Wenn zwei sich streiten, freut sich der (oder die) Dritte. So wirklich passen will das Sprichwort im Fall der SPD nicht. Klar, 2021 hat der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Bundestagswahl gewonnen. Auch, weil seine Konkurrenz von Grünen und Union mies performt hat. Mittlerweile aber, im zweiten Jahr der Ampel-Koalition, profitiert die SPD weniger von dem Kleinkrieg zwischen ihren Koalitionspartnerinnen.
In Umfragen pendelt die Partei zwischen 17 und 19 Prozent. Die Zustimmung für den Kanzler sinkt außerdem innerhalb der Bevölkerung. Nachdem mit dem Streit um die Kindergrundsicherung und das Elterngeld vor der Sommerpause ein unschöner Höhepunkt zwischen FDP und Grünen erreicht war, erklärte Scholz, ihm gefalle die Lautstärke der Ampel-internen Debatte nicht.
Und nach der Sommerpause? Zumindest nach der ersten Zusammenkunft des Kabinetts ist es auch da wieder laut geworden. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hat erklärt, dem Wachstumschancen-Gesetz unter der Federführung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Riegel vorzuschieben – wenn der FDPler nicht mehr Geld für die Kindergrundsicherung lockermacht. Nach den Ferien ist vor den Ferien, könnte man also sagen. Und die SPD? Die ist bei all der Klopperei erstaunlich ruhig.
Bis jetzt zumindest. Denn die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil haben nun unabhängig voneinander erklärt, sie rechneten mit einer Einigung bis Ende August. So weit, so gut also – aber warum ist die SPD, die letztlich den Kanzler stellt, generell bei den Streitigkeiten zwischen den Partnerinnen so ruhig? Ist die SPD ein Duckmäuschen oder viel mehr der Kitt, der die zerstrittene Koalition zusammenhält?
Wenn es nach SPD-Chefin Saskia Esken geht, eindeutig letzteres. Sie sagt im Gespräch mit watson:
Sie fügt an: "Das ist, was uns stark macht, auch für die Rolle in der Koalition. Denn genau das wird ja dort gebraucht."
Kompromisse hat die Ampelregierung bereits einige gefasst – und mit der Wahlrechtsreform, dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder auch dem Bürger:innengeld einige große Projekte realisiert. Warum also bleibt vor allem der Streit in den Köpfen der Menschen hängen?
Hört man in die SPD hinein, liegt das auch daran, dass über Streitereien mehr und intensiver gesprochen würde, als über Kompromisse, um die im Stillen gestritten wurde. Mit dem geplanten Staatsbürgerschaftsrecht und dem neuen Selbstbestimmungsgesetz könnten bald zwei weitere Verhandlungserfolge folgen.
Auch Esken macht deutlich: Die Ampel hat viele große Projekte bereits realisiert.
Dass der Fokus – auch der mediale – so oft auf dem Gezanke läge, sei bedauerlich. "Aber gerade deshalb werden wir als SPD, als regierungsführende Partei und Fraktion und an der Spitze der Regierung dazu sicher keinen Beitrag leisten", stellt die SPD-Chefin klar. Das sei nicht notwendig, denn letztlich seien ihre Partei und die Koalition in der Lage, die Positionen zusammenzubringen und verantwortliche Politik zu machen.
Beim Punkt Zusammenbringen hätte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke in den vergangenen Monaten mehr erwartet. Vor allem im Bereich des Gebäudeenergiegesetzes, meint er in einem Interview mit "Zeit online", hätte die SPD härter durchgreifen müssen. Eine klare rote Linie aufzeigen sollen. Ihm seien darin zu wenige Antworten auf soziale Fragen.
Auch die Strömung der parlamentarischen Linken in der SPD fordert mehr Profilierung ihrer Partei. Es müsse klar werden, schreiben die Co-Sprecher der Gruppe, wie die SPD sich die Zukunft vorstellt und sie gestalten möchte. Kurz vor Ende der Sommerpause wird es in der Fraktionsklausur der SPD wohl auch darum gehen.
Esken sei klar, dass es in der aktuellen Situation bei all den Krisen und Turbulenzen schwierig sei. Es sei "aber wichtigste Aufgabe, mit konkreter sozialer Politik für die Menschen auch nachhaltig in ihren Köpfen und Herzen" anzukommen. Auch weil durch die Inflation Verbesserungen im Bereich Mindestlohn oder auch Bürger:innengeld weggefressen würden. Wie es nun in der zweiten Hälfte der Legislatur weitergehen müsse?
Esken sagt:
Ins gleiche Horn bläst auch Eskens Co-Vorsitzender Lars Klingbeil. Er zeigte sich "fassungslos" über den erneuten Ampelstreit. Im Gegenzug machte Grünen-Politiker Jürgen Trittin ihm und der SPD eine Ansage. Auf X, früher Twitter, schrieb der Grüne:
Vielleicht also ist Eskens Devise: Die SPD mischt sich in die Streitereien nicht ein und bringt stattdessen alle zusammen, bald überholt. Zumindest dann, wenn ihre Koalitionspartner:innen sie aktiv in die Streitigkeiten hineinziehen und eine Positionierung erwarten.
In einem früheren Gespräch mit watson stellte Politikwissenschaftler Michael Kolkmann von der Uni Halle die These auf, dass es in der zweiten Legislaturhälfte auch mehr zwischen FDP und SPD knallen könnte. Denn in den vergangenen Monaten sei es um viele Gesetzesvorhaben der Grünen gegangen, um die gerungen wurde.
Aus seiner Sicht könnte auch ein stärkeres Eingreifen des Kanzlers helfen, die Koalition zu vereinen – und die Bürger:innen wieder von ihr zu überzeugen.
Die SPD allerdings will von Machtwörtern des Kanzlers nicht so viel wissen. SPD-Chef Klingbeil erklärte im Sommerinterview der ARD, dass die gemeinsame Koalition auf Augenhöhe arbeiten will und wollte – ein "Kanzler, der andauernd auf den Tisch haut und rumbrüllt", wäre dort fehl am Platz.
Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Uwe Jun von der Uni Trier, liegen die aktuellen Hauptprobleme darin, dass Grüne und FDP in ihren Grundsätzen weit auseinanderliegen. Das führt er im Deutschlandfunk aus. Für die SPD und den Kanzler, erklärt er dort, sei es daher nur "dosiert" möglich, einzugreifen. Die Grundkonflikte der beiden Parteien seien nicht aufzulösen.
Die Position, die die SPD innerhalb der Ampel einnimmt, so macht es den Eindruck, könnte nicht so gemütlich sein, wie es von außen wirkt. Zwischen den Grünen und der FDP mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen von der Stärke des Staates, versucht die SPD die Debatten nicht weiter anzuheizen – auch wenn die Frage bleibt, ob die Sozialdemokrat:innen nicht doch öfter mal klarstellen sollten, wofür sie eigentlich selbst kämpfen. Denn was neben all dem Ampel-Zoff Fakt bleibt, sind die schwachen Umfragewerte der Kanzler-Partei.