Jenseits der Parlamente auf dem Weg für neue linke Mehrheiten.Bild: dpa
Analyse
05.06.2018, 10:5706.06.2018, 06:13
peter riesbeck
Am Wochenende trifft sich die Linkspartei zu ihrem Parteitag in Leipzig. Die Partei hat ein Problem, im Osten sterben die Alt-Mitglieder der alten PDS, im Westen sind gewerkschaftsorientierte Alt-Linke eher auf Daueropposition getrimmt.
Auch ein Grundeinkommen ist in der Partei umstritten. Politisch scheinen linke Mehrheiten jenseits der Union ohnehin nur schwer möglich und klassische Parteien eher ein Auslaufmodell.
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine sind vorgeprescht, sie schlagen eine überparteiliche linke Sammlungsbewegung vor: Arbeitstitel: #fairLand (der Name ist mittlerweile schon wieder verworfen). In einem ersten Programmentwurf schreiben sie:
"Es gibt in der Bevölkerung
Mehrheiten für eine andere Politik: für Abrüstung, höhere Löhne, bessere
Renten, gerechte Steuern, mehr Sicherheit. Aber es gibt keine mehrheitsfähige
Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht."
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Lafontaine / Wagenknecht
Oskar Lafontaine, 74, besuchte eine Klosterschule in Prüm/Eifel und
studierte anschließend Physik. Von 1985 bis 1998 war er
SPD-Ministerpräsident im Saarland. 1990 wurde er bei einem Messerattentat
in Köln schwer verletzt. Aus Protest gegen die Agenda-Politik von
Kanzler Gerhard Schröder legte er 1998 das Amt des Finanzministers nieder
und trat aus der SPD aus. Gregor Gysi holte ihn später zur PDS,
gemeinsam starteten sie das Projekt Linkspartei.
Seit 2014 ist er mit Sahra Wagenknecht verheiratet.
Sahra
Wagenknecht, 48, ist Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im
Bundestag. Sie wuchs in der DDR auf und studierte nach der Wende
Philosophie. Nach der Wende trat sie in der SED-Nachfolgepartei PDS mit
der Kommunistischen Plattform für eine dezidiert linke Position ein.
Links um – das ist die traurige Lage
Die CDU regiert. Und regiert. Und regiert. Und die anderen Parteien sind weitgehend machtlos.
- Die SPD zahlt für ihre Beteiligung an der großen Koalition. In Umfragen liegt die Partei unter zwanzig Prozent. Strittig ist, ob sich die Partei in der Regierung erneuern soll oder in der Opposition.
- Die Linkspartei ist eingeklemmt zwischen der Ostalgie der alten PDS und der oppositionsvernarrten West-Linken. Regierungsbeteiligungen sind umstritten.
- Die Grünen arbeiten das Scheitern von Jamaika im Bund auf und sortieren sich mit der neuen Parteispitze Annalena Baerbock und Robert Habeck neu.
Fraglich, ob die drei Parteien überhaupt zusammenfinden. Noch fraglicher, ob es bei der nächsten Wahl 2021 für eine eigene politische Mehrheit im Bundestag reicht.
In dieser Situation schauen viele auf außerparlamentarische Sammlungsbewegungen wie Attac oder Campact, die es schaffen, unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren. So streiten etwa umweltbewegte, gewerkschaftsnahe, kirchenorientierte und linke Kräfte erfolgreich gegen das Freihandelsabkommen TTIP, gegen den Unkrautvernichter Glyphosat oder für eine Agrarwende.
Es geht weniger um eine neue Partei, als vielmehr darum, im gesellschaftlichen Raum parteitaktische Denkschablonen zu überwinden.
Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionschef seiner Partei im Bundestag, der die Idee einer Sammlungsbewegung unterstützt, sagt watson.de:
"Ziel ist es, linke Mehrheiten, die es
in der Gesellschaft, aber nicht in den Parteien gibt, wieder salonfähig
zu machen."
Fabio De Masi, Linke, Fraktionsvize im Bundestag
Fabio De Masi
Der Linken-Politiker kam 1980 in Hessen zur Welt. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Hamburg und arbeitete im Bundestag im Büro von
Sahra Wagenknecht. 2014 zog er ins Europaparlament ein, 2017 wechselte er in den Bundestag.
Fun Fact: De Masis Vater spielte in Italien für den Fußballclub SSC Neapel.
Gibt es Vorbilder?
Jean-Luc Mélenchon, linker Vorkämpfer in FrankreichBild: AP
Die klassischen Parteien (und ihre schwerfälligen Organisationen) sind in der Krise. Schon länger debattieren Politologen unter dem Stichwort "Rational-Efficiency-Model" ein neues Organisationsmodell: Parteien als Sammelbewegung, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen für eine Wahl zusammenführen.
Im Ausland gibt es das schon (länger):
- In Italien regierte von 1996 bis 2001 das Mitte-Links-Bündnis Ulivo – Olivenbaum. Es hatte sich aus Widerstand gegen Silvio Berlusconi formiert. Das Bündnis "5-Sterne" des Komikers Beppe Grillo ist mit linken Positionen (Grundeinkommen) und EU-Kritik (Euro-Austritt) jetzt in die Regierung eingezogen.
- In Spanien schaffte die linkspopulistische Bewegung "Podemos" (Wir schaffen das!) 2015 den Sprung ins Parlament. Die Partei ging aus der Protestbewegung 15-M gegen die Sparpolitik während der Finanzkrise hervor.
- In Österreich siegte der Grünen-Politiker Alexander von der Bellen 2016 bei der Wahl ums Präsidentenamt als überparteilicher Kandidat der Zivilgesellschaft gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ.
- In Frankreich gewann Emmanuel Macron mit dem neuen liberal-proeuropäischen Bündnis "En Marche" 2017 die Präsidentschaftswahl. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon scheiterte mit seinem linken Bündnis "La France Insoumise" – das unbeugsame Frankreich – knapp am Einzug in die Stichwahlrunde. Er dient Wagenknecht und Lafontaine als Vorbild.
"Von Mélenchon lässt sich Französisch lernen. Nämlich,
dass Menschen jenseits von Hinterzimmern der Parteien für bestimmte konkrete
Ziele gemeinsam streiten."
Fabio De Masi, Fraktionsvize, Linke
Der Abgeordnete Fabio de Masi im WahlkampfBild: dpa
In gewisser Weise gab es die Idee einer übergreifenden Sammlungsbewegung auch schon mal in Deutschland, damals von rechts.
- Die CDU gründete sich nach 1945 auch als
liberalkonservative Sammlungsbewegung und sammelte die Wähler der
katholischen Zentrumspartei und evangelisch-nationaler Parteien der
Weimarer Republik.
Ein erstes Arbeitsprogramm
Die alte Arbeitswelt hat sich gewandelt.Bild: dpa
Seit Tagen kursiert ein erster Arbeitsentwurf für die neue linke Sammelbewegung. Manches erscheint aber eher als ein "Früher war alles besser", denn ein progressiver Entwurf für die Zukunft. So fehlt die Idee eines Grundeinkommens oder einer Digital- beziehungsweise Maschinensteuer.
Das Programm fordert:
- unter dem Stichwort "erneuerter starker Sozialstaat" mehr soziale Gerechtigkeit (höhere Löhne, gerechte Steuern, bessere
Bildungschancen, bezahlbare Mieten durch öffentlich-(gefördert)en Wohnungsbau).
So heißt es in der Analyse:
"Deutschland ist tief gespalten. Die Wirtschaft boomt, vor allem Großunternehmen profitieren von Globalisierung, Freihandel, Privatisierung und EU-Binnenmarkt."
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Die Folge: eine Ellbogen-Gesellschaft der Leistungsindividualisten.
"Seit
der Sozialstaat keine Sicherheit mehr gibt, kämpft jeder für sich
allein. Wer seinen Job verliert oder durch längere Krankheit ausfällt,
ist ganz schnell ganz unten. Hartz IV enteignet Lebensleistung."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Ihr Fazit für die Frustration vieler Menschen und die Hinwendung zu populistischen Protestparteien lautet:
"Das alte Aufstiegsversprechen gilt nicht mehr."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
- Mit Blick auf die Erstarrung der klassischen Parteien fordern Wagenknecht und Lafontaine eine Erneuerung der Demokratie, etwa durch digitale Elemente. (Das Ganze geschieht auch mit Blick auf die versprengten Reste der politischen Pop-Up-Bewegung-Piratenpartei.)
Parteien sollten sich generell mehr als Thinktank verstehen, denn als Machtzirkel und Hinterzimmerclub.
- Das Thema Umwelt ist eher allgemein gehalten: "Von naturverträglichem,
klimaschonendem Wirtschaften sind wir nach wie vor weit entfernt", heißt es im Programmentwurf.
Allgemein wird Umwelt eher als soziale Frage gesehen, so sei zum
Beispiel in den städtischen Randgegenden des sozialen Wohnungsbaus, die
Umweltbelastung, etwa durch Ausfallstraßen und den Autoverkehr,
besonders hoch.
- In der Europapolitik ist zwar von einem "europäischen Deutschland in einem geeinten Europa"
die Rede. Generell aber gilt, weniger Brüssel, mehr Nationalstaat. So treten
Wagenknecht und Lafontaine ein für ein "Europa souveräner Demokratien,
bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition
und Identität".
Genau so hat das in Frankreich auch der Linken-Politiker Jean-Luc Mélenchon gesagt. Genau so aber auch die Rechtspopulistin Marine Le Pen.
Generell wird Europa eher (nach französischem Vorbild) als eigener Machtblock gegenüber den USA, Russland und China gesehen.
"Für Abrüstung, Entspannung und eine eigenständige Politik, die europäische Interessen in den Mittelpunkt stellt."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
- In der internationalen Politik wird Dialog und das
"gute alte Erbe Willy Brandts" betont. So wird ein neuer Dialog mit
Russland gefordert, Auslandseinsätze werden abgelehnt, ebenso wie höhere
Rüstungsausgaben.
"In der internationalen Politik herrschen... Faustrecht, statt Diplomatie. ... Das gilt für alle großen Militärmächte der Welt, ... besonders aber die Vereinigten Staaten."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Generell herrscht ein leicht US-kritischer Unterton. Deutschland sollte gegenüber den USA selbstbewusster auftreten. So heißt es:
"Wir wollen nicht, dass die
deutsche Regierung einem unberechenbaren US-Präsidenten die Treue hält."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
- Die Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik des Entwurfs stieß in linken Kreisen wegen ihres harten Kurses auf besonders viel Kritik. So heißt es in dem Thesenpapier.
"Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland zu großer Verunsicherung geführt. Wir lehnen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ab. Aber wir halten die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen umgegangen ist, für unehrlich und inakzeptabel."
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Auch die freie Wohnortwahl innerhalb der EU wird kritisch gesehen:
"Für nicht wenige bedeuten innereuropäische
Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem: mehr Konkurrenz um schlecht bezahlte
Arbeitsplätze.“
Sahra Wagenknecht & Oskar Lafontaine, Programmentwurf
Unter Beobachtern wird der harte Kurs in der Flüchtlingspolitik
verstanden als Versuch, enttäuschte Linken-Wähler, die zur AfD
übergelaufen sind, zurückzugewinnen. Erst im Mai hatte eine Studie der
CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hohe emotionale Übereinstimmungen
zwischen Wählern der Linkspartei und der AfD festgestellt, so
betrachteten die Anhänger beider Parteien die Zukunft eher skeptisch.
Auch in Großbritannien zeigt sich, dass der linke Kurs von Labour unter Jeremy Corbyn eher gut ausgebildete, urbane Kreise anspricht, als die klassische Arbeiterschaft. (Financial Times)
Programmbilanz: Das überwölbende Thema ist die soziale Gerechtigkeit, stellenweise liest sich das Papier wie eine Rückkehr zur Politik der SPD in den 70er-Jahren ("erneuerter starker Sozialstaat", "Friedenspolitik Willy Brandts"). Progressive Forderungen wie Grundeinkommen oder eine Digital- beziehungsweise Maschinensteuer fehlen.
Vor allem aber fehlt dem Projekt eine übergeordnete gesellschaftliche Idee um ein neuartiges politisches Bündnis zu begründen. So war es stets in der Bundesrepublik:
- Die rot-grüne Bundesregierung (SPD/Grüne) verschrieb sich nach dem Start 1998 zunächst der gesellschaftlichen Modernisierung nach 16 Jahren Helmut Kohl (Staatsbürgerschaftsrecht, Atomausstieg).
- Die sozial-liberale Koalition (SPD/FDP) im Bund startete unter Willy Brandt 1969 den Ausgleich mit dem Osten ("neue Ostpolitik").
Und #fairLand? Könnte sein ungewöhnliches Bündnis neben dem Mehr an soziales Gerechtigkeit auch als Gegengewicht zur neuen Rechten begründen. Doch das wird schwierig mit der angedachten Flüchtlingspolitik.
Die Reaktionen
Die sind verhalten. Auch in der Linkspartei. Dort betrachtet die Parteispitze den Vorstoß Wagenknechts als stille Entmachtung. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sagten der Zeitung "Neues Deutschland" mit Blick auf die Flüchtlingspolitik distanziert:
"Unsere Flüchtlingspolitik besteht aus einem Dreiklang: Fluchtursachen abschaffen, eine soziale Offensive für alle und der Einsatz für Rechte von Geflüchteten... Offene Grenzen sind unsere Alternativen zum tödlichen Grenzregime Frontex."
Katja Kipping, Ko-Vorsitzende Linke
Und betonten mit Blick auf das Gesamtprojekt den Vorrang der Partei.
"Wie groß die Sammlungsbewegung wird, und wie sozialistisch sie wird, das
ist noch offen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, unsere Partei
wirkmächtiger zu machen."
Katja Kipping, Ko-Vorsitzende Linkspartei
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert kann sich für das linke Gemeinschaftsprojekt nicht erwärmen. "In jedem Themenfeld die gesellschaftliche Applaus-Position zu vertreten ist nicht links", twitterte er.
Neuen Schub erhielt die Idee durch die Unterstützung des früheren SPD-Sozialpolitikers Rudolf Dreßler. Der Liedermacher Konstantin Wecker ("Wenn der Sommer nicht mehr weit ist") zögert noch – auch mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der Sammlungsbewegung.
Ursprünglich sollte das Projekt noch vor dem Sommer starten. De Masi sagte im Gespräch mit watson.de als neuen Starttermin nur kurz "September".
Als Vorbild nennt De Masi Bernie Sanders, der in den US-Vorwahlen 2016 die Demokraten aufmischte und Jeremy Corbyn, der der britischen Labour-Partei wieder einen Links-Kurs verordnete.
"Sie taugen insofern als Vorbild als sie als alte Knochen und Außenseiter junge Menschen außerhalb von
Parteien inspirierten. Sie sind auch Störenfriede in ihren
Parteien."
Fabio De Masi, Linke, stellvertretender Fraktionschef
Der Unterschied zu Deutschland sei, dass Sanders und Corbyn aus Parteiensystemen kämen, in denen es
keine relevanten Parteien links der US-Demokraten und Labour gebe. "Dies verleiht
ihnen aber auch echte Machtperspektive", sagt De Masi.
Und in Deutschland? Bewegt sich mit Blick auf Rot-Rot-Grün nur wenig. SPD-Chefin Andrea Nahles hat durch ihre Mitarbeiterin Angela Marquardt (ehemals PDS) einen rot-rot-grünen Gesprächskreis aufgebaut. Aber der Graben zwischen SPD und Linke ist tief – nicht nur wegen des Überläufers Oskar Lafontaine. Dessen Programmentwurf klingt sehr nach alter Willy-Brandt-SPD. De Masi sagt dazu:
"Die alte SPD beziehungsweise Corbyns neuer Links-Kurs bei Labour sind erfolgreicher als die neue SPD von
Andrea Nahles und Olaf Scholz. Gerechtigkeit, Frieden und Entspannungspolitik waren
doch nie aktueller als heute."
Fabio De Masi, Linke, stellvertretender Fraktionschef
Auch die neue Grünen-Spitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck, die ebenfalls mal kurz mit einer überparteilichen Sammlungsidee liebäugelten, sieht der Linken-Politiker kritisch:
"Habeck mag organisatorisch ein ähnliches Ziel haben. Er gehört aber zu
den neuen Grünen Lifestyle-Spießern, die es in Richtung der CDU zieht.
Ein bisschen Mutti, Bioladen und weniger Steuern für Reiche. Deswegen
soll das neue Sammlungsprojekt auch nicht fairLand heißen. Das klingt nämlich genauso nach Bionade-Biedermeier."
Fabio De Masi, Linke, stellvertretender Fraktionschef
De Masi sieht einen großen Vorteil in dem neuen Sammlungsprojekt:
"Der Vorteil ist, dass man nicht Mitglied einer Partei sein muss, um gemeinsam für konkrete Ziele zu kämpfen."
Fabio De Masi, Linke, stellvertretender Fraktionschef