Demoteilnehmer im Sommer 2018 in Chemnitz.Bild: ZUMA Wire / Jannis Grosse
Analyse
20.01.2022, 10:3720.03.2024, 16:47
Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Das ist bekannt. Das sieht man immer wieder auf Demonstrationen. Das sieht man an Parteien, die sich gründen. Das sieht man an Bürgerorganisationen und am Austausch untereinander.
Sachsen hat außerdem ein Problem mit Coronaleugnern und Impfgegnern. Das sieht man montagabends in fast allen Städten und Gemeinden. Das sieht man an der Impfquote. Das sieht man an ausufernden Querdenker-Demonstrationen.
Sachsen hat aber eben auch eine andere Seite. Sachsen hat eine starke Zivilgesellschaft und Sachsen kann bunt sein. Das zeigen verschiedenste Netzwerke in allen Regionen des Freistaates.
bild: imago / dirk sattler
"Rabryka": Zwischen Abenteuerspielplatz und Jugendbeteiligung
Ein Abenteuerspielplatz für Große. So könnte das sozio-kulturelle Netzwerk "Rabryka" in Görlitz bezeichnet werden. Das Zentrum gehört zum Verein Second Attempt (auf deutsch: zweiter Versuch).
Auf dem Gelände der alten Hefefabrik gibt es alles, was für ein wenig Unbeschwertheit, kreatives Ausleben und Austausch gebraucht wird. An den hohen Silos sind Graffiti-Kunstwerke gesprüht. Im Hof stehen Sitzgelegenheiten und Hollywoodschaukeln. Selbstgebaut aus Holz. Es gibt einen Veranstaltungssaal und einen Jugendklub, ein Tonstudio und Proberäume, eine Werkstatt und sogar einen Makerspace mit 3D-Druckern.
Auf dem Gelände von "Rabryka" dürfen Jugendliche legal sprayen.Bild: watson / Rebecca Sawicki
Beschriftet sind die Räume in der Halle auf Deutsch und auf Polnisch. Denn ins "Rabryka" kommen auch viele Jugendliche aus Polen. Der deutsche Nachbarstaat liegt ja nur eine Brücke entfernt.
Oft gibt es hier Workshops für Jugendliche. Dort lernen sie zum Beispiel, wie Longboards gebaut oder Löffel geschnitzt werden. Auch Schulklassen können mit "Rabryka" zusammenarbeiten. Mit einem Görlitzer Gymnasium gab es etwa schon eine Projektwoche, in der es unter anderem einen Tontechnik-Workshop gab.
Wegen des Tonstudios ist auch Jason Fritsche zu "Rabryka" gekommen. Der 20-Jährige macht gerade seinen Bundesfreiwilligendienst bei dem Verein. Und er hofft, auch in Zukunft in dieser Richtung arbeiten zu können.
"'Rabryka' macht Görlitz für mich attraktiver."
Jason, Bundesfreiwilliger bei "Rabryka"
Denn "Rabryka" ist mehr als ein Abenteuerspielplatz: Es ist auch ein Ort, an dem sich Jugendliche formieren können, um sich kommunalpolitisch zu beteiligen. Finanziert werden die einzelnen Projekte unter dem Dach der "Rabryka" durch Fördermittel, die immer wieder neu beantragt werden müssen.
"A-Team" nennt sich die Gruppierung, im wöchentlichen Plenum kann dort über alles gesprochen werden, was die jungen Menschen belastet und bewegt. "Das Ziel ist, Jugendlichen eine Stimme zu geben, damit sie gehört werden", sagt Jason. Er selbst ist seit 2018 Teil des Teams. Sein Bundesfreiwilligendienst startete 2021. Neben ihm gibt es einen weiteren Bufdi, wie Menschen genannt werden, die gerade diesen Dienst absolvieren.
Jason Fritsche macht gerade seinen Bundesfreiwilligendienst im "Rabryka".Bild: watson / Rebecca Sawicki
"Ein paar sind gerade dabei, einen Jugendstadtrat aufzuziehen, andere suchen einen Ort, an dem sie in Ruhe Tischtennis spielen können", erzählt Jason. Es könne sich also jeder beteiligen, wie er oder sie das möchte. "Manchen geht es eben um die direkte Selbstwirkung, statt um das große kommunalpolitische Mitwirken, und auch das ist okay", sagt Jason.
"'Rabryka' macht Görlitz für mich attraktiver", sagt der 20-Jährige. Zwar gebe es auch andere Vereine, in denen sich junge Menschen ausleben könnten, trotzdem biete die alte Hefefabrik am meisten. Zumindest aus Sicht von Jason. Er ist Musiker, engagiert sich neben dem A-Team auch im Tonlabor. Sein Schlagzeug steht im Studio, das sich in einem der alten Fabrikgebäude befindet.
Ein fester Termin im Jahreslauf ist für "Rabryka" und den Verein das Fokusfestival im August. Dort gibt es Musik und Theater, die Möglichkeit des Urban Gardenings (also Stadt-Gärtnern), diverse Workshops, aber auch die Möglichkeit, mit Landespolitikern oder Direktkandidaten für Wahlen ins Gespräch zu kommen. Der Verein wirkt also nicht nur innerhalb, sondern auch nach außen, auf die ganze Stadt.
Das Außengelände des Vereins wirkt wie ein Abenteuerspielplatz für Große.Bild: watson / Rebecca Sawicki
"Wenn ich hier durch die Tür laufe, dann bin ich in einer heilen Welt", sagt Jason. "Rabryka" schaffe eine Blase, in der sich die Jugendlichen sicher fühlen könnten. "Ich weiß, wie Sachsen sein kann", sagt er. Er sehe, dass die Plätze in Görlitz und Bautzen an den Montagen mit Coronaleugnern vollstünden, in Dresden oder Freiberg ganze Straßen eingenommen würden. "Darüber muss überregional berichtet werden, das ist klar. Aber es wäre schön, wenn auch mal über den Kontrast, den es hier eben auch gibt, berichtet würde", sagt Jason.
"Freiberg für alle": Zivilgesellschaft jeglicher politischer Couleur zeigt Gesicht
Auch Freiberg gelangt in den vergangenen Wochen immer wieder in den Fokus der überregionalen Berichterstattung. Der Grund: Montagsmärsche von Coronaleugnern, die massiv aus dem Ruder laufen. Durchbrochene Polizeiketten, Aggression. Doch in der mittelsächsischen Universitätsstadt gibt es Menschen, die zeigen wollen, dass nicht alle Freiberger so denken.
"Mich nervt, dass Sachsen oft genau so ist, wie es in den Medien dargestellt wird."
Claudia Kallmeier von "Freiberg für alle"
Die Bürgerinitiative "Freiberg für alle" hat sich nach den sächsischen Landtagswahlen 2019 gegründet. Der Grund dafür: "Wir wollten der schweigenden Mehrheit eine Stimme geben", sagt Claudia Kallmeier mit fester Stimme. Sie wohnt seit vielen Jahren in der Universitätsstadt zwischen Dresden und Chemnitz. Ursprünglich stammt sie aus Thüringen.
Als Aktivisten würde sie die Mitglieder nicht bezeichnen, vielmehr sei das Netzwerk ebenso bunt wie die Meinungsvielfalt seiner Mitglieder: Von sehr links und sehr grün bis konservativ sei alles dabei. "Wir haben ein paar wenige gemeinsame Grundwerte", sagt Kallmeier. Sie zählt auf: das Grundgesetz, Mitmenschlichkeit, Menschenrechte. Was sie aber einräumen muss: "Wir sind sehr offen für alle, die sich beteiligen wollen, bilden aber leider nicht die ganze Gesellschaft ab."
Freiberger Bürgerinnen zeigen Gesicht gegen Coronaleugner.Bild: dpa-Zentralbild / Daniel Schäfer
Zu den illegalen Anti-Corona-Protesten sagt Kallmeier:
""Es fühlt sich nicht nur blöd an, wenn die eigene Stadt so durch die Medien geht. Für eine Stadt, die von Kultur und Tourismus lebt, sind solche Ausschreitungen ein großer Imageschaden. Und nicht zu vergessen: Die Stadt ist zwar klein, aber es ist eine Wissenschaftsstadt. Und wenn Freiberg dann als die Stadt der Wissenschaftsleugner auftaucht, kann das nur schädlich sein."
Die große Hoffnung: Eine Überwindung der Kluft, die die Pandemie in die Freiberger Gesellschaft geschlagen hat. "Es geht uns darum, zu zeigen, dass viele Menschen in Freiberg für die Maßnahmen sind und gemeinsam durch die Pandemie kommen wollen", sagt Kallmeier. Klar ist: Das Netzwerk will sich auch in Zukunft für ein besseres Miteinander einsetzen.
"Mich nervt, dass Sachsen oft genau so ist, wie es in den Medien dargestellt wird", sagt Kallmeier und fügt an: "Es ist sicherlich ein verzerrtes Bild, weil überregionale Medien nicht hinschauen, wenn etwas gut läuft. Aber Sachsen gibt leider auch immer wieder Futter."
"Agenda Alternativ": Zeitzeugengespräche und Bildungsreisen im Erzgebirge
Gerade, weil Sachsen immer wieder "Futter" bietet, hat sich das Netzwerk "Agenda Alternativ" gegründet, das in der Region Aue-Schwarzenberg in Südsachsen agiert. Zusammengefunden hat sich der harte Kern schon 2007 – seither sind immer wieder Menschen dazugekommen oder gegangen. "Ich würde sagen, wir sind so 15 bis 20 Aktive", sagt Eric Heffenträger.
"Die CDU in Sachsen hat das Rechtsextremismus-Problem zu lange heruntergespielt."
Eric Heffenträger von "Agenda Alternativ"
Er ist eines der Gründungsmitglieder. Wie viele von "Agenda Alternativ" wohnt er mittlerweile zwar nicht mehr im Erzgebirge, aber immer noch in Sachsen. "Entstanden ist das Netzwerk im Grunde durch einen größeren Freundeskreis, der sich für Subkultur und Politik interessiert und den Wunsch hatte, selbst pro-demokratisch aktiv zu werden", sagt Heffenträger.
Prinzipiell gehe es darum, Punkte in der politischen Bildungsarbeit zu setzen und Veranstaltungen zu bieten, die es sonst in der Region nicht gebe. "Wir organisieren Zeitzeugengespräche, Lesungen, Kinoabende, Bildungsreisen oder auch das 'Stains in the sun'-Festival", sagt Heffenträger. Es gehe auch darum, gemeinschaftlich zu reflektieren, welche Auslösemechanismen es für Antisemitismus, Homophobie oder Rassismus gibt. "Wir wollen das Erzgebirge weltoffener machen", sagt er.
Aus Sicht von Heffenträger zeigt die Arbeit des Vereins Erfolg: "Wenn ich mir anschaue, dass zu Vorträgen bis zu 30 Leute kommen, das Festival von 400 bis 600 Menschen besucht wird und immer wieder Menschen sagen, sie haben Bock, bei uns mitzumachen, dann ist das toll und motiviert sehr", sagt er.
Prinzipiell habe er Verständnis, dass Sachsen in den Medien oft nicht so gut wegkommt. "Die CDU in Sachsen hat das Rechtsextremismus-Problem zu lange heruntergespielt", sagt Heffenträger. Und führt weiter aus: "Wir haben das ja direkt gespürt, wenn wir zum Beispiel auf Dorffesten von Faschos verfolgt oder Veranstaltungen angegriffen wurden." Dass mittlerweile offen über das Problem gesprochen werde, sei ein Vorteil, da sich so auch auf Landesebene etwas bewegen könne.
"Jugend mit Wirkung": Zwönitzer Heranwachsenden eine Stimme geben
Auch Zwönitz ist eine Kleinstadt im Erzgebirge. Bei vielen Menschen löst allein diese Beschreibung schon erste Assoziationen aus. Kommt dann noch der Begriff Jugendtreff on top, ist das Gedankenkarussell perfekt. Vorurteile. Die Bestrebungen von "Jugend mit Wirkung" haben nichts mit zwielichtigen 90er-Jahre-Baseballschlägerzeiten zu tun.
"Wir wollen, dass sich die Jugendlichen gesehen und ernst genommen fühlen."
Sina Bonitz, Jugendarbeiterin in Zwönitz
"Durch fehlende Fördermittel gibt es hier einfach keinen Ort mehr, an dem sich die Jugend treffen kann", sagt Sina Bonitz. Sie ist Jugendarbeiterin im Mehrgenerationenhaus der Johanniter-Unfall-Hilfe. In dem Haus oben auf dem Berg, direkt in der Nähe von Altenheim und Schule, gibt es nicht nur Möglichkeiten der Beratung oder Mutter-Kind-Kurse. Sondern gerade für Jugendliche auch die Möglichkeit, ihre Stadt mitzugestalten.
"Wir lassen die Jugendlichen sehr viel selber machen und entwickeln und unterstützen sie eher bei den Rahmenentwicklungen", sagt Bonitz. Gewünscht sei zum Beispiel der Bau einer Skateanlage. "So eine Anlage entsteht natürlich nicht von jetzt auf gleich, sondern ist mit enormen Fördersummen verbunden", sagt Bonitz.
Bisher fehlen in Zwönitz Orte für die Jugend.Bild: dpa-Zentralbild / Sebastian Willnow
Aus diesem Grund werde gerade nach einer Übergangslösung gesucht: Eine kleinere Anlage an einem öffentlichen Platz. Die Idee dahinter ist, so mehr Jugendliche für das Projekt gewinnen zu können. Und dadurch auch mehr Sprengkraft zu haben, was Förderanträge oder Crowdfunding-Kampagnen angeht. "Wir wollen, dass sich die Jugendlichen gesehen und ernst genommen fühlen", sagt Bonitz.
Die Intention dahinter: den Jugendlichen Beteiligung ermöglichen. Das könnte natürlich dann auch weitere positive Effekte haben. "Umso mehr man die Jugend abholt, desto kleiner wird der Spielraum für Entwicklungen, die wir als demokratische Gesellschaft nicht wünschen", sagt Bonitz. Die Jugendarbeiterin ist glücklich, dass die Jugendlichen auch nach zwei Jahren der Pandemie, in denen sich nicht viel bewegt hat und vieles nicht stattfinden konnte, noch immer bei der Stange sind.
Bonitz habe sich daran gewöhnt, dass über ihre Heimat in den überregionalen Medien meistens negativ berichtet würde. "Aber natürlich haben wir auch resistente Bürger und man sieht es auch an manchen Kindern und Jugendlichen, dass das Gedankengut in der Familie weitergetragen wird und Papa oder Mama dann aus dem Mund des Kindes sprechen", sagt die Jugendarbeiterin. "Es braucht eine Vertrauensbasis, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen."
Seit Wochen gehen Coronaleugner am Montagabend in Zwönitz auf die Straße.Bild: picture alliance/dpa/Privat
Und auch die Menschen, die in den vergangenen Wochen häufiger am Montagabend in Zwönitz auflaufen, um gegen die Coronamaßnahmen zu protestieren, seien eben Menschen aus dem Ort. Nicht ausschließlich, aber auch.
"Man merkt: Je mehr Städte und Gemeinden eigene Spaziergänge haben, desto weniger kommen nach Zwönitz", sagt Bonitz. Trotzdem hätten die Ausschreitungen und der damit verbundene Einsatz der Polizei Folgen: Kinder dürften montagabends nicht mehr raus, Rentner gingen bereits am Nachmittag einkaufen, um ab 18 Uhr daheim zu sein.
"Es gibt aber auch verschiedene Initiativen, die Gesicht zeigen und klarstellen, dass eben die Mehrheit der Zwönitzer und der Erzgebirger zu den Maßnahmen stehen", sagt Bonitz.
"Aufstehen gegen Rassismus" Chemnitz: Karl-Marx-Stadt mit Faschismusproblem
Gesicht zeigen. Gegen Rechts, gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus, gegen Coronaleugner und Impfverweigerer. Das will das Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" (AGR) bundesweit und auch in Chemnitz. "Wir planen verschiedene Veranstaltungen und die Initiative besteht auch aus unterschiedlichen Gruppierungen", sagt Gabi Engelhardt. Sie hat die Chemnitzer Gruppe von AGR mitgegründet. Seit über 40 Jahren mache sie sich bereits gegen Rassismus und Rechte stark.
Unter anderem mit Parteien, wie den Grünen, der SPD und den Linken arbeite das Netzwerk in Chemnitz zusammen. Aber auch mit Gewerkschaften oder muslimischen Gemeinden. Wenn es um bestimmte Aktionen gehe, beteilige sich auch die jüdische Gemeinde, erklärt Engelhardt. "Wir machen zum Beispiel Kampagnen gegen die AfD, bei der Wahl haben wir Anti-Rassistische-Wahlforen ins Leben gerufen. Außerdem bieten wir Stammtisch-Kämpfer:innen-Schulungen an", fasst Engelhardt zusammen.
"Aufstehen gegen Rassismus" zeigt regelmäßig Gesicht in Chemnitz.Bild: dpa-Zentralbild / Hendrik Schmidt
Bei diesen Schulungen werde vermittelt, wie verschwörungstheoretischen oder rassistischen Aussagen entgegengewirkt werden kann. Und auch, wann es an der Zeit ist, sich in der Diskussion zurückzuziehen. Auf der Straße zeigt das Bündnis häufig Gesicht, organisiert Versammlungen und Demonstrationen.
"Das Jahr 2018 war eine Zäsur – Chemnitzer Bürger:innen gingen zusammen mit AfD, Pegida, gewaltbereiten Hooligans, Pro Chemnitz und anderen Neonazis auf die Straße", sagt Engelhardt. Sie spricht von den Ausschreitungen nach dem tödlichen Messerangriff auf Daniel H. auf dem Chemnitzer Stadtfest. Was folgte, waren Tage des Aufruhrs. Viele rechte und rechtsradikale Gruppierungen nutzten den Anlass, um auf die Straße zu gehen. Um Stimmung gegen Einwanderung, gegen Asylsuchende und Ausländer zu machen.
Demonstranten von "Pro Chemnitz" und anderen rechten Strukturen.Bild: ZUMA Wire / Jannis Grosse
"Unter der Decke gab es das Problem schon lange vorher. Chemnitz ist ein rechtes Zentrum", sagt Engelhardt. Durch den Aufschwung der AfD seien die Kräfte in der Stadt gewachsen. "Corona wurde von Anfang an von 'Pro Chemnitz' beziehungsweise den 'Freien Sachsen' und AfD instrumentalisiert", sagt Engelhardt.
'Pro Chemnitz' hat sich mittlerweile in die 'Freien Sachsen' umgegründet. Martin Kohlmann, der frühere Gründer von 'Pro Chemnitz' ist nun Parteivorsitzender der Freien Sachsen. Er wird vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet.
Bild: Geisler-Fotopress / Ben Kriemann/Geisler-Fotopress
Engelhardt nennt die Situation in ihrer Stadt einen "asymmetrischen Kampf". Auf der einen Seite stünde die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die solidarisch sei und sich an die Maßnahmen halte. Die aufgrund des bis vergangene Woche geltenden Lockdowns in Zehnergruppen Mahnwachen abhielt. Die aber in weiten Teilen auch stumm sei.
Auf der anderen Seite stünden jene, die an der Pandemie zweifeln. Die die Maßnahmen kritisieren und gleichzeitig kein Problem damit hätten, gemeinsam mit Neonazis aufzumarschieren. Die eben nicht nur zu zehnt demonstrieren, sondern ungeachtet der Regeln zu dreihundertst. "Ich halte das für eine große Gefahr, dass es keine Distanzierung nach rechts gibt und auch Menschen aus der sogenannten 'bürgerlichen Mitte' dort mitlaufen", sagt Engelhardt.
"Ich glaube, die Rechte ist so stark, weil die gesellschaftliche Linke zu schwach war, wenn es um Kritik an den Maßnahmen ging – das muss sich ändern."
Gabriele Engelhardt, Aktivistin bei "Aufstehen gegen Rassismus" Chemnitz
"Es geht hier nicht nur um Corona", ist sich die Antifaschistin sicher. Vielmehr gehe es darum, demokratische Institutionen zu zerstören. Das System ins Wanken zu bringen. "Wir wollen deshalb einen Runden Tisch ins Leben rufen, an dem Platz für die Sorgen der Menschen und für Kritik an den Corona-Maßnahmen ist, aber kein Platz für rechte Hetze, wo solidarische Lösungen besprochen werden", sagt Engelhardt. Denn: Grund für Kritik an der Corona-Politik gebe es.
"Ich glaube, die Rechte ist so stark, weil die gesellschaftliche Linke zu schwach war, wenn es um Kritik an den Maßnahmen ging – das muss sich ändern", mutmaßt Engelhardt. Die Pandemie hätte Probleme, die es ohnehin schon innerhalb der Gesellschaft gab, mit enormer Kraft an die Oberfläche katapultiert. Mittlerweile sei der Zeitpunkt gekommen, in dem sich AGR entschlossen hätte, die Kritik nicht länger den Rechten zu überlassen.
"Leipzig nimmt Platz": Gesicht zeigen auf der 'Insel' und im Rest des Freistaates
Leipzig hat den Ruf, der bunte Vogel in Sachsen zu sein. Eine weltoffene Bevölkerung, eine starke linke Szene. Eine Insel der Demokratie und der Solidarität. Sachsens Baustellen gehen aber auch an der Stadt, in der sich Auerbachs berühmter Keller befindet, nicht vorbei. Auch in Leipzig gibt es rechte Gruppierungen. Auch in Leipzig gibt es Querdenker und Coronaleugner. Auch in Leipzig gehen Bürgerinnen und Bürger Montag für Montag auf die Straße – illegal und ohne Rücksicht auf die geltenden Hygieneregeln.
Das Protestnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" gibt es bereits seit 2009. Seitdem stellen sich die Teilnehmenden rechten Aufmärschen entgegen. "Hier in Leipzig waren wir zwei Jahre lang wöchentlich gegen Legida, also den Leipziger Ableger von Pegida, auf der Straße", sagt Irena Rudolph-Kokot, Sprecherin des Netzwerks. Aber auch gegen die Querdenkerbewegung, die immer wieder Leipzig als Bühne ihres Protestes nutzt, mobilisiert das Netzwerk.
Irena Rudolph-Kokot bei einer Versammlung gegen die illegalen Corona-Proteste.Bild: dpa / Jan Woitas
"Wir fahren aber auch in andere Städte in Sachsen, wenn dort rechte Aufmärsche sind", sagt Rudolph-Kokot. So zum Beispiel regelmäßig am 13. Februar nach Dresden – am Jahrestag der Bombardierung, an dem traditionell viele Neonazis und Rechtsradikale durch die sächsische Landeshauptstadt marschieren. Aber auch in kleinere Städte im Freistaat oder ins nahegelegene Halle in Sachsen-Anhalt.
Manchmal aber fahre das Netzwerk gar nicht weg und zeige trotzdem Gesicht. So zum Beispiel in Zwönitz im Erzgebirge: "Wir haben im vergangenen Jahr die Berichte gesehen, dass die Coronaleugner dort einfach so laufen konnten. Deshalb haben wir dort Versammlungen angemeldet", sagt Rudolph-Kokot. Das Netzwerk fuhr nicht nach Zwönitz und sagte die Versammlungen kurzfristig ab. Die Polizei, die die angemeldeten Versammlungen hätte begleiten sollen, war trotzdem vor Ort. Laut der "Freien Presse" konnten mehrere Protestmarsch-Gruppierungen an diesem Abend gestoppt werden.
Wie auch andere Aktivistinnen und Mitglieder von Bürgerbewegungen ist Rudolph-Kokot der Überzeugung, dass unangenehme Meinungen ausgehalten werden müssen. Ebenso wie Kritik an den Pandemiemaßnahmen. Auch ihr geht es aber darum, wie diese Kritik angebracht wird. "Die Frage ist, ob ich mich von den Freien Sachsen instrumentalisieren lasse", sagt sie.
Ist Sachsen bunt?
Es gibt sie also, die bunte Seite von Sachsen, auch wenn sie in der überregionalen Berichterstattung nicht so oft vorkommt. Wenig überraschend gibt es wie im Rest der Republik auch im Freistaat Menschen, die sich für Demokratie starkmachen. Die sich Rechten und Rechtsextremen in den Weg stellen. Die zeigen, dass eben nicht alle diese Ansichten teilen. Und es gibt Anlaufstellen für Jugendliche, wie in Görlitz oder in Zwönitz. Wo sie gesehen und ernst genommen werden und wo sie die Möglichkeit haben, mitzuwirken.