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Afrika: Das stille Sterben im Sudan – vor allem ein Verrat an der Jugend

CHAD , Goz Beida, Djabal refugee camp CHAD, Goz Beida, refugee camp Djabal for refugees from Darfur, Sudan *** TSCHAD, Goz Beida, Fluechtlingslager Djabal fuer Fluechtlinge aus Darfur, Sudan Goz Beida ...
Millionen Menschen fliehen vor den Kämpfen aus dem Sudan ins Nachbarland Tschad. Bild: imago images / JOERG BOETHLING
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Das stille Sterben im Sudan – vor allem ein Verrat an der Jugend

24.10.2023, 07:55
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Es sollte alles anders kommen. Die Jugend hoffte auf Frieden, Demokratie – einen Wandel. Dafür ging sie 2019 auf die Straße, gemeinsam mit der Zivilgemeinschaft schmiss sie den autoritären Langzeitherrscher Omar al-Baschir aus dem Amt. Der Traum auf eine zivile Regierung war zum Greifen nah, doch das Militär stellte sich in den Weg.

Die Euphorie verflog in dem Land im Nordosten Afrikas. Stattdessen herrscht heute ein brutales Sterben im Sudan – es ist beinahe so leise, dass es die Welt überhört. Doch für die Sudanes:innen sei es extrem laut, meint Mohamed Osman von der "Human Rights Watch" (HRW).

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"Hinter den Zahlen der Toten, Verletzten und Vertriebenen befinden sich Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, ehemalige Klassenkameraden oder Kollegen", sagt Osman auf watson-Anfrage. Seit 2018 arbeitet er für die nicht-staatliche Organisation HRW und berichtet über den Sudan, wo er früher als Anwalt tätig war.

Sudan leidet im Stillen, weil sich zwei Männer um die Macht streiten

Was die Menschen im Sudan jedoch nicht hören, sei die internationale und regionale Reaktion auf die Situation, meint er. "Seit Jahren erzählt man, dass die Welt sich mit dem Sudan solidarisiere, aber wir haben noch nicht gesehen, dass dies wirklich geschieht. Das Schweigen und die Untätigkeit der Welt kommen uns teuer zu stehen", warnt er.

Denn: Im Sudan reiben sich zwei Männer die Köpfe. Beide übernahmen die Führung des Landes durch zwei gemeinsame Militärcoups 2019 und 2021 – die Macht an das Volk wollten sie nicht abgeben. Nun reißen sie das Land in einen blutigen Machtkampf, an den Rand eines "umfassenden Bürgerkriegs", wie es UN-Generalsekretär António Guterres beschreibt.

Wer bekämpft sich im Sudan?
Auf der einen Seite steht De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, Oberbefehlshaber der Armee. Er will seinen bisherigen Putsch-Kumpel und Vize Mohammed Hamdan Daglo losbekommen. Allerdings hat Daglo ein Ass im Ärmel: Er ist Kommandeur der "Rapid Response Forces" (RSF), einer mächtigen, paramilitärischen Gruppe.

Menschen fliehen vor den gewaltsamen Kämpfen, landen in Flüchtlingslagern, wo sie unter miserablen Bedingungen leben. Eltern sehen hilflos zu, wie ihre Kinder an Mangelernährung und Masern-Infektionen sterben. Zerstörung, Plünderung, sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Massenexekutionen von Männern – laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen.

Massengräber in Darfur erinneren an Genozid vor zwanzig Jahren

"Satellitenbilder und Aussagen von Menschen, die über die Grenze in den Tschad geflohen sind, bestätigen, dass die RSF und mit ihnen verbündete arabische Milizen gezielt Angehörige nicht-arabischer Minderheiten, insbesondere der Masalit, angreifen, Dörfer in Brand stecken und sie vertreiben", erklärt Politikwissenschaftler Gerrit Kurtz auf watson-Anfrage.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte habe entsprechende Berichte neben vielen anderen gesammelt, auch über Massengräber in Darfur, führt der Mitarbeiter von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" aus. Laut ihm erinnern die Berichte deutlich an die massenhaften Gräueltaten vor zwanzig Jahren in Darfur, die damals die USA und andere internationale Akteure als Völkermord bezeichneten.

"Es liegt an der Welt, diese missbräuchlichen Führer zur Rechenschaft zu ziehen."
Mohamed Osman von "Human Rights Watch"

Basierend auf den Recherchen von HRW läge bisher noch keine "Charakterisierung" für einen Genozid vor, meint Osman. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt untersuchen wir die Situation kontinuierlich und haben bereits mit vielen Überlebenden aus El Genaina und anderen Orten in West-Darfur gesprochen", sagt er. Doch Kurtz betont, die Lage im Sudan sei katastrophal.

Millionen Sudanesen befinden sich auf der Flucht

Seit Beginn der Kampfhandlungen haben laut der "Internationalen Organisation für Migration" rund 5,4 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen, knapp 1,2 Millionen davon seien in die Nachbarländer Sudans geflohen.

"Für die Menschen im Land ist die Versorgung extrem angespannt, auch in Gebieten, die nicht direkt von Kampfhandlungen betroffen sind. Weniger als 20 Prozent aller medizinischen Einrichtungen im ganzen Land sind noch funktionstätig", führt Kurtz aus.

Sudanese refugees who fled the conflict in Sudan gather July 1, 2023 at the Zabout refugee Camp in Goz Beida, Chad. The U.N. says the conflict in Sudan has driven more than 3.1 million people from the ...
Sudanesische Geflüchtete im Juli in einem Flüchtlingslager im Tschad.Bild: WFP / Marie-Helena Laurent

Die Wirtschaft sei in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Und internationale Hilfslieferungen? Die seien unterfinanziert und kommen wegen bürokratischer Hindernisse der Konfliktparteien und der Unsicherheit kaum bei den Menschen in Not an. Der Aufschrei bleibt aus.

"Das gibt zweifellos ein Gefühl der Wut und des Verrats – wir haben die Besorgnis über die 'Doppelmoral' geäußert, als wir sahen, wie die internationale Reaktion auf andere Krisen viel schneller erfolgte", sagt Osman. Laut ihm ist es längst überfällig, dass die betroffenen Regierungen und andere Akteure erkennen, dass Nichtstun keine Option ist. Aber auch das Schweigen der Medien verurteile er.

Sudan brauche auch den Fokus der Medien

Laut Osmans Beobachtung haben die Medien nach Ausbruch der Kämpfe im April dem Sudan kurz ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Doch dann sei es schon zu spät gewesen: Über 18 Monate andauernde politische Unruhen wurden übersehen – das harte Vorgehen gegen friedliche Demonstrierende, die sich für eine bessere Zukunft einsetzten.

Auch jetzt schaffe es der Sudan kaum in die Schlagzeilen. "Obwohl wir inzwischen von mindestens 9.000 Toten und der Vertreibung von Millionen Sudanesen im Land oder auf der Flucht über die Grenze sprechen", meint Osman.

Seine Forderung lautet: Die Medien müssen auch die sudanesischen Stimmen in den Mittelpunkt stellen, vor allem diejenigen, die aktiv versucht haben, den Kurs des Staatsstreichs von 2021 umzukehren, und diejenigen, die – wenn es hart auf hart kommt – ihren Gemeinschaften weiterhin mit Hilfe und Unterstützung zur Seite stehen.

Die Jugend des Landes, die sich damals massiv in der Demokratiebewegung einbrachte, ist wohl einer der größten Verlierer des aufflammenden Bürgerkrieges.

Der ungehörte Schrei der Jugend – ein verblassendes Echo

Laut Kurtz sind besonders junge Menschen den Rekrutierungsbemühungen der sudanesischen Streifkräfte, der RSF als auch ethnischer Milizen ausgesetzt. Es gebe mittlerweile verifizierte Videos, auf denen erkennbar Minderjährige als Teil von RSF-Einheiten zu sehen sind.

Da es kaum noch bezahlte Arbeit gibt, wird es Kurtz zufolge immer attraktiver, bewaffneten Gruppen als Überlebensstrategie beizutreten. "Hinzu kommt, dass viele Schulen geschlossen wurden – laut UNICEF sind mehr als sieben Millionen Kinder in Sudan nicht in der Schule", sagt er.

Allerdings seien es aber auch vor allem junge Menschen, die sich freiwillig in "Emergency Rooms" engagieren, um humanitäre und besonders medizinische Versorgung zu koordinieren. Doch die Situation im Land wird laut Osman immer dramatischer.

Schon vor dem Ausbruch der gewaltsamen Kämpfe im April war die Lage extrem schlecht – die Wirtschaft lag am Boden und es bestand die Gefahr einer zunehmenden Ernährungsunsicherheit, insbesondere in Darfur, führt Osman aus. Der Krieg verschlimmere dieses Leiden, während die humanitäre Hilfe weiterhin auf sich warten lässt. Frauen und Kinder zahlen laut ihm mit Sicherheit einen höheren Preis. Über die Zukunft der Jugend legt sich ein dunkler Schatten.

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Der Sudan liegt seit Mitte April im Chaos, es kommt zu offenen Kämpfen in der Hauptstadt Khartum.Bild: AP / Marwan Ali

Osman warnt davor, dass die Kämpfe zunehmend eine neue Dynamik und Komplexität erreichen. "Wir befinden uns in einer Phase, in der wir uns über verschiedene Veränderungen im Verlauf des Konflikts Sorgen machen können: Aufsplitterung in kleinste lokale Gruppen sowie regionales Übergreifen", sagt er.

Die Zivilbevölkerung werde weiterhin unter diesem Krieg leiden, solange sich die Kriegsparteien nicht an das Völkerrecht halten und keine Konsequenzen für ihr Versagen befürchten. "Es liegt an der Welt, diese missbräuchlichen Führer zur Rechenschaft zu ziehen", fordert Osman.

Robert Habeck über Markus Söder: "Er hat einen Crush auf mich"

Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.

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