Endlich, der Muezzin ruft zum Iftar, zum abendlichen Fastenbrechen im Ramadan. Mustafa Erkan kann nach einem langen Wahlkampftag in Antalya wieder essen und trinken.
Der 33-jährige Politiker ist einer der Ehrengäste bei diesem Iftar im Keller eines Hotels an der türkischen Südküste. Hier haben sich Menschen aus der im Hinterland gelegenen Region Burdur versammelt. Aus Burdur stammen auch Erkans Eltern, die vor fast 50 Jahren nach Deutschland kamen.
Am 24. Juni werden in der Türkei ein neues Parlament und der Präsident gewählt.
Sollte es eng für Erdoğan und die AKP werden, könnten die Stimmen der gut drei Millionen wahlberechtigten Türken im Ausland eine entscheidende Rolle spielen. So jemand wie Erkan wird der AKP da nicht schaden, ganz im Gegenteil.
Erkan wäre dann zwar nicht der erste Deutschtürke, der für die AKP in der Nationalversammlung in Ankara sitzen würde.
Er wäre allerdings der erste, der schon in einem Parlament in Deutschland ein Mandat hatte: Von 2013 bis 2017 war Erkan nämlich Abgeordneter im niedersächsischen Landtag für die SPD.
Erkan ist nicht nur ein glühender Verehrer des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder und von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, sondern auch von Präsident Erdoğan.
Erkan wurde im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge geboren, wo er "jeden Pflasterstein" kennt, wie er sagt. Er machte eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei VW, wo schon sein Vater gearbeitet hatte. Bis 2010 war Erkan dort Anlagen- und Maschinenführer, dann ging er zur IG Bergbau, Chemie, Energie, wurde dort zum Gewerkschaftssekretär ausgebildet.
2011 wurde Erkan Vizebürgermeister seiner Heimatstadt, zwei Jahre später wurde er in den Landtag gewählt.
Bis 2016 blieb Erkan Vizebürgermeister. Vor der Landtagswahl im Oktober 2017 verlor Erkan eine Kampfabstimmung und wurde danach nicht mehr aufgestellt.
Im Dezember wurde der Ex-Landtagsabgeordnete schließlich Berater des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu, den er schon davor einen "Freund" nannte. Im Mai trat Erkan dann aus der SPD aus – und nahtlos in die AKP ein.
Für seine alte Partei hat Erkan heute allerdings wenig Lob übrig. "Die SPD steht nicht mehr zu ihren Grundwerten", sagt er. Den Umgang mit Gabriel nennt er katastrophal. "Sigmar Gabriel ist für mich einer der größten Politiker Deutschlands."
An Gerhard Schröder findet Erkan "eigentlich alles" toll, die wirtschaftlichen Beziehungen des Ex-Kanzlers zu Russland hält er für völlig unproblematisch. Schröder sei schließlich nur noch sich selber Rechenschaft schuldig.
Auch den Kremlchef und Schröder-Freund Wladimir Putin mag Erkan, ihm schreibt er "die gleichen Charaktereigenschaften wie Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan" zu, nämlich:
Über den türkischen Präsidenten sagt Erkan: "Die Türkei braucht einen starken Mann." Außerdem sei die Türkei ein Staat, in dem "die Justiz wirklich unabhängig" sei.
Warum in der Türkei dann Journalisten im Gefängnis sitzen? "Weil sie sich unter dem Deckmantel eines Journalisten als Unterstützer für terroristische Organisationen bewegen", so der AKP-Unterstützer.
Wie er das Verhältnis der Türkei zur EU sehe? Erkan sagt: "Ich unterstreiche auch nochmal, dass die Türkei nicht auf Europa, sondern Europa auf die Türkei angewiesen ist."
Auf mehrfache Nachfrage, welche "Kräfte" konkret verantwortlich gewesen sein sollen, nennt der Ex-Genosse Grünen-Politiker: "Angefangen von Cem Özdemir, Claudia Roth, all die, die diese Proteste auch unterstützt haben, nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihrer Man- und Woman-Power hier vor Ort."
Zu Erdoğans umstrittener Aussage, die Zentralbank stärker kontrollieren zu wollen, meint Erkan:
Vor Kurzem begleitete Erkan sogar Außenminister Çavuşoğlu, als dieser zum 25-jährigen Gedenken an den Brandanschlag auf die türkische Familie Genç in Solingen war.
Außenminister Çavuşoğlu sagt über Erkan, dieser habe von Anfang an alles unternommen, um die bilateralen Beziehungen zu Deutschland wieder zu verbessern. "Das ist Integration in den Herzen und Köpfen." Weiter meint der Minister: "Er ist ein toller Kerl. Er ist wie mein kleiner Bruder."
Die AKP hat Erkan in Antalya auf Platz zehn der Liste gesetzt, ein Einzug ins Parlament ist damit nicht garantiert. Theoretisch ist auch möglich, dass Erdoğans Regierung die Wahl verliert – und Erkan seinen Beraterjob. Erkan hat noch eine Wohnung in Neustadt, und nicht nur das: Er hat bis Oktober auch ein Rückkehrrecht zu seinem alten Job bei VW.
Für Erkan sei es schön, so eine Sicherheit zu haben.
(Can Merey/dpa)