Zwischen der Europäischen Union und ihrem Mitgliedsstaat Ungarn brodelt es erneut. Jetzt will die EU dem von der rechtskonservativen Partei Fidesz geführten Land Gelder streichen.
Aber warum eigentlich? Wo liegt das Problem? Ein Überblick:
Die EU-Kommission will Ungarn insgesamt 7,5 Milliarden Euro entziehen. Dabei geht es nicht um Strafzahlungen, sondern um das Vorenthalten von Geldern, die die EU an den Mitgliedsstaat zahlen würde. Grund dafür ist, dass Ungarn bereits seit Jahren gegen Prinzipien des Rechtsstaats verstoße, wie die EU-Kommission mitteilte.
Beschlossen ist allerdings noch nichts. Bisher handelt es sich lediglich um eine Drohung. Eine Mehrheit der EU-Staaten müsste diesem Vorhaben erst noch zustimmen.
Diese 7,5 Milliarden Euro, die die EU einfrieren will, stehen Ungarn unter normalen Umständen aus dem Gemeinschaftshaushalt zu. Allerdings sieht die Kommission die Gefahr der Korruption in dem Land als zu groß an. Man müsse davon ausgehen, dass EU-Gelder in Ungarn nicht ausreichend geschützt seien, teilte Haushaltskommissar Johannes Hahn in Brüssel mit.
Probleme mit Korruption und Vetternwirtschaft in Ungarn sind lange Zeit bekannt. Für solche Fälle hat die EU eine eigene Behörde geschaffen – OLAF heißt sie, Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung auf Deutsch. Diese Antikorruptionsbehörde untersucht Fälle von Betrug zum Nachteil des EU-Haushalts – etwa Korruption.
Diese Behörde ermittelt nun schon seit Jahren im Fall Ungarn. Das bisherige Ergebnis: Überweisungen aus dem Brüsseler Gemeinschaftshaushalt versickern in dunklen Kanälen. Nicht selten gehen diese Gelder sogar ganz offenkundig an Freunde und Familienangehörige des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Auch wenn es um von der EU bezahlte Aufträge geht, die der ungarische Staat ausschreibt, gibt es Ungereimtheiten: Meist werden sie so formuliert, dass ganz bestimmte Unternehmen perfekt darauf passen. Ein Beispiel: Landesweit sollten neue Straßenlaternen aufgestellt werden. Ein Unternehmen, in dem Orbáns Schwiegersohn aktiv ist, bekam den Auftrag.
Der Opposition nahestehende Unternehmen haben eigentlich keine Chance, den Zuschlag für einen lukrativen Auftrag vom Staat zu bekommen.
Rechtsstaatlichkeit bedeutet im eigentlichen Sinne, dass in einer Demokratie die Gewalten geteilt sind: die gesetzgebende Gewalt (Legislative), die Recht sprechende Gewalt (Judikative) und die ausführende Gewalt (Exekutive). Auch die Pressefreiheit muss gewahrt werden. Einige sehen in der freien Presse sogar die Vierte Gewalt eines Rechtsstaates – die Publikative.
Um Mitglied in der Europäischen Union zu werden, hat die EU im Jahr 1993 Kriterien festgelegt: die Kopenhagener Kriterien.
Die in Kopenhagen von der EU formulierten Kriterien beschreiben die Voraussetzungen, die ein Land erfüllen muss, wenn es der EU beitreten möchte. Die setzen gleichzeitig die Fähigkeit voraus, das gesamte Recht und die Politik der EU für das eigene Land zu übernehmen.
Diese Kriterien gibt es:
Die Bekämpfung von Korruption hängt vor allem mit der Rechtsstaatlichkeit zusammen.
Weltweit geht der Trend momentan wieder zu autokratisch geführten Staaten. Auch in Europa. Vorreiter ist dabei Ungarn. Weil die rechtsstaatlichen Prinzipien in einigen EU-Staaten zunehmend gefährdet sind, hat die EU schärfere Mechanismen zur Überprüfung und Ahndung von Verstößen in die Wege geleitet.
2020 hat man sich dann auf den "Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit" geeinigt. Damit kann die EU Zahlungen an Mitgliedstaaten aussetzen, wenn diese gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen.
Ungarn und Polen haben gegen die Einführung dieses Mechanismus geklagt – und vor dem Europäischen Gerichtshof verloren. Dieser hat die Klage im Februar dieses Jahres abgewiesen.
Doch noch bevor das geschah, musste die Kommission Vorbereitungen treffen, um diesen Mechanismus auch wirklich greifen zu lassen: Wegen der fortwährenden Verstöße Polens und Ungarns gegen die Rechtsstaatlichkeit hat man einen entsprechenden Brief an die beiden Länder verschickt, der sämtliche Missstände und Mängel bei Rechtsstaatlichkeit, Budgetkontrolle und Korruptionsbekämpfung aufzählt.
Der Rechtsstaatsmechanismus erlaubt Brüssel, Fördergelder für Polen und Ungarn dann auch tatsächlich zu kürzen. Damit hat man im Januar dieses Jahres dann auch begonnen: Die EU-Kommission verlangte von Polen eine Zahlung von 69 Millionen Euro Strafe – täglich eine Million.
Tatsächlich hat das Europäische Parlament Ungarn den Demokratie-Status nun abgesprochen. "Unter Sachverständigen" herrsche zunehmend Einigkeit darüber, "dass Ungarn keine Demokratie mehr ist", hieß es in einer von der Mehrheit der Abgeordneten in Straßburg gebilligten, nicht bindenden Beschluss.
Stattdessen spricht man von Ungarn nun als ein "hybrides System der Wahlautokratie", heißt es in dem Bericht. Auch die Untätigkeit der EU habe zu "einem Zerfall der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn beigetragen". Die ungarische Regierung versuche, die Grundwerte der EU-Verträge vorsätzlich und systematisch zu untergraben.
Das Europaparlament übt seit langem heftige Kritik an der rechtsnationalen Regierung von Orbán. Bereits 2018 leiteten die Abgeordneten ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn ein, weil es Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in dem Land bedroht sah. Das Verfahren, an dessen Ende der Entzug der Stimmrechte im Ministerrat stehen könnte, tritt im Rat der EU-Staaten jedoch auf der Stelle.
Am Montag meldete sich Polen zu Wort und sprang für Ungarn in die Bresche.
Das mitteleuropäische Land will gegen die geplante Kürzung von EU-Mitteln für Ungarn Widerstand leisten. "Polen wird sich mit voller Kraft jeder Maßnahme der europäischen Institutionen widersetzen, die darauf abzielt, einem Mitgliedstaat unrechtmäßig Mittel zu entziehen – in diesem Fall insbesondere Ungarn", sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki.
Allerdings gebe es Signale aus Budapest und aus Brüssel, dass an einer Lösung in dem Streit gearbeitet werde.
(Mit Material der dpa)