
Die Bundeswehr verlangt nach neuem Personal.Bild: dpa / Michael Kappeler
Analyse
Die Bundesregierung will den Wehrdienst modernisieren – zunächst freiwillig, später womöglich verpflichtend. Doch gerade junge Menschen lehnen die Pläne entschieden ab. Michael Schulze von Glaßer, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft, kritisiert das Vorgehen auf watson-Anfrage scharf.
28.08.2025, 16:1528.08.2025, 16:15
Ein Hauch Militarismus weht durch das Land. Sondervermögen für die Bundeswehr, keine Schuldenregeln für Rüstungsausgaben und nun winkt das Bundeskabinett ein Gesetz zum neuen Wehrdienst durch. Der neue deutsche Alltag soll mehr Tarnfarben tragen. Aber erstmal ohne Zwang. Die Wehrpflicht bleibt also weiterhin auf Eis.
"Wir setzen auf Freiwilligkeit, wir bekommen diese Zahlen", sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Radiointerview mit dem "Bayerischen Rundfunk". Damit meint er, dass das deutsche Heer von 182.000 auf 260.000 Soldat:innen anwachsen soll. 2300 Euro netto, kostenlose Bahnfahrten und Weiterbildungen sind dabei die Lockmittel.
Wehrdienst: Wirklich freiwillig ist das alles nicht
Funktioniert das nicht, folgt eine "Teilwiedereinführung der Wehrpflicht". So richtig pflichtfrei ist die Wehrdienst-Reform aber ohnehin nicht. Alle 18-Jährigen ab Jahrgang 2008 müssen einen Fragebogen ausfüllen, zudem gibt es eine verpflichtende Musterung ab Mitte 2027, eine Vermessung des Soldatenmaterials.
"Die Regierung fährt gerade eine Salamitaktik", sagt Michael Schulze von Glaßer, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft gegenüber watson. "Jetzt wird 'locker' mit Fragebögen begonnen, wenn die aber – was absehbar ist – nicht genügend neue Rekrut:innen bringen, werden die Daumenschrauben angedreht."
Noch gebe es aber die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Gerade junge Menschen sollen sich darüber Gedanken machen. Viele machen das bereits. Im "ZDF"-Politbarometer war eine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten zwischen 18 und 34 gegen eine Wehrpflicht.
Dazu veröffentlichte noch der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) eine Stellungnahme, in der dieser sich sowohl gegen eine Wehrpflicht als auch gegen das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz aussprach.
Junge Menschen, die sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden, müssen das nach freien Stücken tun, heißt es darin. "Jede Form direkter oder indirekter einseitiger Einflussnahme auf diese Entscheidung ist aus Sicht des DBJR nicht akzeptabel."
Auch der Vertreter der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, kritisierte bei der Nachrichtenagentur "AFP" den Kabinettsvorstoß, wenngleich nicht unbedingt wegen des Gesetzes selbst. Vielmehr echauffierte er sich darüber, dass eine Entscheidung über junge Menschen von einer älteren Generation getroffen werde, ohne zuvor das Gespräch gesucht zu haben. Die Kritik mag lediglich geschmacklicher Natur sein, einen Punkt hat er trotzdem.
Junge Menschen mehrheitlich gegen Wehrpflicht
In der bereits genannten Polit-Barometer-Umfrage plädieren 59 Prozent der Befragten über 60 für eine Wehrpflicht. "Vollkommen schräg", sagt Schulze von Glaßer dazu. Besonders irritiert ihn die Anspruchshaltung der älteren Generation.
Während der Corona-Pandemie habe junge Menschen zurückstecken müssen, um ältere zu schützen. "Und als 'Dank' dürfen sie dann noch ein Jahr ihres Lebens – und im Ernstfall sogar ihr Leben – opfern. Vollkommener Wahnsinn."
Laut Verteidigungsexpert:innen müsste es aber nicht so weit kommen. Die Nato beschloss etwa im Juni, ihre Verteidigungsfähigkeiten massiv auszubauen, auch als Abschreckung. Pistorius ging in der Folge davon aus, dass es Zehntausende neue Soldat:innen braucht. Die Wirksamkeit der Abschreckungsstrategie schloss ein Bundeswehr-Generalleutnant in einem Youtube-Erklärvideo nicht aus.
Zu hinterfragen wäre, wann es denn genug Abschreckung gibt, woran die Expert:innen das festmachen. Faktisch geben so gut wie alle Nationen kaum Einblicke in ihre militärischen Ressourcen. Ein Krieg zwischen Russland und Nato könne darüber hinaus schnell atomar werden, sagt Glaser: Panzer, Soldat:innen und Drohnen dürften in dem Fall wenig bringen.
"Zudem: Mehr Soldat:innen bringen ja nicht mehr Sicherheit, sondern kurbeln die Rüstungsspirale nur noch weiter an." Und die ist hinsichtlich der aktuellen Situation, der deutlich gestiegenen Militärausgaben, schon fleißig am Rotieren. Schrittweise sollen diese bis 2029 auf 152,8 Milliarden Euro anwachsen. Im vergangenen Jahr lagen diese bei 77,6 Milliarden Euro. Bei 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen sie künftig liegen, zuvor waren es 1,5 Prozent.
"Niemand sollte das Töten erlernen müssen"
Aus dieser Rüstungsspirale gelte es auszubrechen. Bisher scheint das aber unrealistisch. Der Kurs ist klar: Es braucht Aufrüstung, Aufrüstung und noch mehr Aufrüstung. Und dazu gehört auch ein wachsendes Heer. Freiwilligkeit beim Wehrdienst lässt sich da auch als Gradmesser dafür betrachten, wie weit der mit der Aufrüstung einhergehende Militarismus in die Gesellschaft gesickert ist, wie viel Akzeptanz es dafür gibt.
Doch die Akzeptanz ist ohnehin egal, sagt von Glaßer. "Im Kriegsfall laufen viele Staaten rechtlich Amok und gehen gegen ihre eigene Bevölkerung vor – dies sieht man extrem in Russland, aber leider auch in der Ukraine." Doch dabei sollte, wie er weiter erklärt, "niemand gezwungen werden, zu töten – und das Töten zu erlernen."
Die Diskussion um Sicherheitsgarantien für die Ukraine nimmt Fahrt auf – und bringt eine brisante Frage mit sich: Könnte Deutschland bald Truppen schicken? CDU-Politiker bleiben diesbezüglich unkonkret. Ein Experte mahnt zur Pflichtwahrnehmung.
Bisher zeichnete sich kein Frieden zwischen Russland und Ukraine ab. Auch nach dem Gipfeltreffen in Washington sind noch zu viele Fragen offen. Eine Lösung für den Konflikt gibt es noch nicht, Politiker:innen wägen dennoch ab, wie es nach Kriegsende weitergeht. Die entscheidende Frage lautet: Welche Sicherheitsgarantien sind denkbar?