Tausende Menschen befinden sich auf der Flucht. Berichte häufen sich über zahlreiche Wohnungseinbrüche, Plünderungen von Häusern und Geschäften sowie an Kontrollpunkten entwendete Autos. Die Kämpfe im Sudan stürzen das Land ins Chaos. UN-Generalsekretär António Guterres appellierte vor dem Sicherheitsrat für ein Ende der Gewalt und warnte vor dem Ausbruch eines vollumfänglichen Krieges.
Zu den Leidtragenden gehört – wie so oft in militarisierten Konflikten – vor allem die Zivilbevölkerung. Besonders auch Kinder und junge Menschen seien von den Kämpfen betroffen, meint Afrika-Experte Gerrit Kurtz. "Es gibt bereits Berichte von neun toten Kindern, aber die Zahl ist sicherlich schon höher", sagt der Politikwissenschaftler von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" im Gespräch mit watson.
Inmitten der Gefechtszonen sind laut Kurtz auch Kinder in den Schulen "gefangen" – sprich, sie wagen sich schlichtweg aufgrund der Kämpfe nicht raus. Dazu machen sich immer mehr die Versorgungsschwierigkeiten bemerkbar. "Es ist heiß im Land und es mangelt an Wasser sowie Essen", erklärt der Experte.
Und das bekommen die Kleinsten und jungen Menschen zu spüren. Aber es gibt laut Kurtz noch weitere Gefahren – vor allem für Mädchen und junge Frauen. Dem Experten zufolge gibt es Berichte von zunehmender geschlechterbezogener Gewalt vor Ort.
Die Lage im Sudan werde immer unsicherer, gerade für Mädchen und junge Frauen. Kurtz sagt dazu:
Auch auf der Flucht seien sie vermehrt sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Medienberichte sprechen von etwa 10.000 Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden sollen. Laut Kurtz sei diese Zahl zu gering. Ihm zufolge gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass etwa 20.000 Menschen allein in Gebiete südlich der sudanesischen Hauptstadt Khartum geflohen sind.
Auch junge Männer begeben sich auf die Flucht, meint Kurtz. Bisher liegen ihm keine Berichte vor, dass es zusätzliche Rekrutierungen der Konfliktparteien gegeben hätte. Außerdem schließen sich junge Männer wohl nicht im erhöhten Maße freiwillig den Kämpfen an.
Was Kurtz allerdings ins Auge gesprungen sei, ist ein Video der paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).
Er sagt:
Im Sudan will De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, mithilfe des Militärs seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo entmachten, den Anführer der RSF. Die beiden hatten die Führung des Landes durch zwei gemeinsame Militärcoups 2019 und 2021 übernommen. 2018 hoffte die Jugend im Sudan noch auf einen demokratischen Wandel.
Von den rund 46 Millionen sudanesischen Einwohner:innen ist die Mehrheit noch jung. "Und genau diese jungen Menschen haben sich damals massiv in der Demokratiebewegung eingebracht", erklärt Kurtz.
Auch jetzt – inmitten der Gefechte – bleibt die Jugend aktiv im Land. Laut Kurtz kümmern sie sich etwa um sichere Fluchtwege aus den umkämpften Gebieten oder versuchen, die Menschen mit Lebensmitteln sowie Arzneimitteln so gut wie möglich zu versorgen.
"Junge Menschen übernehmen sehr viel Verantwortung im Sudan und haben viel zu bieten", sagt Kurtz. Die momentane Gewalt im Sudan könnte sich ihm zufolge auch gezielt gegen den steigenden Einfluss der Jugend richten.
Er sagt:
Denn bereits die vorangegangene Regierung unter dem Diktator Omar al-Baschir hatte die Macht der Jugend im Land zu spüren bekommen. Er wurde nach lang anhaltenden Proteste 2019 als Staatspräsident des Sudan gestürzt. "Auf die Straßen gingen überwiegend junge Menschen. Allerdings war die darauffolgende zivil-militärische Übergangsregierung nicht das, was sie sich erhofft hatten", sagt Kurtz.
Doch er ist sich sicher: Dieser Mut der jungen Menschen, den man damals bei den Protesten gesehen hat, wird auch noch in Zukunft eine Rolle spielen. Allerdings lege der gewaltsame Machtkampf im Land nun große Brocken auf den Weg zur Demokratie. "Ein möglicher Bürgerkrieg wäre für die jungen Menschen hochdramatisch", sagt Kurtz.
Nur wenn die Konfliktparteien einsehen, dass keiner von ihnen schnell militärisch siegen kann, sei ein dauerhafter Waffenstillstand möglich. "Doch wenn sie die Chance auf einen Sieg wittern, müssen wir uns auf langanhaltende Kämpfe im Sudan einrichten", prognostiziert Kurtz
UN-Sonderbeauftragter für Sudan, Volker Perthes, stehe nach eigenen Angaben weiterhin in regelmäßigem Kontakt mit den rivalisierenden Generälen im Sudan. Sowohl Armee-Oberbefehlshaber al-Burhan als auch RSF-Anführer Daglo würden aber noch immer gegenseitige Anschuldigungen erheben. Damit machen sie wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung der Krise.
Perthes sagte dazu bei der Sitzung des Weltsicherheitsrats:
Perthes fordert beide Seiten auf, den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts nachzukommen und den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur sicherzustellen.
Bezüglich der eigentlich seit der Nacht auf Dienstag geltenden Waffenruhe zog Perthes eine gemischte Bilanz. Die Feuerpause, so mache es den Eindruck, würde zwar bislang "in einigen Teilen" des Landes halten. In der Hauptstadt Khartum aber würden die Kämpfe unter anderem um den Palast der Republik, den internationalen Flughafen und die Hauptquartiere sowie Stützpunkte von Armee und RSF "weitgehend fortgesetzt oder in einigen Fällen intensiviert".
Nun wurde wohl auch ein SOS-Kinderdorf in der sudanesischen Hauptstadt Khartum von Bewaffneten angegriffen.
Nach Angaben der Organisation mussten Helfer des SOS-Kinderdorfes die betreuten Kinder und Jugendlichen evakuieren. "Wir fordern beide Seiten auf, sich bedingungslos an die internationalen humanitären Gesetze und Prinzipien zu halten und es uns zu ermöglichen, unsere lebenswichtige Unterstützung für die am meisten gefährdeten Kinder und Familien fortzusetzen", sagt die Leiterin der SOS-Kinderdörfer im östlichen und südlichen Afrika, Senait Gebregziabher.
In Khartum und im Rest des Landes ist auch gut eine Woche nach Ausbruch der Kämpfe kein Ende der Gewalt in Sicht. "Viele Menschen haben tagelang auf dem Fußboden verbracht und es nicht einmal gewagt, den Kopf zu heben, da es immer wieder zu unkontrolliertem Beschuss kam", sagt Ahmed Mihaimeed, ein Mitglied des Krisenmanagement-Teams der Hilfsorganisation.
(mit Material der dpa)