Archanhelske: Russland hat bereits tausende Panzer im Ukraine-Krieg verloren. Bild: ZUMA Press Wire / Celestino Arce Lavin
International
Videos von der Front lassen vermuten, was Militärexpert:innen schon seit Längerem berichten: Russland hat Probleme damit, genügend Nachschub an Material für den Krieg in der Ukraine zu finden. Auf den Aufnahmen ist etwa zu sehen, wie russische Truppen in ungepanzerten Fahrzeugen in Frontgebieten unterwegs sind.
Doch die Situation ist für beide Seiten derzeit schwierig. Auch die Ukraine hat mit Nachschub für den Krieg zu kämpfen. Besonders, was die Anzahl der zur Verfügung stehenden Soldaten angeht, ist Russland hier im Vorteil. Doch ein Militärökonom sieht trotz einer brutalen Taktik des russischen Machthabers Wladimir Putin eine Chance. Demnach bliebe der Ukraine eine ungewöhnliche Strategie.
Der Ukraine-Krieg dauert nun bereits seit zwei Jahren an.Bild: AP / Alex Babenko
Ukraine-Krieg: Militärökonom berichtet von großen Material-Problemen
Die Videoaufnahmen von der Front überraschen selbst den Militärökonomen Marcus Keupp von der Militärakademie ETH Zürich. Er berichtet bei "ZDF heute" von Bildern russischer Truppen, bei denen auffalle, dass "sie – ich scherze jetzt nicht – mit Golfkarts und ungepanzerten Geländefahrzeugen die Infanterie in das Feld bringen".
Ganz anders zu Kriegsbeginn: Eine Kolonne habe sich im Feld damals noch mit 60 Panzern und 20 Schützenpanzern fortbewegt. Jetzt fahren russische Soldaten laut Keupp mit ungepanzerten Fahrzeugen und präparierten, uralten panzern wie dem T-62. Ein deutlicher Hinweis auf den Ressourcendruck, dem Russland derzeit unterliege.
Dem Experten zufolge hat Russland bereits 2.920 Kampfpanzer und damit die ganzen einsatzfähige Reserve verbraucht, die vor dem Krieg da war. Was nun nachgeschoben wird, komme demnach aus sowjetischen Lagern und müsse vor dem Einsatz erst instandgesetzt werden.
Aus diesem Grund attestiert Keupp Russland aktuell keine große Schlagkraft: "Wenn die Ukraine sich diesem Vormarsch jetzt entgegenstellen könnte, wenn sie genügend Artillerie, Luftverteidigung und so weiter hätte, dann würde Russland ziemlich schnell in eine prekäre logistische Lage hineinkommen."
Doch dem ist nicht so. Auch der Ukraine mangelt es an Artillerie und damit an Schlagkraft.
Der Krieg fordert immer mehr Material. Doch beiden Parteien mangelt es an Nachschub.Bild: dpa / Oleksandr Ratushniak
Genau darauf setzt Russland nach Meinung des Experten. Spekulationen zu einer russischen Großoffensive hält er wegen des Ressourcenmangels für unwahrscheinlich: "Sobald man anfängt, die Logistik ein bisschen abzutasten, halte ich das ehrlich gesagt für unglaubwürdig", ist der Militärökonom überzeugt. Sollte sich Putin wider Erwarten wegen der schlechten Verteidigungsfähigkeit der Ukraine dafür entscheiden, seien die Vorbereitungen auf solch eine Offensive zudem bereits Wochen zuvor zu sehen.
Ukraine muss auf ungewöhnliche Weise auf Putin-Taktik reagieren
Für Russland ist es schwierig, eine Front von einer Länge von fast 1500 Kilometern dauerhaft zu besetzten. Und: "Das russische Material ist sehr stark abgenutzt worden durch die massiven Angriffe, nicht nur auf Awdijiwka, auch auf Marjinka zum Beispiel", sagt er.
Aktuell versuchen russische Truppen den kleinen Ort Ivanivske, südlich von Bachmut, einzunehmen. Mit dem Ziel, danach nach Tschassiw Jar vorzustoßen, wie Keupp sagt. Und weiter: "Normalerweise ist das etwas, was Sie als Ukraine nicht gestatten würden. Sprich: Man macht dem Gegner keine Zugeständnisse und man lässt ihn nicht Gelände gewinnen."
Da die Ukraine die Ortschaften ohnehin nicht genügend verteidigen könne und hohe Verluste drohen, könne hier Kiew nach Meinung des Experten eine ungewöhnliche Taktik greifen. Denn: "Das klingt jetzt zynisch, aber der russische Diktator kann Menschen in sehr großen Umfang nachschieben und opfern, damit hat er auch kein Problem. Die Ukraine kann das nicht."
Monatelang dauerten die Kämpfe um Awdijiwka an.Bild: AP / Efrem Lukatsky
Kiew müsse deshalb damit rechnen, im Laufe des Jahres Gebiete zu verlieren und dies taktisch zuzulassen, um sich einen Vorteil zu schaffen: "Weil es eben die Russen dazu zwingt, immer mehr Material vorzuschicken und Infanterie vorzuschicken und sich somit dieses Vorrücken im Gelände sehr teuer zu erkaufen." Das sei eine Verzögerungstaktik, die auf logistische Abnutzung setze, sagt Keupp.
Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich
hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden?
Hier findest du unseren Broadcast-Channel.
Allerdings warnt er auch, dass dies nur für eine begrenzte Zeit funktionieren könne:
"Wenn sie das jetzt nicht irgendwann kompensieren können durch eine Linie, wo sie Verteidigungsstellungen vorbereitet haben oder wo sie dann endlich Artillerienachschub bekommen und Gegendruck aufbauen können, geht das langfristig natürlich nicht gut."
Das sei auch Wladimir Putin bewusst. Der russische Machthaber wisse dem Experten zufolge genau, dass die Zeit gegen Russland laufe. Putin seinerseits wolle es schaffen, den Gegner an die Wand zu drücken und zu einem Friedensschluss zwingen, bevor das Industriepotenzial des Westens ihn plattmache. Er geht sogar so weit, zu sagen, dass der Westen massiv Material in den Krieg investieren sollte. Auch Kampfflugzeuge. "Dann hat Putin keine Chance", ist der Experte überzeugt.
Seit über 1000 Tagen herrscht bereits Krieg in der Ukraine. Und das, obwohl der russische Präsident Wladimir Putin das kleinere Nachbarland binnen weniger Tage einnehmen wollte. Nach bald drei Jahren herrscht eine enorme Kriegsmüdigkeit – nicht nur in der Ukraine.