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Denkzettel für Lang und Ampel-Frust: Was vom Grünen-Parteitag bleibt

29.01.2022, Berlin: Grünenpolitikerin Ricarda Lang nimmt online am Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen teil. Auf dem Programm steht die Wahl des Bundesvorstands inklusive der Vorsitzenden sowie  ...
Souveräne Rede, schwaches Ergebnis: Ricarda Lang beim Grünen-Parteitag, bei ihrer Bewerbung als Parteichefin. Bild: dpa / Kay Nietfeld
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Kleiner Denkzettel für die neue Chefin – und aufblitzender Frust über die Ampel: Vier Erkenntnisse, die vom Grünen-Parteitag bleiben

29.01.2022, 18:3931.01.2022, 09:12
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Es war für Bündnis 90/Die Grünen der erste Parteitag in neuer Rolle. Seit Dezember ist die Partei Teil der Bundesregierung, als Koalitionspartnerin von SPD und FDP. Die bisherigen Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck müssen ihr Amt abgeben, da sie jetzt Außenministerin und Wirtschaftsminister sind – und es die Grüne Parteisatzung Ministern verbietet, an der Spitze der Grünen zu bleiben. Als ihre Nachfolger wurden Ricarda Lang und Omid Nouripour gewählt.

Was bleibt von zwei Tagen Reden, Abstimmungen und Diskussionen? Vier Erkenntnisse nach dem Grünen-Parteitag.

Die neuen Parteichefs: Ricarda Lang startet mit Leidenschaft, Omid Nouripour mit dem besseren Ergebnis

Die wichtigsten Entscheidungen auf dem Grünen-Parteitag fielen am Samstagnachmittag: Die Delegierten auf dem digitalen Parteitag stimmten für Ricarda Lang und Omid Nouripour als neue Parteichefs. Beide Chefs treten ihr Amt erst in zwei Wochen an, sie müssen per Briefwahl offiziell bestätigt werden.

Nouripour bekam deutlich mehr Rückenwind: Der Außenpolitiker hatte zwei Gegenkandidaten, die bundesweit kaum bekannten Mathias Ilka und Torsten Kirschner – und erhielt 82,7 Prozent der Stimmen.

Für Lang entschieden sich nur 75,9 Prozent der Delegierten, es ist ein eher schwaches Ergebnis. Lang hatte in den vergangenen Tagen unliebsame Schlagzeilen bekommen, weil die Staatsanwaltschaft gegen den bisherigen Grünen-Vorstand ermittelt, zu dem auch Lang als stellvertretende Parteichefin gehört. Der Grund: Corona-Sonderzahlungen in Höhe von je 1.500 Euro, die sich die Mitglieder des Bundesvorstands gesetzeswidrig selbst genehmigt haben sollen.

Lang konnte bei der Wahl nicht selbst anwesend sein, da sie kurz vor dem Parteitag positiv auf das Coronavirus getestet worden war. In ihrer leidenschaftlichen und souveränen Bewerbungsrede, die sie per Videoschaltung aus der häuslichen Isolation hielt, betonte Lang, wie wichtig es für sie sei, dass die Grünen jetzt in der Bundesregierung die Wirklichkeit gestalten könnten. Lang sagte, mit Blick auf nötige Kompromisse in der Ampel-Koalition: "Regieren ist doch keine Strafe, das ist eine riesengroße Chance." Und, mit Blick auf ihre künftige Aufgabe: "Wir sind nicht nur bereit, wir haben sogar richtig Lust drauf."

Ricarda Lang war von 2017 bis 2019 Vorsitzende der parteinahen Jugendorganisation Grüne Jugend. Sie gilt als Vertreterin des linken Flügels der Partei – und will nach eigenen Aussagen den Fokus ihrer Arbeit auf soziale Probleme richten. In ihrer Bewerbungsrede am Samstag meinte sie: "Soziale Gerechtigkeit kann es ohne Klimaschutz gar nicht geben."

Ihr baldiger Co-Vorsitzender Omid Nouripour ist Realo: Er gehört also dem Parteiflügel an, der sich seit Jahrzehnten dafür einsetzt, dass sich die Grünen auf die politische Mitte zubewegen und mögliche Regierungsbeteiligungen in den Vordergrund stellen. In seiner Rede gab Nouripour als Ziel aus, die Grünen so aufzustellen, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl Chancen haben, die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler zu stellen.

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Omid Nouripour bei seiner Bewerbungsrede. Bild: dpa / Kay Nietfeld

"Wir werden den Wahlkampf zusammen nacharbeiten, um beim nächsten Mal besser zu werden", sagte Nouripour und ergänzte: "Um wieder in der K-Frage mitspielen zu können." Er sprach, wie bereits zuvor in Interviews, erneut das Ziel aus, die Grünen zur "führenden Kraft der linken Mitte" zu machen. Mit Blick auf die ebenfalls neuen Parteichefs von SPD und CDU sagte Nouripour: "Als Student habe ich gekellnert, heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz." Das war eine Anspielung auf den ehemaligen SPD-Altkanzler Gerhard Schröder. Der hatte von 1998 bis 2005 mit den Grünen regiert – und schon vor seinem ersten Wahlsieg gesagt, in einer rot-grünen Koalition seien die Sozialdemokraten Koch, die Grünen Kellner.

Verkorkster Wahlkampf, Ermittlungen wegen Corona-Boni, schmerzhafte Ampel-Kompromisse: Bei den Grünen gärt es

Annalena Baerbock tritt strahlend auf die Bühne. Sie will auf die mächtigste Position in diesem Land. Sie sagt selbstbewusst in die Kameras: "Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere." Die Bilder wirken wie aus einem anderen politischen Zeitalter. In Wahrheit sind sie nur gut neun Monate her. Im April 2021 gibt Baerbock ihre Kanzlerkandidatur bekannt, als erste Grünen-Politikerin überhaupt. Die Partei schießt danach in Umfragen kurz auf Werte bis über 25 Prozent. Von Linken wie der damaligen Grüne-Jugend-Chefin Anna Peters bis zum Super-Realo und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gibt es in den ersten Tagen Rückendeckung für Baerbock.

Heute, nach dem zwar historisch besten, aber für die Grünen enttäuschenden Bundestagswahlergebnis (14,8 Prozent) und nach den ersten bitteren Pillen in der Ampel-Bundesregierung, gärt es in der Partei. Das merkt man auf diesem Parteitag – obwohl die meisten Redner nur per Video zugeschaltet sind.

Kretschmann rechnet am Freitagabend in seinem Redebeitrag regelrecht ab mit Baerbock. "Unsere Botschaft war: Wir stehen für Veränderung, die anderen für den Status Quo", zitiert Kretschmann die gewesene Hoffnungsträgerin und meint, das sei falsch gewesen: Man hätte den Menschen deutlicher versprechen müssen, dass die Grünen ihnen auch Sicherheit bieten wollten. Man sei im Wahlkampf "als Bündnispartei gestartet und als Milieupartei gelandet", habe also kaum mehr als die grüne Stammklientel erreicht. "Wir müssen wirtschaftsfreundlich sein", sagt Kretschmann dann. Nicht, indem man immer nur Steuersenkungen fordere, sondern "auf unsere eigene Weise", denn Unternehmen seien "Antreiber des grünen Wandels".

Aus der linken Ecke kommt am selben Abend ebenfalls Kritik, aber mit völlig anderem Sound. Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen Jugend, ruft ins Mikrofon: "Die Realität ist, dass die soziale Flanke der Ampel weit offen steht!" Heinrich wiederholt die Forderung, die sie zuvor im watson-Interview gestellt hatte: Dass die Bundesregierung schleunigst mehr tun müsse für Menschen mit geringem Einkommen. Ihr Co-Bundessprecher Timon Dzenius macht später deutlich, dass er eigentlich keinen Bock hat, zusammen mit der FDP in einer Bundesregierung zu sein. Man wolle, sagt er, "dafür sorgen, dass wir in vier Jahren nicht wieder vor der Ampel stehen, sondern dass wir links überholen – und zwar mit Schmackes".

Claudia Roth, ehemalige Bundesvorsitzende und Grüne seit den 1980er-Jahren, steuert mit Stimmgewalt dagegen: Sie hält eine überschwängliche Laudatio auf Annalena Baerbock zu deren Abschied als Parteichefin: "Es geht dir um alles!", süßholzraspelt Roth, macht weiter im Sprechrhythmus eines Poetry-Slam-Beitrags, in der sie ein gutes Dutzend Popsong-Zeilen zitiert, von Joy Denalane ("Alles leuchtet für dich!") bis John Lennon ("Imagine all the People"). Aber so sehr grüne Twitterer Roth dafür feiern: Überdecken kann sie die Kontraste in der Partei damit nicht.

28.01.2022, Berlin: Claudia Roth (B�ndnis 90/Die Gr�nen), Staatsministerin f�r Kultur und Medien, spricht beim Bundesparteitag (online) ihrer Partei. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Claudia Roth sang ein Loblied auf die scheidende Parteichefin Annalena Baerbock. Bild: dpa / Kay Nietfeld

Die Unzufriedenheit zeigt sich noch einmal am Samstagsmorgen, am üblicherweise bei Parteitagen eher langweiligen Punkt "Haushalt": Es geht – natürlich – um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Corona-Boni. Die Delegierte Martina Lilla-Oblong aus Gelsenkirchen will den Vorstand deswegen nicht entlasten, wegen des "politischen Schadens", der entstanden sei. Dann die Abstimmung über die Entlastung, normalerweise eine Parteitags-Formalie: nur 71 Prozent für die Entlastung, 17 Prozent dagegen.

Baerbock, Habeck, Özdemir: Die grünen Superminister reden gegen Ampel-Frust an

Die Grünen haben das beste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten geholt, sie sind nach 16 Jahren Opposition zurück in der Bundesregierung. Die neuen grünen Ministerinnen und Ministern, die auf dem Parteitag Redebeiträge halten, erinnern die Delegierten immer wieder daran, wie sehr man doch genau dafür gearbeitet habe in den vergangenen Jahre – und wie falsch es doch jetzt wäre, zu viel Zeit mit Frust und Kritik zu verbringen.

Robert Habeck – scheidender Parteichef, Vizekanzler, Wirtschafts- und Klimaminister – steht am Freitagabend neben der Noch-Co-Chefin Baerbock auf der Bühne. Ein letztes Mal wollen sie Harmonie inszenieren, obwohl grüne Bundestagsabgeordnete seit Monaten vom Krach erzählen, der zwischen den beiden ausgebrochen sein soll. Habeck spricht eine Liebeserklärung ans Regieren aus, an die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu verändern, statt nur Forderungen zu stellen.

Robert Habeck, Bundesminister fuer Wirtschaft und Klimaschutz, Buendnis 90/Die Gruenen, auf der 47. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz im Velodrom in Berlin, DEU, Berlin, 28.01.2022 *** Robert Ha ...
Robert Habeck, betont lässig, während der Rede seiner Noch-Co-Parteiechefin Annalena Baerbock. Bild: imago images / Jens Schicke

"Es ist schwierig, aber es ist gut, dass wir es machen", sagt Habeck zur Situation in der Ampelkoalition und dann: "Glaubt irgendjemand, dass die Welt besser wäre, wenn wir es nicht machen würden?" Dann versucht er, den Grünen einzuschärfen, dass sie ihren Frieden machen sollten mit der Idee, in der Ampelkoalition nicht alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Man habe eben nur knapp 15 Prozent bei der Wahl geholt, nicht 25. Habeck sagt: "Kompromisse machen gute Politik aus." Er verspricht grünen Widerstand gegen die Ergänzung der EU-Taxonomie, die Kern- und Gaskraft zumindest übergangsweise als klimafreundliche Investition markiert. Habeck ergänzt: "Es gibt keinen Grund, zu verzagen."

Annalena Baerbock gibt sich staatstragend, ganz außenministerinnenlike. In ihrem Beitrag schwärmt sie von der feministischen und klimabewussten Außenpolitik, die sie jetzt umsetzen könne. Davon, dass mit der Ampel-Regierung die deutsche Regierungspolitik endlich wieder auf die Höhe der gesellschaftlichen Wirklichkeit komme. Dann ruft sie ihrer Partei zu: "Wir werden uns weiterentwickeln, wir werden jünger werden, dynamischer werden."

Cem Özdemir, seit Dezember Landwirtschaftsminister, ruft später in den Saal: "Ich freue mich auf das, was wir vorhaben." Er berichtet davon, dass Mitarbeiter seines neulich auf einer "Wir haben es satt"-Demo für die Agrarwende gewesen seien und den Teilnehmenden gesagt hätten: "Was ihr fordert, ist auch unsere Linie." Özdemir verspricht Einsatz gegen Arten- und Höfesterben, für eine Landwirtschaft, von der Umwelt, Klima und Bäuerinnen und Bauern profitieren.

Ermutigend für die grünen Ministerinnen und Minister ist, dass die wichtigsten inhaltlichen Entscheidungen auf dem Parteitag der Regierungslinie ziemlich nahe kommen: Anträge zu einem Kaufstopp für bewaffnete Drohnen und gegen die Beschaffung eines Nachfolgers für die Tornado-Flugzeuge der Bundeswehr lehnt die Mehrheit der Delegierte ab.

Mitmachpartei und Koalitionspartei: Wie viel Basisdemokratie darf es denn sein?

Die Basisdemokratie ist für viele Grüne seit Jahrzehnten so wichtig wie die Frauenquote an der Spitze oder die Trennung von Amt und Regierungsmandat: Hinter dem Prinzip steckt, dass grundsätzlich jedes Grünen-Mitglied relativ einfach Veränderungen in der Partei anstoßen kann. Wenn das zu viele Parteimitglieder tun, dann kann das allerdings die Partei lähmen. Weil so viele Anträge zu Änderungen diskutiert werden müssen, dass kaum jemand mehr durchblickt und Parteitag extrem zäh werden.

Auf diesem Parteitag haben die Grünen mal wieder darüber gestritten, wie viel Basisdemokratie möglich ist – und wann es zu viel davon wird. Der Noch-Parteivorstand um Baerbock und Habeck wollte die Satzung der Partei so ändern, dass künftig mindestens 0,1 Prozent der Mitglieder hinter einem Änderungsantrag für Programme oder die Parteiregeln stehen müssen. Aus der Partei kamen aber mehrere Gegenanträge mit niedrigeren Hürden.

Baerbock appelliert am Samstagmorgen an die Delegierten. Vor jedem Parteitag haben wir "solche Stapel an Anträgen, die niemand lesen kann", sagt sie und mimt mit den Handflächen einen großen Haufen Papier. Baerbock weiter: "Wir glauben, das ist keine Basisdemokratie, sondern das ist Scheinbeteiligung." Vor allem jetzt, da die Grünen mitregierten, müssten die Hürden etwas höher liegen.

Annalena Baerbock, Bundesministerin des Ausw�rtigen, Deutschland, Berlin, Velodrom, 47. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von B�NDNIS 90/DIE GR�NEN
Annalena Baerbock bei der Rede, mit der sie den Vorschlag des Parteivorstands zur Basisdemokratie verteidigt. Bild: imago images / M. Popow

Die Delegierten folgen ihr nicht, der Antrag des Vorstands schafft es nicht einmal in die Endabstimmung, eine kleine Ohrfeige für die Noch-Parteichefs Baerbock und Habeck. Am Ende bekommt ein anderer Antrag die nötige Mehrheit, nach dem künftig mindestens 50 Grünen-Mitglieder hinter einem Antrag stehen müssen.

Der Streit um die Basisdemokratie wird die Grünen wieder beschäftigen.

Und nicht nur dieser Streit.

Donald Trump wird US-Präsident: Deshalb gibt es "Cancel Culture" nicht

Die Grünen, die haben laut konservativen und rechten Kräften immer Schuld an allem. Oder der "woke Wahnsinn". Was für viele Revisionisten eigentlich dasselbe ist. Und was machen die Woken laut rechter und konservativer Ecke? Natürlich alles wegcanceln aka zensieren, was nicht in ihre "Ideologie" passe. Die böse "Cancel Culture" ist längst ein Kampfbegriff der Rechten geworden.

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