Jegweni Prigoschin, auch bekannt als "Putins Koch" ist der Chef der brutalen Wagner-Gruppe, die unter anderem auch in der Ukraine kämpft.Bild: IMAGO / ITAR-TASS / Mikhail Metzel
Analyse
Jegweni Prigoschin, der Chef der Söldnertruppe Wagner, mischt sich immer öfters in das politische Geschehen ein.
Philipp Löpfe / watson.ch
Ein Strahlemann ist Jegweni Prigoschin (61) nicht wirklich. "Er ist zum Symbol von Russland im Krieg geworden", beschreibt ihn die "New York Times". "Skrupellos, schamlos und gesetzlos.". Die "NZZ" nimmt ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Sie stellt fest: "Seine Grobschlächtigkeit macht ihn zu einem gespenstischen Symbol für den gegenwärtigen Zustand Russlands."
Trotzdem ist dieses "gespenstische Symbol" zu einem Faktor in der russischen Politik geworden. Nochmals die "NZZ": "Prigoschins Name ist seit einigen Monaten in aller Munde. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat bei oberflächlicher Betrachtung aus dem verschwiegenen Diener einen zentralen politischen Akteur gemacht."
Wagner-Söldner im Hauptquartier in St. PetersburgBild: AP
Prigoschins Lebenslauf: vom Knast zum Hot-Dog-Stand bis zur Mafia
Dabei ist Prigoschin ein ehemaliger Schwerverbrecher. Wegen bewaffneten Raubs saß er noch zu Zeiten der UdSSR zehn Jahre lang in einem Straflager. In den Neunzigerjahren jedoch brach in Russland die Zeit des "Wilden Ostens" an. Prigoschin kam auf freien Fuß, verdiente sein erstes Geld mit einem Hot-Dog-Stand und wurde bald eine zentrale Figur in der Mafia von St. Petersburg.
Wladimir Putin war zu dieser Zeit die rechte Hand des damaligen Bürgermeisters Anatoli Sobtschak, aber de facto der starke Mann in der Stadt. Im Kampf um den Hafen setzten sich Putin und Prigoschin durch und begründeten so eine Männerfreundschaft – und die Zusammenarbeit von Geheimdienst und Mafia. Beides hat bis heute überlebt.
Prigoschin gründet die Söldnertruppe Wagner
Als Putin Präsident wurde, entwickelte sich Prigoschin nicht nur zu dessen Koch – diesen Übernamen hat er, weil er eine erfolgreiche Restaurant-Kette gründete –, er wurde auch bald zu dessen Mann fürs Grobe. Er rief eine Söldnertruppe ins Leben, die er aus Verehrung für den deutschen Komponisten Wagner taufte. Obwohl Russland offiziell Söldner für illegal erklärt, wurden Prigoschins Männer bald in Syrien aktiv, wo sie den Truppen des Diktators Baschar al-Assad zur Seite standen.
Daneben tauchen die Wagner-Söldner auch immer öfters in Afrika auf. Berühmt und berüchtigt machte sie jedoch Putins Krieg gegen die Ukraine. Sie profitieren dabei vom Versagen der russischen Armee, die zumindest anfänglich so alles vermasselte, was man vermasseln kann. An den wenigen Erfolgen, welche die Russen seither aufweisen können, waren Prigoschins Söldner massgeblich beteiligt, vor allem an der Schlacht um Bachmut.
Mehr als nur Koch: Jewgeni Prigoschin und Wladimir Putin.Bild: AP
Die Wagner-Truppe zeichnet sich mit einer unglaublichen Brutalität und abgrundtiefem Zynismus aus. Ihr Bestand wurde mit Strafgefangenen auf 50.000 Mann aufgestockt. Diesen wird die Freiheit versprochen, wenn sie sich in einem sechsmonatigen Einsatz auf dem Schlachtfeld bewähren. Die wenigsten kommen jedoch in den Genuss davon.
Die Sträflinge werden schlecht ausgerüstet und kaum trainiert gegen die befestigten Stellungen der ukrainischen Truppen geschickt. Wer sich weigert, wird erschossen, wer desertiert, mit einem Vorschlaghammer umgebracht. Die Opfer sind entsprechend. Von den anfänglich 50.000 Mann sollen inzwischen 40.000 tot oder verwundet sein.
Prigoschin prahlt mit Erfolg seiner brutalen Wagner-Gruppe in Bachmut
Inzwischen hat Prigoschin angekündigt, keine weiteren Sträflinge mehr anheuern zu wollen. Trotzdem prahlt er weiterhin mit seinen Erfolgen. Soeben will er mit seinen Söldnern ein Dorf nahe von Bachmut erobert haben. Per Video teilt er mit: "Im Umkreis von 50 Kilometern von Bachmut sind nur Wagner-Kämpfer aktiv." Diese Aussage kann nicht überprüft werden.
Der enge Vertraute Putins, Jegweni Prigoschin, sehnt sich wohl nach noch mehr politischer Macht im Kreml. Bild: Pool EPA / Sergei Ilnitsky
Prigoschin will offenbar seine vermeintlichen militärischen Erfolge in politisches Kapital ummünzen. Immer öfter greift er führende Personen aus Putins engstem Zirkel an, beispielsweise Waleri Gerassimow, den Oberbefehlshaber der Armee, neuerdings direkt zuständig für den Krieg in der Ukraine. Er lässt zu, dass zwei Wagner-Söldner Gerassimow übel beschimpfen und ihm vorwerfen, sie nicht mit genügend Munition zu versorgen.
Jwewgeni Prigoschin greift Putins Freunde an
Oder Prigoschin greift Alexander Beglow frontal an, den Gouverneur von St. Petersburg und ein enger Vertrauter Putins. Ihn bezeichnete er jüngst als "Parasiten und Abzocker, der nur daran denke, seine eigenen Taschen zu füllen". Ohne konkrete Namen zu nennen, beschuldigte Prigoschin auch hohe Beamte des Kremls, sie würden "bloß darauf warten, dass Russland den Krieg verlieren und die Amerikaner einmarschieren würden".
Offensichtlich will Prigoschin politischen Einfluss gewinnen, doch was er konkret im Schilde führt, ist unklar. Oleg Matwetschew, ein langjähriger Abgeordneter von Putins Partei "Einiges Russland", erklärt gegenüber der "New York Times": "Wir verstehen nicht, was seine politischen Ambitionen sind."
Derweil hat sich Prigoschin der Partei "Faires Russland" angenähert, einer nationalistischen Partei, die den Krieg gegen die Ukraine vollumfänglich unterstützt. Sergei Miranow, der Chef dieser Partei, hat sich kürzlich demonstrativ mit einem Vorschlaghammer ablichten lassen, dem Instrument, mit dem Wagner-Söldner angebliche Verräter abschlachten.
Die politischen Ambitionen Prigoschins stoßen allerdings an Grenzen. Der Politologe Alexander Kynew erklärt dazu: "Prigoschin führt sich zwar wie ein Politiker auf, doch derzeit gibt es in Russland keine offenen Stellen für ihn."
Eine derzeit drängende Frage in den politischen Kreisen von Moskau lautet: Wie lange lässt Putin seinen Mafia-Kumpel noch gewähren? Die Politologin Tatiana Stanowaya antwortet darauf in der "New York Times": "Solange Putin fest im Sattel sitzt und er die verschiedenen Interessengruppen gegeneinander ausspielen kann, kann sich Prigoschin in Sicherheit wiegen. Doch der Krieg gebiert Monster, die dem Staat gefährlich werden können, sollte er Schwäche zeigen."
Boris Pistorius (SPD) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands.