischen Armee zu unterzeichnen. Im April 2024 wurde er in eine Angriffsbrigade geschickt und kam kurz darauf an der Front ums Leben.

Ukraine-Krieg: Geflohener Soldat spricht von unbeschreiblichem Grauen

Michail, ein junger Soldat, der bereits vor Kriegsbeginn in der russischen Armee diente, entschied sich im Sommer 2022 nach sechs Monaten Wehrdienst für einen Vertrag. "Mir gefiel die soziale Sicherheit – ein gutes Gehalt, eine Hypothek für Militärs und andere Vorteile", erzählt er. Doch nichts konnte ihn auf das Ausmaß des Grauens vorbereiten, das ihn im Krieg erwartete.

Trotz Versprechen, nicht ins Kampfgebiet geschickt zu werden, fand er sich schließlich im Kriegsgebiet wieder. In seiner Brigade wurden jene, die Befehle verweigerten, gefoltert, in Gruben gesteckt und mussten schwere Kleidung und Gewichte tragen.

Der anfängliche Glaube an eine schnelle Einnahme Kiews ist laut Michail mittlerweile einer tiefen Resignation gewichen. "Die Politiker werden sich eh an einen Tisch setzen und sich einigen, aber die Toten wird man nicht mehr zurückholen können", sagt er.

Doch trotz der verzweifelten Lage wagen nur wenige die Fahnenflucht. "Wenn man 40 Jahre alt ist, Kinder und eine Wohnung hat, dann gleicht die Ausreise in ein anderes Land dem Tod", so Michail weiter. Viele Soldaten haben Angst, ihre Familien nie wiederzusehen.

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Wladimir Putin ist nicht zu ernsthaften Friedensverhandlungen bereit. Bild: imago images / ITAR-TASS

Michail selbst konnte mithilfe der Bewegung "Gehe durch den Wald" aus Russland fliehen. Seine Eltern, die anfänglich den Krieg unterstützten, änderten ihre Meinung, als sie von ihm die wahren Zustände an der Front erfuhren. Nun schmiedet Michail Pläne für die Zukunft: "Ich möchte irgendwohin nach Costa Rica gehen und in der IT-Branche arbeiten", sagt er abschließend.

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