Mit Philip Roth stirbt eine ganze Ära der amerikanischen Literatur
23.05.2018, 19:2523.05.2018, 19:36
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In „Sabbaths Theater“ lässt Philip Roth seinen Helden auf das Grab der Geliebten onanieren. Es ist seine Art der Trauer. Sabbath ist anders und dennoch nicht anders genug. Denn: Während der Leser noch darüber grübelt, ob er diesen Akt verurteilen soll, lässt der Autor die vielen anderen Liebhaber der Toten nach und nach ebenfalls auf das Grab der Geliebten masturbieren.
Bild: AP
Keiner schrieb so schön über masturbierende Männer und großbusige Frauen wie Philip Roth. Vielen
galt er als bester lebender Schriftsteller, zumindest als bester
Amerikaner. Nun starb Roth mit 85 Jahren in einem Krankenhaus in
Manhattan an Herzversagen, wie Judith Thurman, eine enge Freundin
Roths, der "New York Times" sagte.
Die britische BBC kommentierte schlicht: "Sein Tod stellt das Ende
einer ganzen Ära der amerikanischen Literatur dar." Roth hinterlässt ein monumentales Lebenswerk. Leser und Kollegen
betrauerten den Tod des Autors. "Ruhe in Frieden, lieber Prinz
von Newark", twitterte etwa die Schauspielerin Lena Dunham.
"Wir
haben so viel Glück, dass er uns einen so großen Stapel Bücher
hinterlassen hat."
27 Romane veröffentlichte Roth, zeitweise einen pro Jahr, dazu
Sachbücher, dutzende Novellen, Kurzgeschichten, Essays und
Interviews. Der 2010 in den USA erschienene Roman "Nemesis" blieb
sein letzter, aber schon lang vorher ließ sich das literarische
Kaliber Roths bemessen: Als die "New York Times" ihre Leser 2006 nach
den besten amerikanischen Romanen der vergangenen 25 Jahre fragte,
schafften es sechs von Roths Titeln auf die Liste – aus insgesamt 29.
Entsprechend groß war der Schock, als Roth 2012 seinen Ausstieg aus
dem Literaturbetrieb ankündigte.
"Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei."
Das hatte sich Roth er auf einen gelben Zettel geschrieben und
auf seinen Computer geklebt. "Jeden Morgen schaue ich auf diesen
Zettel, und das gibt mir sehr viel Kraft", sagte er. Dass es nicht
genug Lesestoff gebe, um Roths Ruhestand zu verkraften, konnten Fans
angesichts der Fülle an Werken jedenfalls nicht behaupten.
Mit jedem seiner Romane, die aus Roth nur so herauszusprudeln
schienen, präzisierte er seine Stimme weiter, füllte die Zeilen mit
Sarkasmus, Humor und Melancholie. Er wechselte die Themen und war
doch immer wiederzuerkennen. Zu seinen erfolgreichsten Titeln zählen
die Roman-Trilogie "Der Ghostwriter", "Zuckermans Befreiung" und "Die
Anatomiestunde", aber auch "Sabbaths Theater", "Amerikanisches Idyll" und "Der menschliche Makel".
Und obwohl Roth wieder und wieder begeisterte: Das eine ganz große
Werk, den einen Klassiker, schrieb er nicht. Erst im Rückblick wurde
klar, dass Roth eben durch die Summe seiner hervorragenden Bücher zu
den großen Schreibern wurde. Mehrere wurden verfilmt.
Die Geschichten fanden und erfanden ihn
In Newark, von New York aus auf der anderen Seite des Hudson River
gelegen, erinnert ein Straßenschild an den Schriftsteller, der im
zweiten Stock eines Schindelhauses in der Summit Avenue Nummer 81
aufwuchs. Der Sohn jüdischer Einwanderer aus ärmlichen Verhältnissen
genoss die Sommer am Strand von New Jersey, verfolgte Baseballspiele
hinter seiner Grundschule, führte Freundinnen ins Kino aus und traf
seine Jungs zum Pastrami-Sandwich im örtlichen Diner. Viele von Roths
Romanen spielen in diesem Newark seiner Jugend.
"Nein, die eigene Geschichte ist keine abzulegende Haut – sie ist
unausweichlich, Körper und Blut", schreibt Roths wiederkehrende Figur
Nathan Zuckerman in "Die Prager Orgie". "Man pumpt sie heraus bis man
stirbt, mit den Themen des Lebens geäderte, stets wiederkehrende
Geschichte, die zugleich deine Erfindung und die Erfindung deiner
selbst ist." Philip Roth erfand seine Geschichten – und sie erfanden
ihn.
"Ich bin 83 und habe keine Erben", sagte Roth der "New York Times",
als er seinen Ruhestand verkündete. So spendete er 2016 auch seine
rund 4000 privaten Bücher an die Bibliothek in Newark, nachdem sie
jahrelang Regale in seinem Haus auf einer Farm in Connecticut gefüllt
hatten. Dort verbrachte der eher zurückgezogen lebende, zweifach
geschiedene Autor viel Zeit, dort schrieb er seine aufrichtigen,
amerikanischen Sätze, wie diesen aus "Amerikanisches Idyll":
"Das Leben ist nur eine kurze Zeitspanne, in der man lebendig ist."
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