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Putsch in Gabun: Warum Afrika gerade eine Putsch-Serie erlebt

Gabun, Militär-Putsch - Eindrücke aus Port-Gentil Des Gabonais en joie dans une rue de Port-Gentil capitale economique, le 3 Aout 2023 apres l annonce du Coup d Etat perpetre par les Forces de defense ...
Die Menschen feiern das Ende der 50-jährigen Bongo-Herrschaft in der gabunischen Stadt Port-Gentil.Bild: imago images / afrikimages
Analyse

Was ist eigentlich los in Afrika?

Wer den Eindruck hat, dass die Anzahl an Putschen in Afrika in den letzten Jahren gestiegen ist, der täuscht sich nicht. Ein Blick auf die vergangenen Staatsstreiche, den erneuten Anstieg und die Rolle Russlands.
03.09.2023, 15:2403.09.2023, 15:25
Salome Woerlen / watson.ch
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Am Mittwoch hat das Militär in Gabun die Machtübernahme und Absetzung der seit Jahrzehnten autokratisch regierenden Bongo-Familie verkündet, nachdem Ali Bongo nach offiziellem Ergebnis einer Wahl vom Wochenende für eine dritte Amtszeit gewählt worden sein sollte. Es gibt erhebliche Zweifel, ob die Wahlen in dem zentralafrikanischen Land an der Atlantikküste unabhängig, frei und fair abliefen.

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Präsident Ali Bongo hätte seine dritte Amtszeit angetreten, wäre er nicht vom Militär gestürzt worden.Bild: AP / Mary Altaffer

Als neuen Machthaber haben die Putschisten den Chef der Präsidentengarde, Brice Clotaire Oligui Nguema, benannt. Der mehr als 50 Jahre lang autokratisch regierenden Bongo-Familie wird seit langem Korruption vorgeworfen. Sie gilt Berichten zufolge als eine der reichsten Familien der Welt und soll gemäß der Nichtregierungsorganisation Transparency International Dutzende Residenzen in Frankreich im Wert von vielen Millionen Euro besitzen. Die rund 2,3 Millionen Einwohner des Landes leben trotz Öl-Reichtums größtenteils in großer Armut.

Erst vor knapp einem Monat hatte die Präsidentengarde im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum abgesetzt. Zuvor hatte auch in Mali und Burkina Faso, die ebenfalls in der Sahelzone liegen, das Militär die Macht übernommen.

Häufen sich die Staatsstreiche in Afrika tatsächlich? Ein Blick in die Vergangenheit klärt auf.

Die alte Putsch-Epidemie

Seit 1946 kam es auf dem afrikanischen Kontinent zu insgesamt 222 Putschversuchen. Ihren historischen Höhepunkt erreichten die Putschversuche um 1966: Fast dreißig Prozent aller afrikanischen Staaten erlebten in den zwei Jahren zuvor einen oder mehrere Putschversuche. Gemäß Expertinnen und Experten war dies insbesondere auf drei Faktoren zurückzuführen:

  1. Viele junge und politisch instabile Länder, die unter Armut und geringem Wirtschaftswachstum litten
  2. Ethnische Spannungen und Gewalt
  3. Autokratische und korrupte Regimes

Eine noch objektivere Betrachtung liefert das Africa Center for Strategic Studies:

"Staatsstreiche sind letztlich eine nüchterne Abwägung von Nutzen und Kosten."

Die winkenden Vorteile eines Putsches seien Macht und ungehinderter Zugang zu staatlichen Ressourcen, weshalb die Verlockung immer bestünde. Die drohenden Nachteile, wie das Scheitern oder eine Inhaftierung, würden von uneingeschränkten militärischen Akteuren unter einer Zivilverwaltung wohl als gering eingeschätzt. Denn:

"Diejenigen, die einen Staatsstreich durchführen, tun dies, weil sie glauben, dass sie mit minimalen Kosten davonkommen können."

Unter der Nichteinmischungs-Politik der Organisation der Afrikanischen Union (AU) hatten die Putschisten bis 2002 zumindest von außen nicht allzu viel zu befürchten. Dies änderte sich mit dem Übergang zur Afrikanischen Union, die alle international allgemein anerkannten afrikanischen Staaten umfasst: Bei ihr gilt die Legitimität der Staatsgewalt als oberstes Gebot.

Regierungen, die verfassungswidrig an die Macht kommen, müssen seither mit Sanktionen, Interventionen und der Suspendierung aus der AU rechnen. Hinzu kommen noch die Sanktionen von westlichen Demokratien und internationalen Organisationen. Kurz: Die Kosten-Nutzen-Rechnung ging für potenzielle Putschisten nicht mehr auf, Putsch-Versuche gingen ab 2000 erheblich zurück.

Die neue Putsch-Epidemie

Seit 2020 haben die Staatsstreiche wieder zugenommen. In der Zentralafrikanischen Republik, Dschibuti, Guinea-Bissau, Madagaskar, Gambia, Sao Tomé und Principe sind sie gescheitert, in sechs Ländern waren sie erfolgreich. Eine Übersicht über die erfolgreichen Staatsstreiche:

Mali, August 2020

Eine Gruppe malischer Oberste setzt den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita ab. Dem voraus gehen regierungsfeindliche Proteste wegen der Verschlechterung der Sicherheitslage, umstrittenen Parlamentswahlen und Korruptionsvorwürfen. Nur neun Monate später kommt es zum Gegenputsch. Angeführt wird er von Assimi Goita, der nach dem ersten Putsch zum Vizepräsidenten ernannt wurde.

Tschad, April 2021

Die tschadische Armee übernimmt die Macht, nachdem Präsident Idriss Deby beim Besuch seiner Truppen im Kampf gegen Rebellen getötet wurde.

Guinea, September 2021

Präsident Alpha Conde wird vom Oberst Mamady Doumbouya gestürzt. Ein Jahr zuvor hat dieser die Verfassung geändert, um die Kandidatur für eine dritte Amtszeit zu ermöglichen.

Sudan, Oktober 2021

General Abdel Fattah al-Burhan löst den Regierungsrat auf, in dem Armee und Zivilisten gemeinsam die Macht innehatten.

Burkina Faso, Januar 2022

Die Armee setzt Präsident Roch Kabore ab. Sie wirft ihm vor, nicht genügend gegen die Gewalt militanter Islamisten vorzugehen. Im September folgt der zweite Staatsstreich durch Armeechef Ibrahim Traoré, der damit Paul Henri-Damiba gewaltsam stürzt.

Niger, Juli 2023

Die Präsidialgarde nimmt Präsident Mohamed Bazoum fest. Der Befehlshaber der Präsidialgarde, Abdourahamane Tchiani, erklärt sich selbst zum Anführer.

Ein Blick auf die Karte Afrikas verdeutlicht die Konsequenzen der Staatsstreiche. Gemäß dem Demokratieindex, der alljährlich von der britischen Zeitschrift "The Economist" berechnet wird, schneidet insbesondere Westafrika schlecht ab.

Wieso der plötzliche Anstieg?

Die Gründe sind divers: Während beispielsweise die Putschisten in Mali ihren Putsch mit dem Kampf gegen Korruption rechtfertigten, war es in Mali und Burkina Faso der Kampf gegen die islamistischen Milizen. Was die seit 2020 geputschten Länder aber alle gemeinsam haben: Sie sind schwache Staaten. Und alle von ihnen haben in der Vergangenheit mindestens einen erfolgreichen Putsch erlebt. Sie stecken in der "Putsch-Falle", wie es Expertinnen und Experten nennen.

So legt ein Blick in die Vergangenheit nahe, dass Länder, die in der jüngeren Vergangenheit einen Putsch erlebt haben, ein höheres Putsch-Risiko haben als Länder, in denen es seit Längerem zu keinem Putsch mehr gekommen ist. Zudem sprechen Forschende auch von einem "Ansteckungs-Effekt".

Wie Dr. Issaka Souaré, Associate Senior Researcher am Stockholm International Peace Research Institute, gegenüber der New York Times erklärt:

"Du siehst, dass deine Kollegen in den Nachbarländern die Zivilisten gestürzt haben, und nun wird dir der rote Teppich unter den Füßen ausgerollt. Du willst dasselbe."

Nebst den innenpolitischen Gründen, die Putsch-Versuche begünstigen, spielen auch aussenpolitische Faktoren eine grosse Rolle. Wie das Africa Center for Regional Studies schreibt, spiegle die jüngste Putsch-Zunahme in Afrika die nachlassende Bereitschaft regionaler und internationaler Akteure wider, Anti-Putsch-Normen durchzusetzen. So würden etwa häufiger Kompromisse mit Putschisten ausgehandelt und weniger militärisch interveniert. Dies wird von der Organisation kritisiert:

"Kurz gesagt, internationale Akteure spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestätigung von Putschen. Indem sie Putsche als unglückliche, aber normale Mittel der Machtübergabe in Afrika behandeln, helfen internationale Akteure den Putschisten ungewollt dabei, ihren Putsch über die Ziellinie zu bringen."

Die Rolle von Russland

Während einige Länder die Putschversuche mit ihrer Zurückhaltung "ungewollt" unterstützen, gibt es auch solche, die dies aktiver tun. Insbesondere autoritäre Akteure wie beispielsweise Russland und China. Sie beide knüpfen ihre Partnerschaften nicht an Bedingungen in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte.

Die Untergrabung der Demokratie sei in den letzten zwei Jahrzehnten ein strategisches Ziel der russischen Afrikapolitik gewesen, schreibt das Africa Center of Strategic Studies (ACSS) in einer Analyse vom Juni dieses Jahres. Grund dafür sei die Tatsache, dass autoritäre Regierungen ein günstigeres Umfeld böten, um russischen Einfluss auf dem Kontinent zu ermöglichen.

Für die Erreichung dieses Ziels nutzt Russland sowohl offizielle als auch regelwidrige Wege. Auf offiziellem Weg tut es dies etwa durch die Blockade von UN-Resolutionen, welche Menschenrechtsverletzungen afrikanischer Regime oder Wahlfälschungen verurteilen. So geschehen am Mittwoch: Russland blockierte einen Entwurf zur einjährigen Verlängerung der Strafmaßnahmen gegen Mali.

Bereits letztes Jahr erklärte der UN-Sicherheitsrat in einem Bericht vom 1. Juli 2022 in Bezug auf die zunehmenden Staatsstreiche:

"Die breite Unterstützung des Rates für die ECOWAS [Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft] und die AU als Reaktion auf militärische Übernahmen kann jedoch variieren, je nach den strategischen Interessen einflussreicher Ratsmitglieder und ihrer Interpretation dieser Machtwechsel."

Dies sei der Grund, warum der Sicherheitsrat den Putsch sowohl im Sudan als auch in Burkina Faso nicht verurteilte, sondern bloß "seine ernste Besorgnis über den verfassungswidrigen Regierungswechsel" äußerte.

Im Hintergrund, so das ACSS, führe Russland Desinformationskampagnen gegen Befürworter der Demokratie, sende Wagner-Truppen aus, betreibe Wahleinmischung und mache illegale Geschäfte mit Waffen gegen Ressourcen. Das Ausmaß der russischen Einmischung sei aber vor allem in Bezug auf die im Dunkeln ablaufenden Interventionen nur schwer abzuschätzen. Dennoch kommt das ACSS zum Schluss, dass Russland mindestens eines dieser Instrumente in 23 afrikanischen Staaten angewandt hat.

"Die russische Einmischung zur Untergrabung der Demokratie in Afrika erfolgt mit einer Reihe von Methoden, wobei Desinformation (17 Länder im Visier), Wahleinmischung (15) und Unterstützung für verfassungswidrige Machtansprüche (14) am häufigsten vorkommen."

Wie weiter?

Putsche führen laut Sebastian Elischer, Professor für Politikwissenschaft, zu zwei Ergebnissen: Im einen Szenario ziehen sich die Putschisten zurück und mischen sich nicht in die Wahlen nach dem Staatsstreich ein. Im anderen Szenario wird die Wahl von den Putschisten manipuliert, sodass ihr gewünschter Kandidat an die Macht kommt. Auf diese Weise etablieren sie ein Regime, hinter dem sie sich verschanzen können.

Ausschlaggebend für die Entwicklung des einen oder anderen Szenarios sei oft der innere Zusammenhalt des Militärs.

"Im Sudan, in Mali, Burkina Faso und im Tschad haben die Militärs ihre Regierungen gestürzt, weil die territoriale Integrität ihrer Länder bedroht war oder weil das Militär materielle Vorteile hatte. Die Juntas in diesen Ländern können sich auf den Rückhalt des gesamten Militärs verlassen. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zu einer zivilen Regierung."

Im Niger und in Guinea hingegen sei der Putsch bloß von einem Teil des Militärs durchgeführt worden und habe nicht den Interessen des gesamten Militärs entsprochen. Aus diesem Grund sei die zukünftige Dynamik schwerer abzuschätzen.

Der Fall von Gabun scheint nochmals etwas anders zu sein, wie der politische Analyst und Afrika-Kenner Wilson Khembo gegenüber der "Tagesschau" sagt:

"In den übrigen Ländern war das Militär von Machthunger getrieben. Doch in Gabun wollen die Putschisten offenbar die verfassungsmäßigen Rechte wieder in Kraft setzen. Sie befürchteten, dass Gabun sich zu weit von einer Demokratie entfernt."

Wie verschiedene Expertinnen und Experten gegenüber Reuters erklären, glauben sie, dass der Coup erfolgreich sein wird. Das gesamte Militär stehe hinter dem Putsch und auch die Bevölkerung scheint sich gemäß zirkulierenden Videos über die Befreiung von der jahrzehntelangen Bongo-Herrschaft zu freuen.

Was die Zukunft Russlands in Afrika betrifft, gibt es insbesondere nach dem Tod des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin einige offene Fragen. Wie das Italian Institute for International Political Studies schreibt, gingen die meisten Expertinnen und Experten davon aus, dass die russischen paramilitärischen Interventionen in Afrika fortgesetzt oder sogar ausgeweitet würden. Bereits der russische Außenminister Sergej Lawrow beteuerte nach der Wagner-Meuterei Ende Juni, dass diese keinen Einfluss auf ihre Arbeit in Afrika habe.

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