Harris vs. Trump: Die US-amerikanische Gesellschaft ist gespalten.Bild: AP / Martin Mejia
Analyse
Seit der US-Wahl steht fest: Donald Trump wird erneut ins Amt des US-Präsidenten zurückkehren. Spannend war das Rennen ums Weiße Haus allemal. Doch es war ein Wahlkampf, der von starker Polarisierung und emotionaler Abneigung zwischen den beiden politischen Lagern geprägt war. Er hat die gesellschaftlichen Gräben in den Vereinigten Staaten weiter vertieft.
In Deutschland zeigen sich ähnliche Tendenzen – wenn auch in einer deutlich abgeschwächten Form. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition und den anstehenden Neuwahlen dürften sich diese umso mehr zeigen. Doch was können deutsche Politiker:innen von den USA lernen, um einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken?
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Die Polarisierung und die Folgen für die Demokratie in den USA
"Die affektive Polarisierung zwischen den Demokraten und den Republikanern zeigt sich in den USA stark", sagt der Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, Aiko Wagner, im Gespräch mit watson.
Bedeutet: Die großen Parteien in den USA sehen die jeweils andere Seite nicht mehr nur als politische Gegner, sondern als Bedrohung oder gar so etwas wie die "Inkarnation des Bösen", erklärt der Experte, der zu den Themen Wahlverhalten und Populismus forscht.
Diese Entwicklung habe dazu geführt, dass das Zwei-Parteien-System seinen ursprünglichen Zweck – Wähler:innen der Mitte zu erreichen – verloren hat. Stattdessen stehen sich zwei verfeindete Lager gegenüber, die nur noch schwer Wechselwähler:innen gewinnen können.
Polarisierung ist schlecht für politischen Wettbewerb
Auch in Deutschland zeichnen sich erste Ansätze einer schwächeren affektiven Polarisierung ab. Besonders auffällig ist hierzulande laut Wagner die Segmentierung der Wählerbasis zwischen der AfD und den demokratischen Parteien.
Zwischen diesen beiden Lagern gibt es eine große Abneigung. "Ganz viele Wählerinnen und Wähler der AfD können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, eine der etablierten Parteien zu wählen", sagt Wagner. Genauso ist es auf der anderen Seite: Zwei Drittel der Deutschen lehnen die AfD kategorisch ab.
Innerhalb der demokratischen Parteienlandschaft gibt es Austauschbeziehungen, Wahlkampf und Wechselwähler:innen. "Zwischen den Seiten gibt es kaum einen Austausch."
Der politische Wettbewerb wird durch die klare Abgrenzung zur AfD zunehmend beeinträchtigt.
Die Ablehnung gegen die AfD ist groß.Bild: dpa / Christoph Soeder
"Das ist natürlich schlecht für die Demokratie. Sie lebt davon, dass Bürger sagen 'Beim nächsten Mal kann ich mir vorstellen, eine andere Partei zu wählen, wenn meine jetzige Partei keinen guten Job gemacht hat'", erklärt der Politikwissenschaftler. Dass das System der Belohnung und Bestrafung für gute oder schlechte politische Arbeit verloren geht, "sehen wir in den USA massiv", sagt er.
Viele Deutsche haben das Vertrauen in "die da oben" verloren
Doch warum sind so viele Menschen der Ganz-weit-rechtsaußen-Partei AfD überhaupt zugeneigt? Warum sind populistische Parteien in ganz Europa auf dem Vormarsch?
Ein zentraler Faktor könnte hierbei die wachsende Zukunftsangst und die gefühlte Abstiegsangst vieler Bürger:innen sein. "Es gibt viele Menschen, die sagen, 'Mir geht es noch gut, aber mit Deutschland wird es zukünftig den Bach runtergehen.' Sie malen sich eine Zukunft aus, in der alles schlimmer wird", sagt der Experte.
In einer krisenreichen Zeit ist das zwar verständlich, jedoch wenig konstruktiv. Denn statt an einer besseren Zukunft zu arbeiten, treten viele Menschen eine Flucht in ein Gestern an, das als besser interpretiert wird. Das wiederum machen sich populistische Parteien zunutze, wie Wagner erklärt.
Deutschland ist zunehmend gespalten.Bild: imago images / fabian steffens
Das Malen einer idealisierten Vergangenheit zeigt sich sowohl bei der AfD als auch beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Der Slogan der AfD, "Deutschland. Aber normal." passt zu dieser Rückkehr zu traditionellen deutschen Werten und Normen.
Die "Flucht in die Vergangenheit" zeigt sich auch in den Zahlen aus Ostdeutschland, wo die AfD besonders stark ist: Laut der Studie der Bertelsmann Stiftung stammen in Ostdeutschland zwei Drittel aller AfD-Wähler:innen aus eher modernisierungsskeptischen Milieus, während die Partei von den modernisierungsbefürwortenden Milieus weit unterdurchschnittlich gewählt wird.
Einen weiteren Grund für den europaweiten Rechtsdrall sieht Wagner in der gesellschaftlichen Abkehr von Eliten. Ganz nach dem Motto: Die da oben, die machen doch ohnehin, was sie wollen. Nicht nur politische, auch wirtschaftliche und kulturelle Eliten genießen immer weniger Vertrauen, was die Brückenbildung zwischen den Lagern erschwert.
Denn: "Wer soll die Brücken denn bauen, wenn die Personen dann ja auch Teil der Elite werden? Insofern ist es eine riesige Herausforderung, die erklärt, warum es noch nicht gelungen ist, dafür Lösungen zu finden", sagt Wagner.
Dennoch: Die deutsche Politik kommt nicht umhin, Lösungen für die zunehmende Polarisierung zu finden.
Lösungen: Das können deutsche Politiker jetzt tun
Dem Wirtschafts- und Sozialforscher Andreas Herteux zufolge ist es dafür noch nicht zu spät, wie er bei "Focus Online" sagt. Er sieht eine Vernachlässigung einiger gesellschaftlicher Milieus als Grundproblem. Die Balance war aus dem Gleichgewicht, zugunsten von höherer Moral, die "alternativlos" bleiben sollte.
Nun müsste man die Balance wiederherstellen.
Er findet: "Politik ist die Kunst der Anpassung an die Wirklichkeit. Jede Realpolitik muss sich daher am Ergebnis messen lassen."
Eine gezielte Ansprache von Milieus und individuellen Bedürfnissen ist demnach entscheidend. Für ihn ist etwa klar: Die verantwortlichen Akteure der Politik müssen sich stärker auf Grund- und Sicherheitsbedürfnisse konzentrieren, um Zukunftsängste zu reduzieren. Über die Erreichbarkeit der AfD-Wähler:innen sagt er: "Die Menschen sind für entsprechende, milieu- oder noch besser individualisierte Angebote offen. Noch."
Eine Politik des konstruktiven Pragmatismus könnte helfen, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Wichtig ist dabei, langfristige Lösungen anzubieten. Jungwähler:innen etwa wählen pragmatisch, nicht ideologisch, wie der Jugendforscher Klaus Hurrelmann kurz nach der Landtagswahl in Brandenburg dem Deutschlandfunk erklärt. Auch junge Menschen wollen also eine Regierung sehen, die Probleme anpackt und wirklich löst, statt nur zu reden.
Aiko Wagner nennt ein positives Beispiel für eine realpolitische Maßnahme, die das Leben vieler Menschen stark zum positiven beeinflusste: den Mindestlohn. "Mehr Menschen bekommen einen Lohn, von dem man leben kann. Da hat sich wirklich viel getan", sagt er.
Verbesserungen wie diese könnten die Abkehr von demokratischen Institutionen bremsen. Nur braucht es davon eben mehr.