Eine linke Mehrheit in Deutschland? Sahra Wagenknecht hat da eine Idee
Am Wochenende trifft sich die Linkspartei zu ihrem Parteitag in Leipzig. Die Partei hat ein Problem, im Osten sterben die Alt-Mitglieder der alten PDS, im Westen sind gewerkschaftsorientierte Alt-Linke eher auf Daueropposition getrimmt.
Auch ein Grundeinkommen ist in der Partei umstritten. Politisch scheinen linke Mehrheiten jenseits der Union ohnehin nur schwer möglich und klassische Parteien eher ein Auslaufmodell.
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine sind vorgeprescht, sie schlagen eine überparteiliche linke Sammlungsbewegung vor: Arbeitstitel: #fairLand (der Name ist mittlerweile schon wieder verworfen). In einem ersten Programmentwurf schreiben sie:
Lafontaine / Wagenknecht
studierte anschließend Physik. Von 1985 bis 1998 war er
SPD-Ministerpräsident im Saarland. 1990 wurde er bei einem Messerattentat
in Köln schwer verletzt. Aus Protest gegen die Agenda-Politik von
Kanzler Gerhard Schröder legte er 1998 das Amt des Finanzministers nieder
und trat aus der SPD aus. Gregor Gysi holte ihn später zur PDS,
gemeinsam starteten sie das Projekt Linkspartei.
Seit 2014 ist er mit Sahra Wagenknecht verheiratet.
Sahra
Wagenknecht, 48, ist Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im
Bundestag. Sie wuchs in der DDR auf und studierte nach der Wende
Philosophie. Nach der Wende trat sie in der SED-Nachfolgepartei PDS mit
der Kommunistischen Plattform für eine dezidiert linke Position ein.
Links um – das ist die traurige Lage
Die CDU regiert. Und regiert. Und regiert. Und die anderen Parteien sind weitgehend machtlos.
- Die SPD zahlt für ihre Beteiligung an der großen Koalition. In Umfragen liegt die Partei unter zwanzig Prozent. Strittig ist, ob sich die Partei in der Regierung erneuern soll oder in der Opposition.
- Die Linkspartei ist eingeklemmt zwischen der Ostalgie der alten PDS und der oppositionsvernarrten West-Linken. Regierungsbeteiligungen sind umstritten.
- Die Grünen arbeiten das Scheitern von Jamaika im Bund auf und sortieren sich mit der neuen Parteispitze Annalena Baerbock und Robert Habeck neu.
Fraglich, ob die drei Parteien überhaupt zusammenfinden. Noch fraglicher, ob es bei der nächsten Wahl 2021 für eine eigene politische Mehrheit im Bundestag reicht.
In dieser Situation schauen viele auf außerparlamentarische Sammlungsbewegungen wie Attac oder Campact, die es schaffen, unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren. So streiten etwa umweltbewegte, gewerkschaftsnahe, kirchenorientierte und linke Kräfte erfolgreich gegen das Freihandelsabkommen TTIP, gegen den Unkrautvernichter Glyphosat oder für eine Agrarwende.
Es geht weniger um eine neue Partei, als vielmehr darum, im gesellschaftlichen Raum parteitaktische Denkschablonen zu überwinden.
Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionschef seiner Partei im Bundestag, der die Idee einer Sammlungsbewegung unterstützt, sagt watson.de:
Fabio De Masi
Sahra Wagenknecht. 2014 zog er ins Europaparlament ein, 2017 wechselte er in den Bundestag.
Fun Fact: De Masis Vater spielte in Italien für den Fußballclub SSC Neapel.
Gibt es Vorbilder?
Die klassischen Parteien (und ihre schwerfälligen Organisationen) sind in der Krise. Schon länger debattieren Politologen unter dem Stichwort "Rational-Efficiency-Model" ein neues Organisationsmodell: Parteien als Sammelbewegung, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen für eine Wahl zusammenführen.
Im Ausland gibt es das schon (länger):
- In Italien regierte von 1996 bis 2001 das Mitte-Links-Bündnis Ulivo – Olivenbaum. Es hatte sich aus Widerstand gegen Silvio Berlusconi formiert. Das Bündnis "5-Sterne" des Komikers Beppe Grillo ist mit linken Positionen (Grundeinkommen) und EU-Kritik (Euro-Austritt) jetzt in die Regierung eingezogen.
- In Spanien schaffte die linkspopulistische Bewegung "Podemos" (Wir schaffen das!) 2015 den Sprung ins Parlament. Die Partei ging aus der Protestbewegung 15-M gegen die Sparpolitik während der Finanzkrise hervor.
- In Österreich siegte der Grünen-Politiker Alexander von der Bellen 2016 bei der Wahl ums Präsidentenamt als überparteilicher Kandidat der Zivilgesellschaft gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ.
- In Frankreich gewann Emmanuel Macron mit dem neuen liberal-proeuropäischen Bündnis "En Marche" 2017 die Präsidentschaftswahl. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon scheiterte mit seinem linken Bündnis "La France Insoumise" – das unbeugsame Frankreich – knapp am Einzug in die Stichwahlrunde. Er dient Wagenknecht und Lafontaine als Vorbild.
In gewisser Weise gab es die Idee einer übergreifenden Sammlungsbewegung auch schon mal in Deutschland, damals von rechts.
- Die CDU gründete sich nach 1945 auch als liberalkonservative Sammlungsbewegung und sammelte die Wähler der katholischen Zentrumspartei und evangelisch-nationaler Parteien der Weimarer Republik.
Ein erstes Arbeitsprogramm
Seit Tagen kursiert ein erster Arbeitsentwurf für die neue linke Sammelbewegung. Manches erscheint aber eher als ein "Früher war alles besser", denn ein progressiver Entwurf für die Zukunft. So fehlt die Idee eines Grundeinkommens oder einer Digital- beziehungsweise Maschinensteuer.
Das Programm fordert:
- unter dem Stichwort "erneuerter starker Sozialstaat" mehr soziale Gerechtigkeit (höhere Löhne, gerechte Steuern, bessere
Bildungschancen, bezahlbare Mieten durch öffentlich-(gefördert)en Wohnungsbau).
So heißt es in der Analyse:
Die Folge: eine Ellbogen-Gesellschaft der Leistungsindividualisten.
Ihr Fazit für die Frustration vieler Menschen und die Hinwendung zu populistischen Protestparteien lautet:
- Mit Blick auf die Erstarrung der klassischen Parteien fordern Wagenknecht und Lafontaine eine Erneuerung der Demokratie, etwa durch digitale Elemente. (Das Ganze geschieht auch mit Blick auf die versprengten Reste der politischen Pop-Up-Bewegung-Piratenpartei.)
Parteien sollten sich generell mehr als Thinktank verstehen, denn als Machtzirkel und Hinterzimmerclub. - Das Thema Umwelt ist eher allgemein gehalten: "Von naturverträglichem,
klimaschonendem Wirtschaften sind wir nach wie vor weit entfernt", heißt es im Programmentwurf.
Allgemein wird Umwelt eher als soziale Frage gesehen, so sei zum Beispiel in den städtischen Randgegenden des sozialen Wohnungsbaus, die Umweltbelastung, etwa durch Ausfallstraßen und den Autoverkehr, besonders hoch. - In der Europapolitik ist zwar von einem "europäischen Deutschland in einem geeinten Europa"
die Rede. Generell aber gilt, weniger Brüssel, mehr Nationalstaat. So treten
Wagenknecht und Lafontaine ein für ein "Europa souveräner Demokratien,
bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition
und Identität".
Genau so hat das in Frankreich auch der Linken-Politiker Jean-Luc Mélenchon gesagt. Genau so aber auch die Rechtspopulistin Marine Le Pen.
Generell wird Europa eher (nach französischem Vorbild) als eigener Machtblock gegenüber den USA, Russland und China gesehen.
Der Blick auf die Welt
- In der internationalen Politik wird Dialog und das "gute alte Erbe Willy Brandts" betont. So wird ein neuer Dialog mit Russland gefordert, Auslandseinsätze werden abgelehnt, ebenso wie höhere Rüstungsausgaben.
Generell herrscht ein leicht US-kritischer Unterton. Deutschland sollte gegenüber den USA selbstbewusster auftreten. So heißt es:
- Die Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik des Entwurfs stieß in linken Kreisen wegen ihres harten Kurses auf besonders viel Kritik. So heißt es in dem Thesenpapier.
Auch die freie Wohnortwahl innerhalb der EU wird kritisch gesehen:
Unter Beobachtern wird der harte Kurs in der Flüchtlingspolitik verstanden als Versuch, enttäuschte Linken-Wähler, die zur AfD übergelaufen sind, zurückzugewinnen. Erst im Mai hatte eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hohe emotionale Übereinstimmungen zwischen Wählern der Linkspartei und der AfD festgestellt, so betrachteten die Anhänger beider Parteien die Zukunft eher skeptisch.
Auch in Großbritannien zeigt sich, dass der linke Kurs von Labour unter Jeremy Corbyn eher gut ausgebildete, urbane Kreise anspricht, als die klassische Arbeiterschaft. (Financial Times)
Programmbilanz: Das überwölbende Thema ist die soziale Gerechtigkeit, stellenweise liest sich das Papier wie eine Rückkehr zur Politik der SPD in den 70er-Jahren ("erneuerter starker Sozialstaat", "Friedenspolitik Willy Brandts"). Progressive Forderungen wie Grundeinkommen oder eine Digital- beziehungsweise Maschinensteuer fehlen.
Vor allem aber fehlt dem Projekt eine übergeordnete gesellschaftliche Idee um ein neuartiges politisches Bündnis zu begründen. So war es stets in der Bundesrepublik:
- Die rot-grüne Bundesregierung (SPD/Grüne) verschrieb sich nach dem Start 1998 zunächst der gesellschaftlichen Modernisierung nach 16 Jahren Helmut Kohl (Staatsbürgerschaftsrecht, Atomausstieg).
- Die sozial-liberale Koalition (SPD/FDP) im Bund startete unter Willy Brandt 1969 den Ausgleich mit dem Osten ("neue Ostpolitik").
Und #fairLand? Könnte sein ungewöhnliches Bündnis neben dem Mehr an soziales Gerechtigkeit auch als Gegengewicht zur neuen Rechten begründen. Doch das wird schwierig mit der angedachten Flüchtlingspolitik.
Die Reaktionen
Die sind verhalten. Auch in der Linkspartei. Dort betrachtet die Parteispitze den Vorstoß Wagenknechts als stille Entmachtung. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sagten der Zeitung "Neues Deutschland" mit Blick auf die Flüchtlingspolitik distanziert:
Und betonten mit Blick auf das Gesamtprojekt den Vorrang der Partei.
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert kann sich für das linke Gemeinschaftsprojekt nicht erwärmen. "In jedem Themenfeld die gesellschaftliche Applaus-Position zu vertreten ist nicht links", twitterte er.
Neuen Schub erhielt die Idee durch die Unterstützung des früheren SPD-Sozialpolitikers Rudolf Dreßler. Der Liedermacher Konstantin Wecker ("Wenn der Sommer nicht mehr weit ist") zögert noch – auch mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der Sammlungsbewegung.
De Masi spricht
Ursprünglich sollte das Projekt noch vor dem Sommer starten. De Masi sagte im Gespräch mit watson.de als neuen Starttermin nur kurz "September".
Als Vorbild nennt De Masi Bernie Sanders, der in den US-Vorwahlen 2016 die Demokraten aufmischte und Jeremy Corbyn, der der britischen Labour-Partei wieder einen Links-Kurs verordnete.
Der Unterschied zu Deutschland sei, dass Sanders und Corbyn aus Parteiensystemen kämen, in denen es keine relevanten Parteien links der US-Demokraten und Labour gebe. "Dies verleiht ihnen aber auch echte Machtperspektive", sagt De Masi.
Und in Deutschland? Bewegt sich mit Blick auf Rot-Rot-Grün nur wenig. SPD-Chefin Andrea Nahles hat durch ihre Mitarbeiterin Angela Marquardt (ehemals PDS) einen rot-rot-grünen Gesprächskreis aufgebaut. Aber der Graben zwischen SPD und Linke ist tief – nicht nur wegen des Überläufers Oskar Lafontaine. Dessen Programmentwurf klingt sehr nach alter Willy-Brandt-SPD. De Masi sagt dazu:
Auch die neue Grünen-Spitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck, die ebenfalls mal kurz mit einer überparteilichen Sammlungsidee liebäugelten, sieht der Linken-Politiker kritisch:
De Masi sieht einen großen Vorteil in dem neuen Sammlungsprojekt: