Sein Auftritt ist fast vorbei, als Thomas Haldenwang ganz nebenbei einen bemerkenswerten und erschreckenden Satz sagt.
Zusammen mit dem Bundesinnenminister und dem BKA-Präsidenten präsentierte der Chef des Verfassungsschutzes vergangene Woche die neuen Erkenntnisse zum Mordfall Walter Lübcke. Mittlerweile hat Täter Stephan E. gestanden, den Mord wegen Unzufriedenheit über Lübckes Worte zur Flüchtendenkrise, begangen zu haben. Oft tauchen seitdem die Worte "Einsamer Wolf" auf und Stephan E. wird als Einzeltäter beschrieben.
Aber Haldenwang fand vor einer Woche eben andere Worte. Seit 2009 habe man Stephan E. nicht mehr als Teil der rechtsextremen Szene wahrgenommen, weder sei er strafrechtlich noch öffentlich auffällig gewesen, antwortete Haldenwang, dann sagte er jenen bemerkenswerten Satz:
Wow... Nicht nur vergleicht der Chef eines Deutschen Geheimdienstes hier zum erstenmal öffentlich den rechtsextremen mit dem islamistischen Terror. Haldenwangs Worte lassen auch vermuten, dass der Verfassungsschutz davon ausgeht, dass berüchtigte "Schläfer"-Terroristen jetzt auch aus der rechtsradikalen Szene kommen. Bisher kannte man solche Täter und Gruppen vor allem im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus.
Also... Panik, oder wie? Was hat es mit diesem Schläfer-Vergleich auf sich?
Zum ersten Mal in die weltweite öffentliche Aufmerksamkeit gelangten sogenannte "Schläfer" oder "Schläferzellen" in Folge der Anschläge auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001. Scheinbar aus dem Nichts kommende Terroranschläge gab es allerdings schon vorher. Etwa, als ein palästinensischer Attentäter 1997 plötzlich auf der Aussichtsplattform des Empire State Building um sich schoss und dabei sieben Menschen und dann sich selbst tötete.
Seitdem folgten bekanntlich unzählige Anschläge auf der ganzen Welt.
Oft haben sich diese beiden Arten von Terroristen in der Vergangenheit vermischt. Hinter großen Anschlägen steckten dann Netzwerke wie al-Qaida, die ihre Schläfer nur "aktivierten" und dann mit Material und Kämpfern aus dem Ausland versorgten. Im Fall der an 9/11 beteiligten Hamburger Terrorzelle war das zum Beispiel so.
Andere Schläfer radikalisierten sich selbst mit Hilfe von Ideologien (und einem Internetzugang) und schlugen dann als sogenannte "Einsame Wölfe" zu. In dieses Spektrum fielen auch bekannte Fälle von Rechtsterrorismus wie der Anschlag von Anders Breivik oder der Attentäter von Christchurch.
Terror hat dabei normalerweise das Ziel, durch Gewalt ein Klima der Angst in der Zivilbevölkerung zu erzeugen und Vorurteile und Konflikte zu verschärfen. Bei islamistischem Terror geht es vor allem auch um die Spaltung von Muslimen und Nicht-Muslimen.
Spricht man mit einem Terrorexperten, dann bekommt man eine gemischte Antwort auf diese Frage. Matthias Quent, Direktor des Instuts für Demokratie und Zivilgesellschaft, nennt den Vergleich gegenüber watson ein "schiefes Bild mit Berechtigung".
Richtig sei, dass auch bei Rechtsextremen sowohl ideologische als auch organisierte Netzwerke dazu führen, dass Einzeltäter und Gruppen Anschläge oder Attentate verüben.
Die Ideologie von Rechtsextremen, so sagt Quent, zirkele dabei um einen "Tag X", an dem der jetzt herrschende Staat zusammenbreche. "Auf einen solchen Tag bereiten sich diese Gruppen vor, nach dem Motto: 'Wenn er gekommen ist, haben wir Kampferfahrung, haben wir Waffen, haben wir die nötigen Leute."
Sehen sie die Chance sich zu erheben, "erwachen" die rechtsextremen Schläfer. "In Chemnitz konnte man das gut beobachten, als die Stimmung kippte und viele der Rechten ihre Möglichkeit zum Aufruhr gekommen sahen", sagt Quent.
Aber bestehen die Netzwerke? Inwieweit man die Organisationsstrukturen von Rechtsextremisten in Deutschland mit denen von Dschihadisten vergleichen kann, ist sicher diskutabel. Fakt ist allerdings, dass seit der Aufdeckung des NSU im Jahr 2011 immer neue Netzwerke auftauchen.
Aber Experten wie Quent sehen eben auch einen wichtigen und grundsätzlichen Untschied zum islamischen Terror:
"Der wichtigste hat mit der Qualität und der Quantität der Taten zu tun", sagt er. Bei Schläfern der Islamisten handele es sich normalerweise um marginalisierte Minderheiten, die dann als Waffe gegen die "Mehrheitsgesellschaft" eingesetzt würden.
Im Fall von rechtsextremen Tätern, wie vermutlich Stephan E. einer ist, komme die Gewalt stattdessen aus der Mehrheitsgesellschaft heraus. Das führe dazu, dass die Täter eben "aus der Gesellschaft heraus wachsen".
Das macht den ideologischen Einzeltäter wesentlich wahrscheinlicher, als die ferngesteuerte Schläferzelle.
Die immer neuen Netzwerke, so sagt aber auch Quent, machen einen immer organisierteren Eindruck. Auch dem Innenministerium scheint das zu denken zu geben. Minister Horst Seehofer selbst sprach von einem "gefährlichen Potential".
Das könnte auch mit einer Neuausrichtung des Verfassungschutzes selbst zu tun haben. Seit der alte Chef Hans-Georg Maaßen zurücktreten musste, scheint es einen internen Reformprozess im Geheimdienst zu geben. Dazu gehört auch, jahrelang gewachsene Strukturen aufzubrechen – etwa die überproportionale Aufmerksamkeit der Verfassungsschützer auf die Islamistenszene in Deutschland.
Wenn Haldenwang jetzt öffentlich von Schläfern spricht und damit einen Dschihad-Vergleich zieht, dann mag das ein schiefes Bild sein: Es könnte aber helfen, die eigenen Leute für das Ziel zu sensibilisieren, Terrorismus von Rechts zu bekämpfen.
Dieser Text wurde am 26.06 mit Blick auf das Geständnis von Stephan E. aktualisiert.