Leben
Politik

Krieg in der Ukraine: Menschen berichten über ihre Flucht nach Deutschland

Hunderte Menschen aus der Ukraine sind am Berliner Hauptbahnhof angekommen.
Hunderte Menschen aus der Ukraine sind am Berliner Hauptbahnhof angekommen.Martin Niewendick
Vor Ort

Menschen aus der Ukraine kommen in Deutschland an: "Ich will nicht mehr zurück. Ich habe Blut gesehen"

02.03.2022, 19:3608.06.2022, 18:39
Mehr «Leben»

Es ist ein steter Strom von Menschen hier in Berlin, im Ankunftszentrum im Bezirk Reinickendorf, auf dem weitläufigen Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Aber die, die hier kommen und gehen, sind ruhig. Vor den Türen der Aufnahme wartet eine Schlange aus rund 30 Menschen: Männer, Familien, Kinder, Babys. Es sind Menschen aus der Ukraine, geflüchtet aus einem Kriegsgebiet.

Ukrainerinnen und Ukrainer warten am Aufnahmezentrum in Berlin-Reinickendorf mit ihren wenigen Habseligkeiten.
Ukrainerinnen und Ukrainer warten am Aufnahmezentrum in Berlin-Reinickendorf mit ihren wenigen Habseligkeiten.watson/julia jannaschk

Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), fasst watson gegenüber den Stand der Lage so zusammen:

"Wir haben seit gestern Abend ungefähr 1100 Menschen verteilt und erwarten heute weitere Zugänge." Den Geflüchteten gehe es gesundheitlich weitestgehend gut. Viele aber befänden sich noch im Schockzustand. Sie könnten nicht glauben, was ihnen passiert ist.

Langenbach sagt:

"Die sind vor einer Woche von dem Krieg vollkommen überrascht worden sind. Vor allen Dingen, wenn es ruhiger wird abends. Sie können es einfach immer noch nicht verstehen, wie der große Nachbar das 'Brudervolk' überfallen konnte, die Städte zerstört und die Familien in Bedrängnis bringt. Das ist sehr, sehr bedrückend für die Menschen."

Der "große Nachbar", das ist das von Präsident Wladimir Putin regierte Russland. Vor den Bomben, Raketen, Panzern der russischen Armee sind die Menschen geflohen, die jetzt, sechs Tage nach Kriegsbeginn, in der deutschen Hauptstadt stehen.

Die Menschen kommen mit Zügen am Hauptbahnhof an. Busse der Verkehrsbetriebe bringen sie in Unterkünfte oder in das Ankunftszentrum im Bezirk Reinickendorf, in den Nordwesten Berlins.

Einige Geflüchtete werden auch von Ehrenamtlichen nach Reinickendorf gefahren, andere kommen mit ihrem eigenen Auto. Langenbach sagt: "Und dann begrüßen wir sie alle und heißen sie herzlich willkommen." Am wichtigsten sei eine schnelle Versorgung der wichtigsten Bedürfnisse: warme Kleidung, Nahrung, ein Corona-Test.

Viele Geflüchtete sind gerade erst im Zentrum angekommen und warten hier darauf, wie es weitergeht.
Viele Geflüchtete sind gerade erst im Zentrum angekommen und warten hier darauf, wie es weitergeht. watson/julia jannaschk

Es sind viele Menschen dabei, die vorher Schutz in der Ukraine gesucht hatten

Momentan, sagt der Sprecher der LAF, kämen viele Menschen, "die in irgendeiner Form einen Aufenthaltsstatus hatten in der Ukraine". Man sei "überrascht, wie viele das sind".

Er spricht von Studierenden, aber auch von Geflüchteten aus anderen afrikanischen Staaten, aus Syrien oder aus Afghanistan. Menschen, die vor Krieg und Elend in ihrem Heimatland Zuflucht gesucht hatten. Menschen, die nun "schon wieder vertrieben werden", wie LAF-Sprecher Langenbach es ausdrückt. Diese Geflüchteten würden wieder ins reguläre Asylverfahren eingegliedert.

Ausreisen dürfen aus der Ukraine derzeit alle – außer männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren. Die sind zum Dienst an der Waffe verpflichtet.

Auf dem Aufnahmegelände in Reinickendorf sind viele Familien und kleine Kinder zu sehen. Langenbach spricht von einer wachsenden Zahl von Menschen mit besonderem Schutzbedarf.

"Es scheint eine Einrichtung für taubstumme Menschen geräumt worden zu sein. Die sind alle hier aufgetaucht."

Über die Ehrenamts-Koordination habe das LAF schnell Dolmetscher für die ukrainische Gebärdensprache gefunden.

Mit Hilfsmitteln – Essen, Getränke, Hygieneartikeln – sei man hier gut eingedeckt. Individuelle Spenden würden derzeit nicht benötigt oder angenommen.

"Wenn wir sagen, es sollen Spenden kommen, dann würden wir hier in Kuscheltieren ertrinken", sagt Langenbach. "Das hilft keinem." In den nächsten Tagen werde sich zeigen, was noch an Hilfe benötigt werde.

Das jüdische Bildungszentrum Chabad Berlin hat ebenfalls eine Hilfsaktion gestartet.

120 Waisenkinder aus Odessa und der Süd-Ukraine habe man gerettet und sie über Moldawien und Rumänien nach Berlin gebracht. Das Zentrum bittet um Geld- oder Lebensmittelspenden.

Ukrainische Waisenkinder aus der Ukraine auf ihrem Weg nach Berlin.
Ukrainische Waisenkinder auf ihrem Weg nach Berlin.Bild: Chabad Lubawitsch Berlin

Am Hauptbahnhof kommen acht Züge pro Tag mit Geflüchteten an

Am Berliner Hauptbahnhof kommen seit Dienstagabend immer wieder neue Züge mit Menschen an. Es sind Linienzüge, acht pro Tag.

In einem von ihnen saß Zia Urahnman Nur. Seine Augen zittern leicht, als er über den Krieg spricht. Aber er will stark bleiben und fängt sich wieder. Dann fängt er an, zu erzählen.

Zia Uhraman Nur ist mit seiner Familie aus Odessa nach Berlin geflohen.
Zia Urahman Nur ist mit seiner Familie aus Odessa nach Berlin geflohen.Martin Niewendick
„Nach meiner Schulzeit wollte ich Zukunftspläne machen, aber ich musste die Schule abbrechen, wegen des Krieges. Ich habe gesehen, wie Raketen und Bomben einschlugen. Ich habe mit meinen eigenen Augen getötete Menschen gesehen, Blut.“

Noch bis gestern lebte der 18-jährige Schüler mit seiner Familie in der ukrainischen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer. Er kommt ursprünglich aus Afghanistan, ein weiteres, vom Krieg erschüttertes Land. In Europa wollten ihm seine Eltern eine gute Bildung ermöglichen.

Nun sitzt er auf einer Holzbank im Berliner Hauptbahnhof, mit etwa einhundert anderen aus der Ukraine Geflüchteten, und stärkt sich mit Lebensmittelspenden, die Freiwillige an die Menschen verteilen. In Deutschland ist er vorher noch nie gewesen.

Es sei für ihn eine sehr merkwürdige Erfahrung gewesen, aus dem Kriegsland Afghanistan in die Ukraine zu kommen und dort ebenfalls einen Krieg erleben zu müssen. "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe hier niemanden, ich bin nur mit meinem Vater, meiner Mutter und meiner Schwester gekommen."

Zurück in die Ukraine will er nicht. "Ich will nicht zurück, ich habe Blut gesehen, es ist sehr gefährlich dort." Stattdessen möchte er nach Belgien, wo er Angehörige habe, und dort studieren.

Freiwillige Helferinnen und Helfer verteilen Lebensmittel an Menschen aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof.
Freiwillige Helferinnen und Helfer verteilen Lebensmittel am Berliner Hauptbahnhof. Martin Niewendick

Die ersten Züge sind am Dienstagabend in Berlin eingetroffen, 1.300 Menschen sollen es nach Medienberichten zunächst gewesen sein. Auch am Mittwoch kommen immer wieder neue Züge an.

Überall im Hauptbahnhof sind Helferinnen und Helfer mit gelben und orangen Westen unterwegs, um die Neuankömmlinge zu begrüßen und ihnen den Weg zu den Hilfsstationen zu weisen. Unter ihnen sind viele Familien, viele Kinder, Frauen und junge Menschen.

Eine der etwa 150 Helferinnen ist die 20-jährige Pauline, die man an ihrer gelben Weste als Freiwillige erkennt. Über einen Freund habe sie von dem Hilfsdienst gehört und sich entschieden, mitzumachen.

Die 20-jährige Studentin Pauline hilft Ukraine-Geflüchteten am Berliner Hauptbahnhof.
Die freiwillige Helferin Pauline hilft Geflüchteten aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof. Martin Niewendick

"Ich bin seit heute Morgen um 10 Uhr im Einsatz. Wir haben ganz viel eingekauft, es hier hingeschleppt und gefragt, wo und wie man helfen kann", sagt sie. Pro Zug kämen über fünfhundert Menschen, schätzt sie.

Zwar könne sie sich wegen der Sprachbarriere nicht mit allen verständigen. Aber die Menschen seien sehr dankbar für die Hilfe.

"Zu wissen, dass ein Krieg in Europa ist und nichts dagegen zu tun, außer jeden Tag auf Instagram Panik-Posts zu sehen, hat mir nicht gutgetan", sagt die Kunstgeschichte-Studentin. "Wenn man helfen kann, sollte man es tun."

Durchbruch für Männer mit Haarausfall: Neue Behandlung schlägt an

Er sorgt bei vielen für eine gekränkte Eitelkeit, schlägt aufs Ego, drückt die Laune – die Rede ist von Haarausfall. Rund 30 Prozent der Männer sind davon betroffen, die häufigste Ursache ist dabei Androgenetische Alopezie, also erblich bedingter Haarausfall. Frauen sind davon ebenso betroffen, nur im Vergleich deutlich seltener.

Zur Story