Am Anfang war ein Selfie. Annalena Baerbock und Robert Habeck (beide Grüne) gemeinsam mit Christian Lindner und Volker Wissing (beide FDP). Sie grinsen, die Augen funkeln. Die Juniorpartnerinnen der Ampel-Koalition haben Bock – auf alles, was kommt.
Eine Zeitenwende in der Politik, ein Paradigmenwechsel. Die beiden sehr unterschiedlichen Parteien, so die Message, haben sich zusammengefunden und sind bereit, gemeinsam das Land umzugestalten.
Von der anfänglichen Euphorie und der Eintracht ist mittlerweile nicht mehr viel übrig. Ein Ampel-Krach jagt den nächsten. Im Mittelpunkt der Streitereien befinden sich oft Grüne und FDP.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) empfahl den Grünen kürzlich sogar, weniger zu jammern.
"'Jammern' ist eine herabsetzende, apolitische Äußerung, die in der Kommunikation unter Koalitionspartnern nicht zu suchen hat", sagt Politikwissenschaftler Benjamin Höhne im Gespräch mit watson dazu. Aus seiner Sicht könnte das auf die weiterhin bestehenden Mentalitätsunterschiede der beiden Juniorpartnerinnen hindeuten. Er sagt:
In den vergangenen Monaten gab es zwischen FDP und Grünen einige Gründe zum Zoffen:
Der Ampelstreit ist überall, so könnten Bürger:innen zuweilen den Eindruck bekommen. Gleichzeitig versuchen die Akteur:innen immer wieder zu beteuern: Menschlich verstehen wir uns, fachlich streiten wir. "Supi", nannte etwa Habeck seine freundschaftliche Beziehung zu Lindner.
Politikwissenschaftler Benjamin Höhne meint, grundlegenden habe sich durch die Ampel nichts am Konflikt der beiden Parteien geändert: Die Grünen setzten bei Krisenlösung auf den starken Staat, die FDP will den aber lieber verschlanken. Zur Lösung von Problemen durch die Corona-Pandemie oder den russischen Angriffskrieg habe die FDP staatliche Interventionen mit vorangetrieben. "Bei Umwelt- und Verkehrsthemen überkompensiert sie dann und stellt sich den Bündnisgrünen entgegen", schätzt Höhne.
Auch Politikwissenschaftler Michael Kolkmann von der Uni Halle sieht in der Tatsache, dass die Ampel ein Dreierbündnis ist, großes Konfliktpotenzial. Gegenüber watson führt er aus: "In einer Koalition müssen sich alle Partner in den Ergebnissen wiederfinden können, bei zwei kleineren und einer größeren Regierungspartei gilt dieser Grundsatz sicherlich noch stärker als in einer Zweierkoalition."
Die Grünen standen in den vergangenen Wochen und Monaten stärker im Fokus, als SPD und FDP. Das liege aber auch an den Gesetzesvorhaben: Denn das Heizungsgesetz sorgte für Furore. "In anderen Politikfeldern – Kindergrundsicherung, Verkehrspolitik, Chinapolitik – gibt es weitere Konfliktthemen, die eher FDP und SPD betreffen", sagt Kolkmann und prognostiziert: "Gut möglich, dass nach der Verabschiedung des Heizungsgesetzes im Herbst, diese Konflikte stärker auf die politische Agenda rücken."
Alle drei Parteien der Ampel befänden sich auf einem schmalen Grat, meint der Politikwissenschaftler. Sie müssten auf der einen Seite Regierungs- und damit Handlungsfähigkeit beweisen, auf der anderen ihr eigenes politisches Profil weiterhin sichtbar machen.
Kolkmann sagt: "Augenscheinlich gibt es hier bei den Grünen, in etwas geringerem Maße aber sicher auch bei den anderen beiden Regierungsparteien, noch einiges an Lernbedarf."
Gleichzeitig schlage aber auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine eine Kerbe in den Koalitionsvertrag. Denn durch die damit verbundene Unterstützung, die Energiekrise, die Inflation und die andauernde Klimakrise, sei der Koalitionsvertrag zu einer "Notwendigkeitsagenda" mutiert.
Dass die Partei aktuell außerdem mit vielen ihrer Vorstöße nicht durchkomme, hänge auch mit dem Konsensusmodell zusammen. Und dem dazugehörigen Aspekt, dass mehrere Vetospieler in der Lage seien, politische Reformen zu verzögern.
Meint: Nicht nur die Opposition kann zum Risikofaktor für Gesetzesvorhaben werden. Sondern auch die Koalitionspartnerinnen, das Parlament oder auch der Bundesrat. Gefragt seien deshalb Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft, meint Kolkmann. Das tauge dann zwar nicht zwingend für große Schlagzeilen, sei aber der nachhaltigere Prozess.
Was aus seiner Sicht nach der Sommerpause hilfreich wäre: ein stärkeres Eingreifen des Kanzlers Olaf Scholz (SPD). Wichtig wäre außerdem, einen Neustart zu schaffen. Das sei auch wichtig "für die Art und Weise, wie das Kabinett und die ihre Regierung tragenden Parteien ihr Regierungshandwerk verstehen". Und so könnten sie sich verbessern.